Anhaltende Aussagen von J. K. Rowling gegenüber trans Personen schmälerten die Vorfreude auf das neue Harry-Potter-Spiel. Warum beißt sich die Autorin so an dem Thema fest?
Kommentare über trans PersonenWas ist nur mit Harry Potter-Autorin J. K. Rowling passiert?
Es ist noch gar nicht so lange her, da stand Joanne K. Rowling schon einmal im Kreuzfeuer wütender Internetkommentare und Boykottaufrufe. 2016 war das, als in London das Theaterstück „Harry Potter und das verwunschene Kind“ Premiere feierte – eine Geschichte, die 19 Jahre nach dem Ende des letzten Buches spielt. Das „Problem“, so zumindest die Ansicht rechter Internetkommentatoren: Die Figur der Hermine in dem Stück wird von Schauspielerin Noma Dumezweni gespielt. Die Darstellerin ist schwarz.
Rowling lies den Aufschrei nicht unkommentiert. Gegenüber dem „Guardian“ sprach sie von einem „Haufen Rassisten“, der sich über das Theaterstück echauffiere. „Idioten werden zu Idioten“ so Rowling zum „Observer“. Sie habe beschlossen, sich nicht zu sehr über die Reaktionen im Internet aufzuregen. Dumezweni sei die beste Besetzung für den Job.
Rowling wurde für ihre klare Haltung gefeiert, von Medien, von Fans, von Minderheiten. Immer wieder wurde sie das. Das „Harry Potter“-Universum steht traditionell für einen Rückzugsort in eine bessere Welt, die Fanszene für Diversität und Toleranz. Auch Rowling tat das mit ihren politischen Positionen. Leidenschaftlich legte sich die Autorin auf Twitter mit Right-Wing-Ikone Donald Trump und seinen Anhängern an. Leidenschaftlich verteidigte sie auch ihre Entscheidung, der Hogwarts-Schulleiter Albus Dumbledore sei schwul.
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Heute, einige Jahre später, steht Rowling noch immer im Kreuzfeuer, wieder sind Boykottaufrufe zu hören. Nur das Blatt hat sich gewendet. Diejenigen, die Rowling einst für ihren Positionen hassten, feiern sie heute als Ikone. Und Fans, die so viele Jahre mit den Harry-Potter-Bänden identifizierten, wenden sich enttäuscht von der Autorin ab. Grund sind Rowlings Positionen über trans Menschen. Ein Thema, von dem die Autorin geradezu besessen scheint – und damit nach und nach ihr eigenes Lebenswerk zerstört.
Schwule Schulleiter und Werwölfe
Klar ist: Die Ausflüge Rowlings in den Anti-trans-Aktivismus sind ein vergleichsweise junges Phänomen. Über viele Jahre hinweg galt die Autorin in ihren Positionen als außerordentlich progressiv und tolerant.
Dass Dumbledore homosexuell und in einen anderen Zauberer verliebt sei, verkündet Rowling schon 2007 – und macht insbesondere jungen schwulen Harry-Potter-Fans damit Mut. Später, noch lange nach Abschluss der „Harry Potter“-Reihe, dichtet die Autorin alle möglichen Charaktere in ihren Büchern zu Minderheiten um. Die beliebte Figur Remus Lupin beispielsweise habe sie als Metapher für das Stigma von HIV zu einem Werwolf gemacht.
Nicht immer wird das von Fans positiv aufgenommen. Zeitweise wird die nachträgliche Umdeutung gar zu einem Internet-Meme – Fans kritisieren Rowling, warum sie all das denn nicht sofort in die Bücher hineingeschrieben habe. Sie solle bitte die Bücher ihrer Kindheit in Ruhe lassen und nicht nachträglich mit allen möglichen Deutungen aufladen.
Gegen den Brexit, gegen Trump
Immer wieder zeigt Rowling ihre politische Positionierung bei öffentlichen Auftritten. 2008 etwa hält die Autorin eine flammende Rede vor Absolventen der Ivy League und erklärt den Studierenden, dass ihr Elitestatus und ihr Einfluss „Ihr Privileg und Ihre Last“ seien. Rowling mahnt an, sich „im Namen derer einzusetzen, die keine Stimme haben“.
