- Mit dem Todestag von Sophie Scholl endet auch ein umstrittenes Instagram-Projekt.
- Bei „Ich bin Sophie Scholl“ hatten SWR und BR die letzten Monate der Widerstandskämpferin aus der Ich-Perspektive nacherzählt.
- Die Community feiert das Projekt - Expertinnen und Experten halten die Aufarbeitung für schwierig.
Hannover – Gut gemeint ist nicht immer auch gut gemacht. Ungefähr so lässt sich der 23 Minuten lange Rant zusammenfassen, den Satiriker Jan Böhmermann in der aktuellen Ausgabe seines „ZDF Magazin Royale“ dem Instagram-Account „Ich bin Sophie Scholl“ widmet.
„Ich weiß nicht, ob das so gut ist für unsere deutsche Erinnerungskultur, wenn uns eine ‚ein Stück weit fiktionalisierte‘ leicht verpennte Vierzigerjahre Caro Daur aus dem Bett heraus bei Instagram erklärt, was damals so abging und was nicht“, schimpft Böhmermann.
Mit dem Projekt werde Geschichte zu Fiktion und Kitsch gemacht – und das begünstige schließlich, dass Figuren wie Sophie Scholl von der falschen Seiten instrumentalisiert würden, etwa von „Querdenkern“ oder der AfD.
Sophie Scholl als Influencerin
Der Account, der Böhmermann so wütend macht, ist ein Gemeinschaftsprojekt der öffentlich-rechtlichen Anstalten SWR und BR. Das Ziel: Jungen Leuten soll die Geschichte der Geschwister Scholl näher gebracht werden, die am 22. Februar 1943 als Widerstandskämpfer von den Nazis hingerichtet wurden.
In bekannter Influencer-Manier zeigt Sophie Scholl, gespielt von Luna Wedler, ihren Alltag im Widerstand – als hätte es Instagram vor 79 Jahren schon gegeben. Rund zehn Monate lang lief das Projekt – an diesem Dienstag endet es, am Todestag von Sophie und Hans Scholl.
Vorbild für „Ich bin Sophie Scholl“ sind die „Eva Stories“ des israelischen Regisseurs Matti Kochavi – ein Instagram-Account, der in gleicher Manier die Geschichte des jüdischen Mädchens Eva Heymann nacherzählt, das 1944 in Ausschwitz ermordet wurde. Geht es nach Böhmermann, so wurde die deutsche Version rund um Sophie Scholl jedoch deutlich schlechter aufgezogen.
Verdrehte Fakten und kein Kontext
Der Satiriker stört sich vor allem an der an Influencer erinnernden Aufmachung der Videos und Bilder – und an der Vermischung von Fakten und Fiktion. So gibt es beispielsweise ein Video, in dem die fiktive Sophie Scholl mit vom Kochen verschmierten Fingern albern hinter einer Freundin herläuft. Ein anderes zeigt, wie Bruder Hans lautstark im Nebenzimmer Sex hat, während sich Schwester Sophie von den Geräuschen genervt zeigt. Und dann antwortet Sophie Scholl ihren Followern auch noch in blumiger Sprache in den Kommentaren – „ziemlich erfunden“, wie Böhmermann anmerkt.
Oft seien die dargestellten Fakten auch noch falsch. Und auch der Kontext zum Gezeigten werde häufig nicht geliefert. In den Kommentarspalten des Instagram-Kanals habe derweil der deutsche Opferkult ein neues Zuhause gefunden. Hier lieferten unzählige Kommentatorinnen und Kommentatoren die rührseligen Geschichten ihrer Großeltern, die dort größtenteils als Opfer dargestellt würden aber nicht als Täter.
Ist „Ich bin Sophie Scholl“ tatsächlich eine völlig verunglückte Form deutscher Erinnerungskultur?
Digitale Bildungsarbeit ist wichtig
Céline Wendelgaß von der Bildungsstätte Anne Frank möchte nur ungern pauschale Kritik an dem Projekt üben. Grundsätzlich sei es wichtig, Dinge auszuprobieren, sagt die Bildungsreferentin dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) – dazu gehörten durchaus auch Projekte in den sozialen Medien. Ein Account wie „Ich bin Sophie Scholl“ und dessen Aufmachung sei also grundsätzlich legitim.
