Spahn kontert Merz bei „Maischberger“„Ein bisschen Aufbruch kriege ich auch noch hin“
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Jens Spahn (CDU) ist derzeit ein vielbeschäftigter Mann. Mehr noch, als ohnehin schon in seiner Rolle als Bundesgesundheitsminister. Am Dienstagmorgen erklärte er einigermaßen überraschend, aus freien Stücken auf den Parteivorsitz zu verzichten und stattdessen den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet im Rennen um die CDU-Spitze zu unterstützen.
Nur wenige Stunden später reiste er nach Italien, um dort an einer Krisensitzung mit mehreren europäischen Gesundheitsministern teilzunehmen und über den richtigen Umgang mit dem Coronavirus angesichts der rasanten Ausbreitung zu beratschlagen. Und am Mittwoch stand Spahn noch in anderer Causa im Fokus, nachdem das Bundesverfassungsgericht das 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe als Verstoß gegen das Grundgesetz eingestuft und den entsprechenden Paragraphen im Strafgesetzbuch für nichtig erklärt hat.
Zu allen drei Themenkomplexen, in die Spahn gleichermaßen tief verwickelt ist, äußerte er sich am Mittwochabend in der Talkshow von Sandra Maischberger. Die fand in ungewohnter Umgebung statt, in einem anderen Studio - “aus technischen Gründen”, sagte Maischberger.
An diese Thematik ging der Gesundheitsminister ausgesprochen analytisch heran und war bemüht, keine Panik zu erzeugen. “Wir müssen eine Balance schaffen”, sagte er. "Nicht jedes Husten, jedes Händeschütteln ist als Risiko zu nehmen. Gleichzeitig müssen wir aufmerksam sein, die Hände waschen, desinfizieren und uns nicht so oft ins Gesicht fassen, um präventiv unterwegs zu sein.”
Durch die jüngsten Fälle in Nordrhein-Westfalen habe die Verbreitung des Virus jedoch eine “neue Qualität" erhalten. “Bis jetzt konnten wir alle Fälle mit dem Ausbruchsgeschehen in China verbinden. Zum ersten Mal ist das jetzt nicht abschließend so. Außerdem gab es unheimlich viel Kontakt in letzter Zeit”, sagte Spahn im Hinblick auf die zurückliegenden Karnevalstage. "Es ist eine große Aufgabe, jetzt alle Kontakte zu identifizieren.”
Auf Maischbergers Frage, ob in zwei Wochen also eine ganze Welle neuer Infektionen drohe, antwortete der CDU-Politiker ehrlich. “Das kann ich nicht sagen, aber das Risiko ist da.” Bisher habe man Infektionsketten unterbrechen können, nun besteht daran ein leiser Zweifel.
Ist das Virus also außer Kontrolle? “Noch nicht”, sagte Spahn. “Aber das Risiko ist größer denn je. Deswegen sage ich den Bürgerinnen und Bürgern frühzeitig, in welcher Situation wir sind.” Von einer Fehleinschätzung der Lage will der 39-Jährige nichts wissen. “Wir haben die Situation immer sehr ernst genommen. Wir informieren über Entwicklungen, dürfen aber gleichzeitig nichts dramatisieren.”
Die große Unbekannte sei, “dass es ein neues Virus ist”. “Wichtig ist, Zeit zu gewinnen. Wir haben noch keinen Impfstoff, wissen noch nicht, welche Medikamente in der Therapie helfen können”, erklärte Spahn. “Weil wir wenig wissen, gehen wir den vorsichtigen Ansatz.”
Spahn über den CDU-Parteivorsitz...