Zwei Jahre später schreibt die Autorin in der „Times“ ein Plädoyer auf den Sozialstaat. Dieser habe ihr geholfen, als ihr „Leben am Tiefpunkt“ gewesen sei – nicht zuletzt deshalb zahle sie gerne Steuern. „Das ist, wenn Sie so wollen, meine Vorstellung von Patriotismus.“ Immer wieder spendet Rowling riesige Summen Geld für wohltätige Zwecke. So viel, dass sie zeitweise sogar von der Forbes-Millionärsliste gestrichen wird.
Politisch äußert sich Rowling auch zum Unabhängigkeitsreferendum Schottlands und zum Brexit. Bei letzterem plädiert sie für einen Verbleib in der Europäischen Union. Immer wieder schießt Rowling gegen Trump – dieser sei „schlimmer als Voldemort“, heißt es etwa in einem Tweet der Autorin.
Als Rowling das Trans-Thema entdeckte
Irgendwann um 2018 allerdings ändert sich überraschend der Ton auf Rowlings Twitter-Profil. Die Autorin beginnt – für viele völlig überraschend –, sich an einem Thema festzubeißen, das die tolerante Welt ihrer Fans ins Wanken bringt. Immer wieder schreibt Rowling fortan über trans Menschen, immer wieder deutet sie eine Gefahr an, die von diesen vermeintlich ausgehe – immer wieder stellt die Autorin die Geschlechtsidentität der Betroffenen in Frage.
All das beginnt zunächst mit einem Like. Es ist ein Tweet eines Aktivisten der Labour Party, der transgender Frauen als „Männer in Kleidern“ bezeichnet – Rowling gefällt das. Ein Versehen, wie es später heißt. Anderthalb Jahre später allerdings verteidigt Rowling öffentlich die Wissenschaftlerin Maya Forstater, die nach Tweets über trans Personen ihren Job bei einer Denkfabrik verloren hatte. Forstater hatte unter anderem geschrieben, dass sich „Männer nicht einfach in Frauen verwandeln“ könnten.
Rowling schreibt dazu: „Zieh dich an, wie du willst. Nenn dich, wie du willst. Schlaf, mit welchem Erwachsenen du willst. Lebe das beste Leben in Frieden und Sicherheit. Aber Frauen aus ihrem Job werfen, weil sie behaupten, dass Geschlechter real sind?“ Dahinter der Hashtag „Ich stehe hinter Maya“.
Spott über „menstruierende Menschen“
Im Juni 2020 spottet Rowling über einen Artikel mit der Überschrift „Schaffung einer gleichberechtigteren Welt nach Covid-19 für Menschen mit Menstruation“.
„‚Menschen, die menstruieren?‘“, überlegt Rowling öffentlich. „Ich bin mir sicher, dass es früher ein Wort für diese Leute gab. Jemand hilft mir. Wumben? Wimpund? Woomud?“ Es ist eine Anspielung auf das englische Wort „Women“ (Frauen), das in der Überschrift nicht ausgesprochen wird. Und eine Anspielung, die offenbar absichtlich trans Männer ausschließt – denn diese menstruieren ja mitunter auch.
Für Unmut sorgt auch ein im Herbst 2020 veröffentlichtes Buch von Rowling mit dem Titel „Böses Blut“. Es handelt von einem männlichen Serienmörder, der sich als Frau verkleidet, um Frauen zu jagen und zu ermorden. Rezensenten in britischen Medien sehen darin eine Warnung der Autorin: Vertraue niemals einem Mann in einem Kleid.
Rowling erklärt sich
Auf ihrer eigenen Website veröffentlicht Rowling anlässlich der vielen Kontroversen einen längeren Text, um sich zu erklären. Hier äußert sie ihre Besorgnis über den Trans-Aktivismus. Dieser habe das Ziel, die Definition des biologischen Geschlechts zu untergraben und mit dem sozialen Geschlecht zu ersetzen, meint Rowling.
