Die am häufigsten ausgesprochene Beteuerung im Wahlkampf geht so: Man wolle das Fell des Bären nicht verteilen, bevor dieser erlegt sei. In diesem Fall ist der Souverän, also das Wahlvolk, der Bär, der die Macht zu verteilen hat. Und erst wenn man die Macht in Händen hält, will man sie verteilen. So weit die Theorie. In Wahrheit machen sich alle frühzeitig Gedanken, wer was in einer nächsten Regierung werden kann. Ein Überblick.
SPD
Hubertus Heil (48), geb. in Hildesheim, Niedersachsen: Als Arbeitsminister gilt Hubertus Heil als eines der erfolgreichsten Mitglieder der bisherigen Bundesregierung. Mit der Kurzarbeit hat sein Ministerium den Arbeitsmarkt in der Corona-Krise stabilisiert. Bei der Grundrente setzte er für die SPD ein Gesetz durch, das über den Koalitionsvertrag hinausgeht. Das Bundesarbeitsministerium dürfte das Ressort sein, auf das die SPD auf keinen Fall verzichten würde. Gute Chancen für Heil also.
Lars Klingbeil (43), geb. in Soltau, Niedersachsen: Momentan sieht alles danach aus, als hätte der SPD-Generalsekretär einen weit erfolgreicheren Wahlkampf organisiert, als irgendwer vorher gedacht hätte. Er ist also in der Position etwas zu fordern. Klingbeil gilt als Experte in den Themen Verteidigung und Digitalisierung. Womöglich wäre für ihn der Fraktionsvorsitz aber am attraktivsten.
Saskia Esken (60), geb. in Stuttgart, Baden-Württemberg: SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat bereits gesagt, dass er seine Parteichefin für ministrabel hält. Zudem wäre es strategisch klug von Scholz, Esken auf diese Weise in die Kabinettsdisziplin einzubinden. Esken kennt sich gut aus mit den Themen Digitalisierung und Bildung. Gemeinsam mit Kanzlerin Angela Merkel hat sie in der Corona-Krise Bildungsgipfel mit Länderchefs veranstaltet und dabei in Sachen Soforthilfe bei der digitalen Ausstattung einiges mitangeschoben. Sie fände den Job als Bildungsministerin sicher attraktiv.
Svenja Schulze (52), geb. in Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen: Umweltministerin Svenja Schulze ist bestens vernetzt im Landesverband Nordrhein-Westfalen. Olaf Scholz hat versprochen, das Bundeskabinett werde paritätisch mit Frauen und Männern besetzt, wenn er Kanzler werden sollte. Das Umweltministerium dürfte an die Grünen gehen. Aber Schulze könnte ein anderes Ressort bekommen.
Stefanie Hubig (52), geb. in Frankfurt am Main, Hessen: Die rheinland-pfälzische Bildungsministerin ist als Vorsitzende der Kultusministerkonferenz im Jahr 2020, also mitten in der Corona-Krise, bundesweit bekannt geworden. In der Vergangenheit war sie bereits Staatssekretärin im Bundesjustizministerium und wäre für das Amt der Ministerin dort qualifiziert.
Rolf Mützenich (62), geb. in Köln, Nordrhein-Westfalen: Rolf Mützenich ist in schwieriger Zeit SPD-Fraktionschef geworden und hat den Job nach Meinung der meisten in der SPD sehr gut gemacht. Falls er an der Fraktionsspitze nicht weitermachen will, käme er für ein Ministeramt infrage. Der langjährige Außenpolitiker könnte etwa das Entwicklungshilfeministerium übernehmen.
Karl Lauterbach (58), geb. in Düren, Nordhein-Westfalen: Karl Lauterbach ist als Gesundheitspolitiker mindestens so bekannt wie Gesundheitsminister Jens Spahn. Als Erklärer der Corona-Politik und Mahner für einen vorsichtigen Kurs ist er in eines der präsentesten Gesichter in der Pandemie. Sollte die SPD das Gesundheitsministerium übernehmen, wäre es schwer zu erklären, warum jemand anders als Lauterbach Minister werden sollte.
