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Diskussion ImpfpflichtWarum die Debatte im Bundestag nicht voranschreitet

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Abgeordnete nehmen an der Sitzung im Bundestag teil.

Berlin – Für die einen gilt sie als das wirksamste Mittel im Kampf gegen die Corona-Pandemie, für andere bedeutet sie eine Verletzung der Menschenwürde und damit einen Verfassungsbruch: Eine allgemeine Impfpflicht.

Lange wurde sie von den demokratischen Parteien nicht nur abgelehnt, sondern sogar explizit ausgeschlossen. Doch angesichts der weiterhin zu niedrigen Impfquote hat sich der Wind gedreht: Die Ampelkoalition will mehrheitlich eine Impfpflicht für alle ab 18 Jahren. Die Zusage von Kanzler Olaf Scholz (SPD), eine Impfpflicht werde bis Anfang März kommen, ist aller Voraussicht nach jedoch nicht zu halten.

Ohnehin sieht es derzeit danach aus, als werde es am Ende keine allgemeine, sondern allenfalls eine auf bestimmte Altersgruppen beschränkte Impfpflicht geben. Denn das Vorhaben ist zum Spielball parteipolitischer Interessen geworden – obwohl die massive Omikron-Welle bereits durchs Land zieht und ein Ende der Pandemie nicht absehbar ist.

Impfpflicht sollte über Gruppenanträge zu Stande kommen

Es war der jetzige Justizminister Marco Buschmann (FDP), der Ende November die Initiative ergriff, um die Ampelparteien vor einem ersten Konflikt zu bewahren: Er schlug vor, dass die Impfpflicht durch Gruppenanträge im Bundestag zu Stande kommen soll, über die die Abgeordneten allein nach ihrem Gewissen ohne Fraktionsdisziplin abstimmen sollen. Denn Buschmann wusste, dass es in seiner eigenen Fraktion einige Gegner einer Impfpflicht gibt, die sich einer Koalitionsdisziplin in dieser Frage nicht beugen wollen.

Wie stark der Widerstand tatsächlich ist, zeigte sich bereits einige Tage später: Mitte Dezember preschte eine Gruppe von mehr als 20 FDP-Abgeordneten um Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki mit einem Antragsentwurf vor, mit dem ein Beschluss des Parlaments gegen die Einführung einer Impfpflicht herbeigeführt werden soll.

Union wittert Chance

Damit wurde jedoch gleichzeitig aktenkundig, dass die Ampelkoalition höchstwahrscheinlich keine eigene Mehrheit für eine allgemeine Impfpflicht zusammenbekommt – was Buschmann so sicherlich nicht beabsichtigt hatte. Seitdem wittert nämlich die Union ihre Chance, Kanzler Scholz, der sich zuletzt am Mittwoch bei der Fragestunde im Bundestag für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen hat, eine Niederlage beizubringen.

Das in der Union diskutierte Vorgehen: Einen Gesetzesvorschlag pro Impfpflicht aus den Reihen der Ampelkoalition abwarten, dann einen eigenen Gegenentwurf vorlegen und die Ampel auf diesen Kurs zwingen. Um das durchzusetzen, soll die Abstimmung in der Unionsfraktion nicht frei gegeben werden. Politiker von CDU und CSU dürfen sich damit auch nicht Gruppenanträgen aus anderen Fraktionen anschließen. „Wir werden die Ampel jetzt treiben und quälen“, so ein Unionsabgeordneter.

Eine glatte Ablehnung der Impfpflicht können sich CDU und CSU im Bundestag allerdings nicht leisten, schließlich sind auch die Unions-Ministerpräsidenten für eine Impfpflicht, allen voran Hendrik Wüst (Nordrhein-Westfalen), Michael Kretschmer und Markus Söder (CSU, Bayern). Deshalb ist eine Art Kompromissmodell im Gespräch: eine Impfpflicht nur für Menschen ab 50 Jahren, wie es gerade in Italien eingeführt wurde.

