In der Ampelkoalition herrscht Uneinigkeit darüber, welche weiteren Entlastungen notwendig sind. Doch die Zeit drängt: Die Gasumlage, die in vielen Haushalte zu erheblichen Mehrausgaben sorgen wird, kommt bereits Anfang Oktober. Fragen und Antworten zur aktuellen Debatte.
Welche Maßnahmen sind in der Ampel geeint?
Nicht so viele. Vereinbart ist aktuell nur, dass es 2023 eine Wohngeldreform geben soll sowie die Umwandlung von Hartz IV in ein Bürgergeld. Inwieweit die Zahlungen für Transferleistungsempfänger erhöht werden, ist aber noch Bestandteil der Verhandlungen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte ebenfalls an, dass es ein weiteres Entlastungspaket geben wird. Er wurde aber nicht konkret.
Wann kommen weitere Entlastungen?
Das ist offen. Für die Grünen kann es nicht schnell genug gehen: Parteichefin Ricarda Lang fordert die Umsetzung eines Entlastungspaketes zeitgleich mit der Einführung der Gasumlage, also spätestens zum 1. Oktober.
Was will Finanzminister Christian Lindner?
Die Liberalen verstehen unter neuen Entlastungen vor allem Steuersenkungen. Lindner hat einen Entwurf für den Ausgleich der sogenannten kalten Progression vorgelegt. Dadurch sollen 48 Millionen Bürger im kommenden Jahr mehr als zehn Milliarden Euro sparen und 2024 weiter sieben Milliarden Euro. Dazu sollen der Einkommensteuertarif an die Inflationsrate angepasst sowie der Kinderfreibetrag und das Kindergeld erhöht werden. Die kalte Progression ist eine Art schleichende Steuererhöhung, wenn Gehaltserhöhungen durch die Inflation aufgefressen werden.
Die Grünen üben allerdings heftige Kritik. Denn nach den Plänen von Lindner werden zwar Geringverdiener prozentual deutlich stärker entlastet als Topverdiener - in absoluten Zahlen jedoch nicht. So soll ein Bürger mit einem zu versteuernden Einkommen von 20.000 Euro im kommenden Jahr 115 Euro weniger Steuern zahlen. Bei einem Einkommen von 60.000 Euro sind es bereits 471 Euro weniger. Maximal sind 479 Euro möglich.
Das könnte Sie auch interessieren:
Das ließe sich aber ändern: Würde zum Beispiel der Eingangssteuersatz gesenkt und blieben die übrigen Tarifwerte weitgehend unverändert, könnte auch in absoluten Zahlen eine Gleichbehandlung erreicht werden. Offen ist, ob sich Lindner darauf einlässt. Schließlich hat Kanzler Scholz bereits Zustimmung zu Lindners Plänen signalisiert.
Welche Maßnahmen stehen noch zur Debatte?
Eine Menge. So fordern etwa Sozialverbände und Gewerkschaften einen Preisdeckel für Gas. Hingegen pocht die Union auf einen Gasbasispreis. „Im Rahmen eines Bürgerbasistarifs sollte der Staat zielgerichtet über den Kreis der Wohngeldempfänger hinaus kleine und mittlere Einkommen entlasten“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Nach Vorstellung der Union würden einkommensschwache Haushalte so einen bestimmte Menge an Gas zu alten Preiskonditionen erhalten, alles darüber würde zu den neuen Preisen gezahlt werden. Frei sagte: „Anders als bei den ersten beiden Energieentlastungspaketen braucht es jetzt mehr Zielgenauigkeit und es dürfen vor allem die Rentner nicht erneut vergessen werden.“
Finanzminister Lindner hat eine weitere Erhöhung der Pendlerpauschale vorgeschlagen. Die Grünen forderten ein Anschlussangebot für das 9-Euro-Ticke. Zudem brachte die Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge erneut Direktzahlungen sowie eine Erhöhung des Kindergeldes und des Bürgergeldes ins Spiel. „Wir müssen den Menschen helfen, die wenig Geld haben und Unterstützung brauchen“, sagte Dröge dem RND.
Weil Direktzahlungen wie die Energiepauschale der Einkommensteuer unterlägen, erhielten Reiche am wenigsten und Geringverdienende am meisten, argumentierte sie. „Die Energiepauschale, ein höheres Kindergeld und Bürgergeld sind aus unserer Sicht besonders effektive Instrumente, um die Menschen sozial gerecht zu entlasten.“
Was fordert die Wirtschaft?
Auch der Mittelstand möchte berücksichtigt werden: Wenn ab dem 1. Oktober die Gasumlage für eine weitere Kostenbelastung sorge, müssten neben den Privathaushalten auch kleine und mittlere Unternehmen mit einem hohem Energiebedarf dringend entlastet werden, sagte der geschäftsführende Vorstand des Deutschen Mittelstands-Bundes, Marc Tenbieg, dem RND.
Er schlug die Senkung der Mehrwertsteuer für Gas und Strom von 19 auf sieben Prozent für Privathaushalte vor. „Wenn Privathaushalte nicht entlastet werden, wird die Erholung der Binnenkonjunktur im Keim erstickt“, warnte er. „Energieintensive Unternehmen und der exportabhängige Mittelstand benötigen jedoch weiterführende Maßnahmen“, so der Verbandsvertreter.
Wie viel Geld steht für Entlastungen zur Verfügung?
In diesem Jahr nicht mehr ganz so viel. Nach einer sehr groben Faustformel nimmt der gesamte Staat je Prozentpunkt der Inflation 10 Milliarden Euro mehr ein. Das wären also Mehreinnahmen von insgesamt rund 75 Milliarden Euro allein in diesem Jahr. Ganz so viel ist es in der Realität allerdings nicht: Die Steuerschätzung im Mai ergab für dieses Jahr gesamtstaatlich ein bisher nicht eingeplantes Plus von 40 Milliarden Euro und 2023 von knapp 50 Milliarden Euro. Davon entfällt jeweils rund die Hälfte auf den Bund. Dieser hat aber durch die ersten beiden Entlastungspakete bereits etwa 30 Milliarden Euro wieder an die Bürgerinnen und Bürger zurückgegeben.
Wie könnten weitere Maßnahmen finanziert werden?
In Lindners Etatentwurf für 2023 gibt es einige eingeplante Reserven, etwa für den Ausgleich der kalten Progression, für das neue Bürgergeld und die geplante Wohngeldreform. Für zusätzliche milliardenschwere Entlastungen ist aber kein Geld mehr vorgesehen.
Auch im laufenden Haushalt gibt es laut Lindner keine größeren Reserven mehr. Würde noch in diesem Jahr ein weiteres umfangreiches Entlastungspaket finanzwirksam, wäre also ein Nachtragshaushalt mit einer höheren Kreditaufnahme nötig. Das ist möglich, schließlich ist die Schuldenbremse ohnehin bereits ausgesetzt. Lindner möchte das dennoch vermeiden, wird sich hier aber mutmaßlich nicht verkämpfen. Denn dem FDP-Chef geht es maßgeblich darum, im kommenden Jahr die Schuldenbremse wieder einzuhalten.
Und was sagt Kanzler Scholz zur Finanzierung?
Der Kanzler sieht keine Notwendigkeit für einen Nachtragshaushalt in diesem Jahr. „Wir gehen davon aus, dass wir unsere Vorstellungen in dem finanziellen Rahmen bewältigen können, der uns zur Verfügung steht“, sagte er. Das lässt sich so interpretieren, dass ein weiteres Entlastungspaket nicht solche Größen wie die letzten beiden annehmen wird.