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Kommentar zur Evakuierung in AfghanistanMoralischer Bankrott trifft Führungsversagen

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Innenminister Horst Seehofer blockierte eine unbürokratische Lösung zur Rettung der Ortskräfte.

Sicher: An ein so rasante Machtübernahme der Taliban hat bis zum Schluss niemand geglaubt. Was man der Bundesregierung deshalb vorwerfen kann, ist also höchstens, dass es dafür keinen Notfallplan gab.

Doch inzwischen ergibt sich aus vertraulichen Papieren und Ausschusssitzungen ein Bild, angesichts dessen man die Regierung heftig kritisieren muss. Demnach haben Auswärtiges Amt, Verteidigungs- und Innenministerium bereits seit Anfang Juni über die Rettung der Ortskräfte gestritten - jener Menschen, die deutsche Aufbauhelfer und vor allem die Bundeswehr-Angehörigen jahrelang unterstützten, ihr Leib und Leben beschützten.

Ende Juni gab es sogar konkrete Flüge für sie, aber Unklarheiten zu Visa und anderen Papieren. Es wäre der Moment gewesen, von deutscher Gründlichkeit auf deutsche Flexibilität umzuschalten, wie Angela Merkel es während der Flüchtlingskrise ausdrückte.

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Doch das Trauma des damaligen Asylstreits sitzt noch immer so tief, dass sich Innenminister Seehofer weigerte, das Verfahren zu vereinfachen oder in Deutschland nachzuholen. Stattdessen beharrte er in Deutschland darauf, weiter nach Afghanistan abzuschieben - und ließ so die Gelegenheit verstreichen, die Menschen rechtzeitig vor den Taliban zu retten. Bewusst riskierte Seehofer die Leben jener Afghanen, die den Versprechen und angeblichen Idealen der Bundesrepublik jahrelang geglaubt und sich dafür in Gefahr gebrachten hatten. Ebenso verantwortlich für diesen moralischen Bankrott ist die Kanzlerin, die - wohl auch als Spätfolge von 2015 - den Konflikt mit Seehofer scheute, statt ihn zu überstimmen.

Es ist sicher kritikwürdig, dass der Bundesnachrichtendienst intern bis zuletzt versicherte, dass die “Taliban-Führung derzeit kein Interesse an der militärischen Einnahme Kabuls“ habe und damit Last-minute-Rettungen verhinderte. Aber dass Seehofer wochenlang nur aus Schikane oder Wahlkampfkalkül eine Lösung blockieren konnte, ist schlicht eine Schande.