Gesundheitssystem soll vor Überlastung geschützt werden

Der Vorschlag stammt unter anderem vom CSU-Gesundheitspolitiker Stephan Pilsinger. Der wurde zwar von der Fraktionsführung öffentlich zurückgepfiffen, weil der Eindruck entstanden war, Pilsinger plane nun doch einen eigenen Gruppenantrag – was falsch war. Nach wie vor gilt dieses Modell aber als möglicher Gesetzesantrag der gesamten Unionsfraktion.

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Pilsinger ist jedenfalls davon überzeugt, dass die Ü50-Impflicht ein geeigneter Weg ist. Das Ziel müsse sein, das Gesundheitswesen effektiv vor Überlastung zu schützen, dabei aber die Freiheitseingriffe so gering wie möglich zu halten, argumentiert er. Das werde am besten mit einer Impfpflicht für über 50-Jährige erreicht, weil sie das größte Risiko hätten, bei einer Corona-Infektion auf einer Intensivstation zu landen.

Bei einer Abstimmung im Bundestag ist dann folgendes Szenario nicht unwahrscheinlich: Eine von großen Teilen der Ampelparteien getragener Antrag zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht scheitert, weil der Widerstand in den eigenen Reihen doch zu groß ist, und die Union, die Linkspartei und die AfD dagegen stimmen. Damit am Ende überhaupt eine Form der Impfpflicht kommt, sehen sich die Befürworter dann in einer weiteren Abstimmungsrunde gezwungen, für den Unionsantrag zu votieren.

Lauterbach rudert zurück

Dass dieses Szenario droht, ist inzwischen auch den Ampelkoalitionären klar. „Weil die Union rücksichtslos auf Opposition macht, ist die Lage ziemlich verfahren“, sagt ein Koalitionär. Allerdings ist an der Situation nicht allein die Union schuld. Mit seiner Ankündigung, einen Antrag für eine allgemeine Impflicht zu erarbeiten, hatte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Union empört.

Tatsächlich kann die Ansicht vertreten werden, dass sich der Minister in seiner herausgehobenen Position zurückhalten sollte, zumal es geübte Praxis ist, dass Ministerien bei Gruppenanträgen stets allen Seiten bei der Erstellung der Entwürfe helfen. Inzwischen ist Lauterbach zurückgerudert.

Der zweite Fehler der Ampel: Die Abstimmung über eine Impfpflicht ist nicht unbedingt eine Gewissensentscheidung. Auch bei der Einführung der Masern-Impfpflicht Ende 2019 gab es eine normale Abstimmung im Bundestag mit Gesetzesvorlagen der Regierung und verordneter Fraktionsdisziplin. Die Impfpflicht für das Klinik- und Pflegepersonal wurde von der Ampelkoalition im Dezember ebenfalls auf diesem Wege beschlossen. Doch inzwischen kann die Ampel nicht mehr zurück, um sich keine Blöße zu geben.

Unabhängig von der Frage der politischen Durchsetzbarkeit sind auch die juristischen Hürden extrem hoch. Unstrittig ist unter Juristen, dass eine Impfpflicht, also eine zwangsweise medizinische Behandlung – so sinnvoll sie auch sein mag, das Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Die Masern-Impfpflicht ist nicht vergleichbar: Sie konnte der Gesetzgeber mit dem Ziel rechtfertigen, diejenigen zu schützen, die sich nicht impfen lassen können, und die Krankheit perspektivisch auszurotten.

Das ist bei Masern möglich, weil die Impfung eine sterile Immunität verleiht, die dauerhaft eine erneute Erkrankung und damit die Weitergabe des Virus unterbindet. Eine Corona-Impfung leistet aber genau das nicht. Sie schützt in der Regel vor schweren Erkrankungen, verhindert aber nicht zuverlässig, dass Geimpfte erneut andere anstecken können.