Spahn erzählte nicht viel mehr, als der aktuelle Kenntnisstand ohnehin schon ist. Allerdings fand er ein interessantes Wort, um sein Verhältnis zu Laschet und das Team zu beschreiben: Der 39-Jährige sprach von einer “Innovationspartnerschaft”. Warum er die eingegangen ist, begründete Spahn - auch rhetorisch - geschickt. “Wir dürfen nicht immer von einem Team reden und dann die eigenen Ambitionen absolut stellen", sagte er. “Es müssen die zusammenarbeiten, bei denen man es nicht auf den ersten Blick denken würde. Wenn immer nur diejenigen miteinander reden, die sowieso immer miteinander reden, dann passt das nicht so richtig.” Der Zustand der CDU sei „schlimmer als zu Zeiten Helmut Kohls, als der Spendenskandel im Jahr 2000 die Partei erschütterte“.
Friedrich Merz hatte Spahn und Armin Laschet politische „Kontinuität“ vorgeworfen. Diese Kritik seines Konkurrenten pariert Spahn souverän: „Bei aller Wertschätzung für Friedrich Merz: Ein bisschen Aufbruch kriege ich auch noch hin, auch im Vergleich mit Friedrich Merz“, so Spahn.
Spahn über die Sterbehilfe...
Auch Spahn hatte 2015 für das Gesetz gestimmt, das am Mittwoch vom Bundesverfassungsgericht kassiert wurde. Der spitzen Frage Maischbergers, ob das für ihn eine “Ohrfeige” sei, wich er allerdings aus. “Die Mehrheit des Bundestages, die das Gesetz beschlossen hat, musste erstmal schlucken”, sagte Spahn.
Seiner Meinung nach müsse man das Recht auf der einen und die betroffenen Personen auf der anderen Seite gleichermaßen sehen. “Es geht um die Situation von Menschen, die voller Schmerz, voller Verzweiflung sind, zum Teil viel Hoffnung in einen solchen Schritt legen”, erläuterte der CDU-Politiker. “Ich möchte aber auch nicht, dass wir irgendwann Plakate hängen haben, auf denen steht: ‘Schöner sterben bei uns’. Oder dass Geld verdient wird mit dem Sterben.”
Trotz des Urteils habe man nun die Gelegenheit, die Situation neu zu bewerten und andere Konsequenzen zu ziehen. "Wie können wir Regeln setzen, dass wir Regularien und Wartefristen haben und sehen, um welche Lebenssituationen es geht?”
Spahn und Maischbergers kurze Fragen
“In einem Kabinett unter Kanzler Laschet wäre ich gerne Innenminister.”
“Ich bin an Tagen wie diesen aus voller Überzeugung Gesundheitsminister.”
“Mich nervt, dass in Restaurants in Berlin immer mehr Englisch gesprochen wird.”
“Ja, stimmt, aber nicht von Touristen, sondern von Kellnern, die selbst Deutsche sind. Nur weil es ‘hip’ ist, sprechen sie gebrochenes Englisch mit einem. Das finde ich albern.”
“Bei der Bundeswehr wurde ich ausgemustert.”
“Stimmt, aufgrund einer Erkrankung offensichtlich.”
“Ich bin wegen ‘roter Lehrer’ in die Politik gegangen.”
“Rot eher nicht, aber es war die Debatte in der Schule rund um die Kernenergie.”
“Ich bin ein Kernkraft-Fan.”
“Ich war lange ein Befürworteter von Kernenergie, ja. Aber ich akzeptiere eben, dass es eine große Mehrheit gibt, die diese Energieform nicht möchte.”
“In der Abi-Zeitung stand unter meinem Foto: ‘Bundeskanzler, was sonst?’”
“Stimmt, kommt aber nicht von mir.”
Fazit
Auf Maischerbergs Fragen zum Coronavirus antwortete Spahn wohl nach bestem Wissen und Gewissen, erweckte zumindest den Eindruck von Ehrlichkeit. Sein Bemühen, die richtige Balance zwischen Information und Panik-Vermeidung zu finden, war angemessen und richtig.
Das Urteil zur Sterbehilfe mochte der Gesundheitsminister nicht als Niederlage eingestehen und umschiffte diese Lesart mit all seiner politischen Routine. Zur Führungsfrage in der CDU sagte er kaum etwas Neues. (mit red)