Matthias Miersch (52), geb. in Hannover, Niedersachsen: Matthias Miersch wäre schon beim letzten Mal beinahe Minister geworden. Er hätte damals gern das Umweltministerium bekommen. Das dürfte auch diesmal schwierig werden, da dieses Ressort an die Grünen gehen dürfte, falls sie in der Regierung sein sollten. Als starker Mann der Parlamentarischen Linken in der SPD gilt Miersch auch als Anwärter für den Fraktionsvorsitz. Sein Problem: Mit Hubertus Heil und Lars Klingbeil gibt es bereits mehrere Männer aus der niedersächsischen SPD, die in der ersten Reihe stehen.
CDU
Annegret Kramp-Karrenbauer (59), geb. in Völklingen, Saarland: Die Verteidigungsministerin steht wegen des Afghanistan-Einsatzes unter Druck, könnte von Laschet im Falle eines Wahlsiegs aber nur schwer aus dem Kabinett herausbefördert werden, weil sie als saarländische Ministerpräsidentin, Generalsekretärin und Parteivorsitzende der CDU viele Dienste geleistet hat. Administration ist ihr außerdem vertraut wie wenig Anderen.
Julia Klöckner (48), geb. in Bad Kreuznach, Rheinland-Pfalz: CDU-Vizechefin mit Konfliktpotential als Landwirtschaftsministerin. Bauernlobby und Klöckner haben es sich schwer gemacht, die Ministerin wurde einerseits ausgebremst und bezog andererseits für Erfolge wie das Ende des Kükenschredderns und der betäubungslosen Ferkelkastration viel Prügel. Sie könnte im Kabinett bleiben, aber an anderer Stelle.
Karin Prien (56), geb. in Amsterdam, Niederlande: Streitbare Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, die rechten Tendenzen in der Partei die Stirn bietet und sich dafür auch unerschrocken mit dem Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen anlegt. Fährt aber eine konservative Linie etwa bei der Gendersprache und verbietet das Sternchen an Schulen in ihrem Bundesland. Gute Mischung für Laschets Politik.
Friedrich Merz (65), geb. in Brilon, Nordrhein-Westfalen: So oft wie Armin Laschet seinen unterlegenen Konkurrenten um den CDU-Vorsitz gelobt und seine Nähe gesucht hat, könnte er Merz kaum einen Ministerposten verwehren. Außerdem gehörte er im Wahlkampf zu den loyalsten Unterstützern. Das Naheliegendste wäre das Wirtschaftsressort für Merz. Das hatte er – recht ungeschickt – bereits im Januar für sich im Kabinett Merkel eingefordert, die ihn abtropfen ließ.
Jens Spahn (41) geb. Ahaus, Nordrhein-Westfalen: Der Gesundheitsminister gilt als gesetzt. Spahn, der gern selbst Parteichef geworden wäre, hatte im Frühjahr 2020 Laschet den Vortritt bei der Kandidatur gelassen und sich als Nummer zwei in das Tandem mit ihm begeben. Allerdings würde Spahn gern das Gesundheitsministerium gegen ein anderes Ressort eintauschen. Er ist ein Mann, dem langweilig wird, wenn sich alles wiederholt.
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CSU
Dorothee Bär (43), geb. in Bamberg, Bayern: An der Staatsministerin für Digitalisierung im Kanzleramt käme die CSU nicht vorbei. In der zu Ende gehenden Legislaturperiode hat die Partei allen Ernstes nur Männer zu Ministern gemacht, obwohl Bärs Qualifikation nicht schlechter war. Da die Union auch ein Digitalisierungsministerium schaffen will, wäre sie eine Anwärterin dafür. Die CSU will aber unbedingt das Landwirtschaftsministerium haben. Das könnte im Fall der Fälle auch an sie gehen.
Ilse Aigner (56), geb. in Feldkirchen, Bayern: Die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin und jetzige bayerische Landtagspräsidentin wurde während des Wahlkampfs immer wieder für Höheres gehandelt – in der Union wurde ihr Name als mögliche Bundespräsidentin genannt. Eine Rückkehr ins Kabinett gilt als auch nicht als ausgeschlossen.