Die Autorin stellt klar: „Ich glaube, dass die Mehrheit der transidentifizierten Personen nicht nur keine Bedrohung für andere darstellt, sondern (…) verwundbar ist. Trans Menschen brauchen und verdienen Schutz. Wie Frauen werden sie höchstwahrscheinlich von Sexualpartnern getötet. Besonders gefährdet sind trans Frauen, die in der Sexindustrie arbeiten, insbesondere schwarze trans Frauen. Wie jede andere Überlebende von häuslicher Gewalt und sexuellen Übergriffen, die ich kenne, empfinde ich nichts als Empathie und Solidarität mit trans Frauen, die von Männern missbraucht wurden.“
Gleichzeitig aber, schreibt Rowling weiter, wolle sie biologische Frauen nicht weniger sicher machen. „Wenn Sie jedem Mann, der glaubt oder sich fühlt, eine Frau zu sein, die Türen zu Badezimmern und Umkleidekabinen öffnen – und wie gesagt, Geschlechtsbestätigungen können jetzt ohne Operation oder Hormone ausgestellt werden – dann öffnen Sie die Tür an alle Männer, die hereinkommen möchten. Das ist die einfache Wahrheit.“
Feminismus, aber nicht für trans Frauen
Kritikerinnen und Kritiker haben ein Wort für die Position Rowlings erfunden: Trans-Exclusionary Radical Feminism. Es meint Feministinnen, die sich zwar für Minderheiten einsetzen und durchaus progressive Positionen vertreten können – aber trans Personen davon ausschließen. Abwertend dafür wird heute die Kurzform TERF verwendet, die allerdings auch als Beleidigung angesehen wird.
Erstmals beschrieben wurde das Phänomen Ende der 2000er-Jahre von der feministischen Bloggerin Viv Smythe. Sie hatte radikal feministische Standpunkte untersucht und mit TERF eine neutrale Bezeichnung für die genannte Gruppe geschaffen. Als Vertreterinnen dieser Positionen gelten neben Rowling auch die Philosophin Kathleen Stock, die verstorbene britische YouTuberin Magdalen Berns und die US-amerikanisch-tschechische Tennisspielerin Martina Navratilova. Im deutschsprachigen Raum veröffentlichte die Feministin Alice Schwarzer 2019 in der „Emma“ ein Dossier über Transsexualität, das diese Positionen widerspiegelt.
Ein wiederkehrendes Kernthema der Position ist die angebliche Gefahr, die insbesondere von trans Frauen ausgehe. Immer wieder verweisen die Akteurinnen und Akteure auf mögliche Gefahren etwa in Umkleidekabinen von Fitnessstudios, in die sich dann jeder Mann einfach hineinschleichen könne, sofern er sich nur als Frau definiere. Während Trans-Aktivistinnen und -Aktivisten dafür plädieren, den Geschlechtereintrag im Personalausweis mit weniger Hürden zu erlauben, fordern trans-exkludierende Feministinnen das Gegenteil – oder gar eine Verschärfung der Gesetze.
Häufig als mahnendes Beispiel genannt werden vereinzelte Fälle, die sich in Gefängnissen zugetragen haben. 2018 etwa wurde die trans Frau Karen White in Großbritannien verurteilt, weil sie in und außerhalb der Haft Frauen vergewaltigt hatte. Zuletzt hatte ein Fall in Schottland für Aufsehen gesorgt – auch hier hatte eine trans Frau zwei Frauen vergewaltigt. Befürchtet wurde, dass die Sexualstraftäterin nun ins Frauengefängnis kommen könnte – das Parlament in Edinburgh dementierte das später.
Eine Recherche und ihre Folgen
Rowling erklärt in dem Text, dass sie ungefähr zwei Jahre vor der Forstater-Debatte angefangen habe, sich mit dem Thema zu beschäftigen – das fällt ungefähr in die Zeit ihrer ersten Tweets zu dem Thema. Ursprünglich habe sie dies aus beruflichen Gründen getan, weil sie an einer Figur für eine Krimiserie gearbeitet habe. Sie habe sich mit trans Menschen getroffen und Bücher, Blogs und Artikel gewälzt.