Staat hat bei individuellem Schutz kein Eingriffsrecht

Damit handelt es sich bei dieser Impfung vorrangig um einen individuellen Schutz. Hier hat der Staat aber kein Eingriffsrecht. Niemand kann verpflichtet werden, gesund zu leben oder bei einer Erkrankung zum Arzt zu gehen. Zwar hat der Ethikrat inzwischen für eine Impfpflicht plädiert, um zum Beispiel einen Kollaps des Gesundheitswesens zu verhindern. Auffällig ist jedoch, dass fast alle Juristen in dem Gremium gegen die Empfehlung gestimmt haben.

Zudem ist völlig offen, wie lange die Impfpflicht gelten soll. Wird auch die vierte, fünfte oder sechste Booster-Impfung verpflichtend? Die Frage der Strafen für hartnäckige Impfverweigerer ist ebenso ungeklärt. Koalitionspolitiker haben mehrfach versichert, niemand müsse ins Gefängnis. Doch wer ein verhängtes Bußgeld nicht bezahlt, kann nach geltender Rechtslage in Erzwingungshaft gesteckt werden. Das müsste die Justiz dann auch im Fall eines Verstoßes gegen die Impfpflicht durchsetzen, um sich nicht unglaubwürdig zu machen.

Unklar ist auch, wie die Impfunwilligen überhaupt ausfindig gemacht werden, schließlich gibt es in Deutschland kein Impfregister. In Österreich ist das anders: Hier kann zur Durchsetzung der dort bereits beschlossenen Impfpflicht regelmäßig des Melde- mit dem existierenden nationalen Impfregister abgeglichen werden. Der Aufbau eines Registers auch hierzulande ist eher keine Lösung, denn das würde viel zu lange dauern.

Deshalb wird bei den Impfpflicht-Befürwortern eine in ihren Augen pragmatische, gleichwohl aber drastische Lösung diskutiert: Sie wollen auf jegliche Register verzichten, dafür aber gleichzeitig mit dem Scharfstellen der Impfpflicht in allen nicht essentiellen Einrichtungen des öffentlichen Lebens die 1G-Regel einführen – also Zutritt nur für Geimpfte oder sogar nur für Geboosterte. Diese Regel würde dann damit begründet, dass sie der Durchsetzung der allgemeinen Impfpflicht dient. Das soll Klagen gegen die strikte Vorschrift erschweren. Ob dieser Weg rechtssicher gestaltet werden kann, ist allerdings noch offen.

Impfpflicht kommt für Omikron-Welle zu spät

Selbst dann, wenn sich am Ende Ampel und Union doch noch auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen oder sich eine Impfpflicht mit Altersgrenze durchsetzt, kommt das Gesetz für die Bekämpfung der Omikron-Welle viel zu spät. Der Gruppenantrag für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren soll nach Angaben der SPD erst nach einer „Orientierungsdebatte“ im Bundestag Ende Januar vorgelegt werden. Wird das Gesetz dann Ende März oder im April in Bundestag und Bundesrat beschlossen, muss bisher Ungeimpften noch eine wochenlange Übergangsfrist eingeräumt werden, damit sie sich zwei- bis dreimal impfen lassen können. Vor dem Frühsommer kann die Impfpflicht damit gar nicht scharf gestellt werden. „Je länger wir für das Ganze brauchen, desto schwieriger wird es, die Impflicht tatsächlich auch durchzusetzen“, ist ein Koalitionär besorgt.

Für den Herbst könnte die Impfplicht aber noch rechtzeitig kommen. Virologen wie Christian Drosten halten dann trotz einer zunehmenden Durchseuchung der Bevölkerung mit der Omikron-Mutante weitere Booster-Impfungen für notwendig. Und Lauterbach warnt: „Wir müssen auch in Zukunft mit gefährlichen und besonders ansteckenden Varianten rechnen.“

Es könne aber davon ausgegangen werden, dass die Impfstoffe durch Anpassungen auch in Zukunft vor schweren Erkrankungen und Tod schützten, so der Minister am Donnerstag im Bundestag. Eine allgemeine Impfpflicht sei daher der sicherste und schnellste Weg raus aus der Pandemie. Lauterbach: „Wir beenden damit vermeidbares Leid, wir beenden damit einen Belagerungszustand der Gesellschaft durch ein Virus.“