„Was mir allerdings nicht ganz klar wird, ist die Motivation hinter dem Projekt“, sagt Wendelgaß. Bei dem Instagram-Account fehle klar der pädagogische Rahmen - die Zuschauerin und der Zuschauer würden mit dem Gesehenen nahezu allein gelassen. Eine echte Begleit-Website mit tiefergehenden Informationen gebe es beispielsweise nicht: Die Website des SWR-Formats „Planet Schule“ beispielsweise postet nur die Instagram-Videos der Protagonistin - auf der Projekt-Website des SWR finden sich nur eine Handvoll Filme aus der Mediathek, allerdings ohne Bezug auf das Gezeigte.
Das sei insofern problematisch, weil die Posts diverse Narrative nährten, die faktisch widerlegbar seien, sagt Wendelgaß. „Sie suggerieren, dass es in Deutschland sehr viel Widerstand gegeben hätte, was faktisch nicht der Fall ist“, so die Expertin. „Bleibt das unkommentiert so stehen, können daraus beim Zuschauer wirklich schwierige Schlüsse gezogen werden.“
Opfernarrativ wird bedient
Der zweite Kritikpunkt sei das von Böhmermann angesprochene Opfernarrativ, das in keiner Weise eingeordnet werde. Der Account sei auf Interaktion ausgelegt - die rührseligen Geschichten der Großväter in den Kommentarspalten würden vom Account, und damit in gewisser Form von Sophie Scholl beantwortet, etwa mit den Worten „Wie möchten dir unser herzlichstes Beileid für deinen Verlust aussprechen.“
Wendelgaß hält das für „schwierig“: „Das stärkt ein deutsches Opfernarrativ, in dem die deutschen Soldaten ausschließlich als traumatisierte Personen dargestellt werden – ohne dass die von deutschen Soldaten begangenen Kriegsverbrechen an der Ostfront thematisiert würden.“
Wendelgaß wünscht sich, dass das Projekt zumindest jetzt im Nachgang mehr Bildungsarbeit und mehr Kontext liefere. „Das Instagram-Profil sollte bestehen bleiben und das Gezeigte einordnen“, schlägt die Expertin vor. Auch eine Auseinandersetzung mit der Kritik sei wichtig. „Es kann bei solchen neuartigen Projekten immer passieren, dass Dinge nicht so laufen wie sie gedacht waren – das heißt mitnichten, dass man von innovativen Social Media-Formaten für die historisch-politische Bildung die Finger lassen sollte. Aber man sollte sich jetzt mit der Rezeption und dem Kontext der Erzählung auseinandersetzen und nicht alles so stehen lassen.“
Immer wieder Kritik
Die Kritik am Projekt „Ich bin Sophie Scholl“ ist nicht neu. Schon zum Start des Instagram-Accounts im Frühjahr 2021 hatte der Autor Max Czollek das Projekt in der Schweizer „WOZ“ als „unverhohlene“ Wiederauflage der „Eva Stories“ bezeichnet. Sophie Scholl werde ein Jahrhundert nach ihrer Geburt „zu einer Art deutschen Anne Frank stilisiert“. Auch Czollek sieht hier eine „Verzerrung der historischen Wirklichkeit in der gegenwärtigen Erinnerungskultur“.
Die Autorin Nora Hespers („Mein Opa, sein Widerstand gegen die Nazis und ich“) kritisierte das Format auf dem medienkritischen Portal „Übermedien“. Auch ihr fehlt bei vielen Posts der Kontext. So würden auf dem Instagram-Profil etwa Zeichnungen gezeigt - aber nicht erklärt, woher diese eigentlich stammen. „Ist die Zeichnung ein Original von Sophie Scholl? Ist der Text darunter ein Zitat aus einem ihrer Briefe?“ Erst auf Nachfrage gebe es die Antwort in den Kommentaren.