Parallel zur Recherche habe sie Anfeindungen aus der Trans-Community erlebt – etwa als sie begonnen habe, Magdalen Berns auf Twitter zu folgen, der bereits erwähnten Youtuberin, die 2019 verstarb.
Rowling untermauert ihre Zeilen auch mit eigenen Erfahrungen. Sie selbst habe sexuelle Übergriffe und häusliche Gewalt erlebt, beschreibt sich selbst als „Überlebende“ dieser. „Ich erwähne diese Dinge jetzt nicht, um Sympathie zu gewinnen, sondern aus Solidarität mit der großen Anzahl von Frauen, die eine Geschichte wie meine haben, die als Fanatiker beschimpft wurden, weil sie Bedenken in Bezug auf gleichgeschlechtliche Räume haben.“
Gewalt an trans Personen nimmt zu
All das könnte erklären, warum sich J. K. Rowling immer wieder und so intensiv an die Debatte klammert. Eine offenbar allzu ausufernde Recherche zu einem hoch komplexen Thema, gemischt mit persönlichen Erfahrungen und Anfeindungen von Trans-Aktivistinnen und ‑Aktivisten, die Rowling heute als ihre Feinde zu begreifen scheint. Die „Harry Potter“-Autorin scheint sich verrannt zu haben. Festgebissen an einem Thema, dessen Eigenwahrnehmung jedoch deutlich mit der Realität kollidieren dürfte.
Vereinzelte Missbrauchsfälle unter Beteiligung von trans Frauen in Gefängnissen mag es gegeben haben. Ein Muster lässt sich daraus aber nur schwer zusammendichten. Und insbesondere die vermeintliche Gefahr in der Umkleidekabine ist bislang ein rein fiktionales Szenario: Öffentlich bekannte Fälle dieser Art gibt es schlichtweg nicht.
Weitaus verbreiteter ist derweil die Gewalt, die an trans Menschen verübt wird. Allein in Deutschland erschütterten in der vergangenen CSD-Saison zwei Fälle die LGBTQ+-Community. In Bremen war eine trans Frau von einer Gruppe Jugendlicher attackiert und verletzt worden, in Münster starb ein trans Mann nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma. Der 25-Jährige war auf dem Christopher Street Day verprügelt worden, als er zwei Frauen zur Seite gesprungen war. Laut Verbänden nehmen Hassverbrechen seit Jahren zu.
Boykottaufrufe zu „Hogwarts Legacy“
Zugleich setzen rechte Parteien und Gruppierungen das Thema immer wieder auf die Agenda. Der frühere US-Präsident Donald Trump hatte erst vor einigen Tagen in einer Rede angekündigt, er werde im Falle einer Wiederwahl eine umfassende Rücknahme der Transgender-Rechte in den USA auf Bundesebene umsetzen. „Der linke Geschlechtswahnsinn, der unseren Kindern aufgezwungen wird, ist ein Akt des Kindesmissbrauchs. Ganz einfach.“ Ausgerechnet Trump, mit dem Rowling jahrelang im Clinch lag, dürfte mittlerweile von ihren eigenen Positionen kaum noch weit entfernt sein.
Nicht zuletzt deshalb haben Fans für Rowlings immer neue Einlassungen zum Thema kein Verständnis mehr. Das am Freitag erscheinende Videospiel „Hogwarts Legacy“ hat erneut eine Debatte um die Positionen der Autorin ausgelöst. Weil Rowling mit dem Spiel auch Lizenzeinnahmen erhält, rufen frühere Fans nun zum Boykott auf.
Der Herausgeber Warner Bros. hat sich schon mal vorsorglich in einem FAQ von der Autorin distanziert: „Hogwarts Legacy“ sei „keine neue Geschichte von J. K. Rowling“ und die Autorin sei „nicht direkt an der Entwicklung des Spiels beteiligt“. In den vergangenen Jahren hatten sich bereits zahlreiche Kolleginnen und Kollegen von der Autorin distanziert, darunter die Darsteller Daniel Radcliffe, Emma Watson, Rupert Grint und Eddie Redmayne.