Stephan Mayer (47), geb. in Burghausen, Bayern: Der Staatssekretär im Bundesinnenministerium galt schon in dieser Wahlperiode als potenzieller Nachfolger von Horst Seehofer, falls dieser zurückgetreten wäre. In der Flüchtlingspolitik stand er an der Seite der Hardliner der CSU. Im Gespräch für das Bundesinnenministerium war schon früh auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (64, geb. in München).
Stefan Müller (46), geb. in Neustadt an der Aisch, Bayern: Langjähriger Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag und von 2013 bis 2017 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesbildungsministerium. Dies könnte für ihn auch als Minister in Frage kommen.
Grüne
Annalena Baerbock (40), geb. in Hannover, Niedersachsen: Wenn die Grünen in die Regierung kommen, aber sie nicht anführen, ist Baerbock als Ministerin gesetzt. Sie wird für das Außenamt gehandelt. Auch andere Ressorts wären denkbar, zum Beispiel das Klimaministerium. Auch wenn das Wahlergebnis für die Grünen - gemessen an den ursprünglichen Erwartungen - eher enttäuschend ausfallen sollte, dürfte die Parteichefin Ministerin werden.
Robert Habeck (52), geb. in Lübeck, Schleswig-Holstein: Bekannt ist, dass Robert Habeck gerne Finanzminister werden möchte. Sollte es zu einer Regierungskonstellation kommen, in der auch die Liberalen mit im Bunde sind, hat Habeck mit FDP-Chef Lindner einen harten Konkurrenten. Der Grünen-Chef könnte auch Chef eines Klimaministeriums werden. Offen ist, ob er bei den Grünen als erstes und damit auf das meisten prestigeträchtige Ministerium zugreifen könnte, nachdem er Baerbock den Vortritt bei der Kanzlerkandidatur gelassen hat.
Katrin Göring-Eckardt (55), geb. Friedrichsroda, Thüringen: Schon bei den Jamaika-Sondierungen 2017 gehörte die Fraktionschefin der Grünen zu den heißen Anwärterinnen auf ein Ministeramt. Sie käme für Arbeit und Soziales, Familie oder Bildung in Frage. Es wird auch immer mal wieder spekuliert, dass KGE, wie sie bei den Grünen genannt wird, Teil eines Koalitionsdeals werden könnte, nach dem die Grünen mit ihr die erste Bundespräsidentin stellen könnten.
Irene Mihalic (44), geb. Waldbröl, Nordrhein-Westfalen: Die Polizeibeamtin, promovierte Kriminologin und innenpolitische Sprecherin der Fraktion wäre für das Innenministerium eine interessante Besetzung. Bislang haben die Grünen dieses Ressort gerne ihre jeweiligen Koalitionspartnern überlassen. Mihalic ist in Sachen Innenpolitik eindeutig eine Realpolitikerin, die klar und volksnah Position beziehen kann.
Anton Hofreiter (51), geb. München, Bayern: Für ihre Kabinettsaufstellung werden die Grünen auch ihren linken Flügel bedienen müssen, zu dem der Fraktionschef zählt. Bevor er mit Göring-Eckardt die Fraktion anführte, war er als Fachpolitiker profilierter Verkehrsexperte. Er könnte also das Verkehrsministerium übernehmen. Denkbar wäre für den promovierten Biologen auch das Umwelt- oder das Agrarressort.
FDP
Christian Lindner (42), geb. in Wuppertal, Nordrhein-Westfalen: Selten hat jemand vorab so deutlich gemacht, welchen Posten er in einer Regierung haben möchte. Lindner strebt das Finanzministerium an – und dürfte es auch bekommen, wenn in einer Jamaika-Koalition oder einem Ampel-Bündnis regiert wird. Voraussichtlich werden Union und SPD um die FDP werben. Es wird zugleich schwierig für Lindner, sich diesmal wieder komplett einer Regierungsbeteiligung zu verweigern.