Auch das Narrativ der Großelterngeneration ist Teil von Hespers Kritik. Und die Kommentare unter den Posts bereiteten der Autorin gar „Bauchschmerzen“. Diese zeigten „deutlich, wie wenig Wissen über den Nationalsozialismus eigentlich in der breiten Masse vorhanden ist. Wie wenig hier vorausgesetzt werden kann. Wie viele die Kontexte, an denen sich hier orientiert wird, überhaupt nicht kennen.“
Noch erschreckender sei nur, „wie sich in diesem Unwissen auch noch Narrative breit machen, die den Nationalsozialismus in seiner Grausamkeit und seinen Auswirkungen nicht begreifen und sogar noch verklären. Ob sich das auflösen lässt, indem man langsam aber sicher miterlebt, wie die geliebte Heldin in die Fänge der Nazis gelangt – ich habe da so meine Zweifel“, schreibt Hespers.
Die Community ist begeistert
Die Reaktionen aus der Community auf das Projekt „Ich bin Sophie Scholl“ könnten derweil unterschiedlicher nicht sein. Im aktuellsten Post, der von der Verhaftung Scholls berichtet, überschlagen sich Kommentatorinnen und Kommentatoren geradezu mit Lob.
„Als ich im Mai letzten Jahres angefangen habe zu folgen hatte ich immer sehr großen Respekt vor dieser Woche - man wusste ja wie es ausgeht, aber wie ihr es umgesetzt habt ist wirklich würdig und respektvoll“, schreibt beispielsweise ein Nutzer. „Es fühlt sich durch die ganzen Monate so an, als ob man Sophie und Hans persönlich kennt. Umso ergreifender ist es jetzt, ihren Tod quasi mit zu erleben“, schreibt ein anderer.
Eine Nutzerin meint: „Ich finde diese Seite so unfassbar gelungen. Ich habe so mitgefiebert und bin geschockt das die Geschichte so wenig Beachtung in den Schulen bekommt. Da müsste echt mal der Lehrplan angepasst werden.“ Und ein weiter schreibt: „Der Grimme Online Award ist euch sicher. Danke für die Arbeit und die Vermittlung von Wissen, welches auch zusätzlich noch Empathie erschafft hat.“
Spielerische Fiktion
Und auch die Produzenten des Formats können der Kritik nicht allzu viel abzugewinnen. „Seit Beginn der Serie wirft man uns eine Entkontextualisierung [der Person Sophie Scholl] vor. Aber was wir machen, ist Fiktion – auf der Basis einer realen Figur“, sagte Fernsehfilmredakteur Ulrich Herrmann, einer der drei Hauptverantwortlichen des Projektes dem „Spiegel“. Das Team des Community-Managements liefere in den Kommentaren immer wieder Hintergründe.
Die Vermischung von Fakten und Fiktion erklärt der Macher so: „Ich finde, wir dürfen spielerisch mit Fiktion umgehen, solange es in der Erlebniswelt von Sophie Scholl genau so hätte stattfinden können. Das war unser Maßstab.“ Man habe auch keine Heldinnengeschichte erzählt, sondern die Realität einer jungen Frau im Nationalsozialismus.
Letzter Post aus der Haft
Diese Geschichte ist nun auf Instagram zu Ende. Der offenbar letzte Post der fiktionalisierten Sophie Scholl war bereits am 18. Februar auf dem Instagram-Profil zu sehen. Er zeigt die Protagonistin bei ihrer Verhaftung. Seither ist die Instagram-Story verstummt - der Account postete stattdessen drei längere Texte der weiteren Ereignisse.
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Céline Wendelgaß ist nun gespannt, wie der Tod Sophie Scholls auf Instagram thematisiert wird - und ob das in einem angemessenen Rahmen geschieht. Ihr Wunsch nach einer Nachbereitung der gezeigten Szenen könnte sich derweil durchaus erfüllen.
Laut Fernsehredakteur Ulrich Herrmann seien Livetalks geplant, in denen man sich noch mal mit dem Format auseinandersetzen wolle. Die gezeigten Videos und Posts sollen für insgesamt fünf Jahre auf dem Instagram-Account online bleiben. (rnd)