Volker Wissing (51), geb. in Landau in der Pfalz, Rheinland Pfalz: FDP-Generalsekretär Volker Wissing gilt als einer derjenigen, die in der Pandemie die FDP wieder in die Erfolgsspur gebracht haben. Er war Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz und könnte das Amt auch auf Bundesebene ausfüllen. Aus Rheinland-Pfalz bringt er Erfahrung in der Zusammenarbeit in einer Ampel-Koalition mit.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann (63), geb. in Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen: Oberbürgermeisterin von Düsseldorf ist Marie-Agnes Strack-Zimmermann, trotz einer mit Verve betriebenen Kandidatur, nicht geworden. Aber als Verteidigungspolitikerin hat sie sich im Bundestag in den vergangenen vier Jahren stark profiliert. Mit ihrer gelegentlich ruppigen Art käme sie als Verteidigungsministerin bei der Truppe vermutlich gut an. Und: Auch die FDP wird darauf achten müssen, nicht nur Männer ins Kabinett zu schicken.
Bettina Stark-Watzinger (53), geb. in Frankfurt am Main, Hessen: Bettina Stark-Watzinger ist FDP-Vorsitzende in Hessen. Sie war zeitweise Vorsitzende des Finanzausschusses im Bundestag, bis sie in ihrer Fraktion neue Verantwortung als Parlamentarische Geschäftsführerin übernahm. Als ministrabel gilt sie auf jeden Fall – ihr Spezialgebiet, die Finanzen, will aber Christian Lindner übernehmen.
Linke
Katja Kipping (43), geb. in Dresden, Sachsen: Langjährige Parteichefin der Linken (2012 bis 2021), Bundestagsabgeordnete mit sozialpolitischem Profil, harte Verteilungskämpfe aus der eigenen Partei gewöhnt, ihre schärfste Kritikerin war Linken-Frontfrau Sahra Wagenknecht. Großes Ziel: Bedingungsloses Grundeinkommen für alle, die das wollen. Traum: Sozialministerin.
Susanne Hennig-Wellsow (43), geb. in Demmin, Mecklenburg-Vorpommern: Früher Eisschnellläuferin, seit Februar Parteivorsitzende der Linken, langjährige Partei- und Fraktionschefin in Thüringen, wo sie die bundesweit einzige Regierungsführung der Linken von Ministerpräsident Bodo Ramelow durch recht resolute Führung stabilisierte. Zählt zum pragmatischen, nach Regierungsverantwortung strebenden Flügel. Allerdings ist sie bisher nicht durch eigene Ambitionen aufgefallen, im Fall der Fälle ein Regierungsamt übernehmen zu wollen – ebenso wenig wie ihre Co-Parteichefin und Spitzenkandidatin Janine Wissler. Die Partei würde sich voraussichtlich nach Linke-Ministerinnen in den Ländern umschauen – etwa in Bremen, um auch ein Westgewicht einzubringen. Dort ist Kristina Vogt (56, geb. in Münster, NRW) Wirtschafts- und Arbeitsministerin.
Dietmar Bartsch (63), geb. in Stralsund, Mecklenburg-Vorpommern: Seit ewigen Zeiten in der Linken, früher SED-Mitglied, alle Kämpfe in der gut 30-jährigen Geschichte der Nachfolgeparteien mitausgefochten, gilt als Reformer – so sehr, dass er auch als SPD-Mitglied durchgehen könnte. Seit 2015 Co-Fraktionschef und Spitzenkandidat. Ziel: Regierungsbeteiligung der Linken bevor er in Rente geht.
Matthias Höhn (46), geb. in Stolberg im Harz, Sachsen-Anhalt: Verstand sich als Bundesgeschäftsführer zum Schluss nicht mehr mit Kipping und trat zurück, verfolgt aber im Bundestag selbstbewusst seinen Reformkurs für die Linke. Er stimmte im August als Einziger seiner Fraktion für das Evakuierungsmandat der Bundeswehr in Afghanistan.