Berlin – Es ist eine Konferenz, die nach dem Desaster um die Osterruhe 2021 eigentlich als überholt galt. Doch mangels Alternative hält auch die Ampelkoalition daran fest, um eine bundesweit möglichst einheitliche Strategie im Kampf gegen Corona festlegen zu können: Am Montag wird Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zum zweiten Mal in diesem Jahr mit den Regierungschefinnen und -chefs der Länder per Videokonferenz darüber beraten, wie Deutschland so gut wie möglich durch die Omikron-Welle kommt. Im Mittelpunkt der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) werden Schutzmaßnahmen, Teststrategien und die Impfpflicht stehen. Ein Überblick.
Wie ist die aktuelle Infektionslage?
Die Zahl der Neuinfektionen klettert seit Tagen von Höchststand zu Höchststand. Am Sonntag hat die die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie die Schwelle von 800 überschritten. Das Robert Koch-Institut (RKI) gab den Wert der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche mit 806,8 an. Am Vortag hatte der Wert noch bei 772,7 gelegen und vor einer Woche bei 515,7.
Die Gesundheitsämter meldeten binnen eines Tages 85.440 Neuinfektionen. Vor einer Woche waren es erst 52.504 neue Corona-Fälle. Trotz der rasant steigenden Zahlen ist bisher hierzulande keine „Omikron-Wand“ mit einer geradezu explosionsartigen Ausbreitung entstanden wie etwa in Großbritannien. Offenbar haben die geltenden Schutzvorschriften wie die 2G-Regel, die Reduzierung von Zuschauerzahlen bei Veranstaltungen, Abstandsgebote und Maskenpflicht dazu beigetrage, den Aufbau der Welle zu verlangsamen.
Wird die Ministerpräsidentenkonferenz neue Kontaktbeschränkungen beschließen?
Nein. „Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder sind zuversichtlich, dass die weitere Fortsetzung der aktuell bestehenden Maßnahmen die realistische Chance bietet, dass Deutschland gut durch die Omikron-Welle kommt“, heißt es in einem Beschlussvorschlag von Sonntagmittag, der dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegt. „Sie stimmen daher darin überein, dass der bisherige Kurs fortgesetzt wird und die geltenden Maßnahmen konsequent weitergeführt werden, so wie es auch der Expertenrat empfiehlt“, heißt es weiter mit Blick auf das am Wochenende veröffentlichte jüngste Papier des Rates.
Der Expertenrat der Regierung geht allerdings davon aus, dass der Höhepunkt der Omikron-Welle noch nicht erreicht ist. Es könnten in der Spitze der 7-Tages-Inzidenzen von mehreren Tausend regional erreicht werden“, so die Prognose. Wie stark die Kliniken dadurch belastet werden, hängt demnach „von den Inzidenzen in der Gruppe der ungeimpften Erwachsenen und der über 50-Jährigen“ ab. Gerade in dieser Altersgruppe beklagt der Expertenrat eine zu große Impflücke.
Die Lage in den Krankenhäusern ist nach Schilderung des 19-köpfigen Gremiums aber bereits prekär. An einigen Kliniken fielen schon heute viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Infektionen und durch Quarantäne aus, „und vereinzelt kommt es bereits zu Lieferengpässen bei medizinischen Gütern“. Die Vorhersage: Die Inzidenzen stiegen weiter, und es sei anzunehmen, dass die medizinische Versorgung zumindest regional eingeschränkt sein werde.
Deshalb mahnen sie, dass weitere „Maßnahmen zur Infektionskontrolle“, sprich Einschränkungen des öffentlichen Lebens, notwendig werden könnten. Der MPK rät das Expertengremium konkret: „Diese sollten daher jetzt so vorbereitet werden, dass sie ohne Verzögerung umgesetzt werden können.“
Das bedeutet im Klartext, dass Bund und Länder den Instrumentenkasten für Lockdown-Maßnahmen eigentlich noch einmal erweitern müssen. Bislang ist das allerdings nicht geplant.
In dem Beschlussvorschlag für die MPK wird vielmehr eine Lockerung der Schutzmaßnahmen in Aussicht gestellt. „Bund und Länder werden Öffnungsperspektiven entwickeln für den Moment, zu dem eine Überlastung von Kritischer Infrastruktur im Allgemeinen und Gesundheitssystem im Besonderen ausgeschlossen werden kann (beginnend mit Großveranstaltungen im Freien)“, so der Formulierungsvorschlag.
Wird es eine Priorisierung bei den PCR-Tests geben?
Die derzeit hohe und voraussichtlich weiter steigende Zahl der Neuinfektionen führe zu Engpässen bei den verfügbaren PCR-Tests, heißt es in dem Beschlussvorschlag. „Die Labore sind bereits in Teilen überlastet“, lautet die Warnung. Deshalb sollen nicht mehr alle per Schnelltest positiv Getesteten zur Überprüfung einen PCR-Test bekommen. Laut Vorlage sollen die PCR-Tests auf Menschen mit hohen Krankheitsrisiken und auf das Gesundheits- und Pflegepersonal beschränkt werden. Personen, die nicht zu diesen Gruppen gehören, sollen „unverzüglich“ eine Nachtestung mit einem weiteren Antigentest in einem Testzentrum vornehmen – „gegebenenfalls eines anderen Fabrikats“ – heißt es im Beschlussvorschlag.
Das wird auch Menschen geraten, die durch die Corona-Warn-App auf ein erhöhtes Risiko aufmerksam gemacht werden.
Eine weitere Folge der hohen Infektionszahlen: Auch die Kontaktnachverfolgung der Gesundheitsämter soll priorisiert werden. Höchste Priorität habe die Nachverfolgung der Kontakte zum Schutz von Menschen mit besonders hohen Gesundheitsrisiken, wird in dem Beschlussvorschlag angekündigt.
Der Expertenrat und noch ein zweites Papier verfasst. Worum geht es?
Die Wissenschaftler beklagen die mangelnde Digitalisierung des Gesundheitswesens und warnen vor dramatischen Folgen: Die schlechte Datenlage behindert den Kampf gegen die Omikron-Welle. Als Sofortmaßnahme fordern die Experten tagesaktuelle Daten der Kliniken etwa zu Krankenhauseinweisungen in allen Altersgruppen und zu freien und belegten Ressourcen. Dazu gehört auch, wie viele Corona-Patienten auf den Normalstationen liegen.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) reagierte verwundert. „Die Krankenhausgesellschaft hat bereits im November der Bundesregierung in einem schriftlichen Konzept angeboten, die Daten von Patienten mit Covid-19 tagesaktuell zu übermitteln“, sagte der DKG-Vorstandschef Gerald Gaß dem RND. Damals sei den Kliniken aber signalisiert worden, dass die Datenlage aus Sicht des Bundesgesundheitsministeriums und des RKI ausreichend sei, betonte Gaß. Zugleich signalisierte er die Bereitschaft der Kliniken, die gewünschten Daten innerhalb von sechs Wochen bereit stellen zu können.
Wie kommen die Vorbereitungen zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht voran?
Bisher zeichnen sich drei Anträge ab: Eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren, ab 50 oder 60 Jahren und ein explizierter Ausschluss einer Pflicht. Letzterer liegt bereits seit Mitte Dezember von einer Gruppe von FDP-Abgeordneten vor. Der Antrag für eine Ü18-Impflicht wird vom stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Dirk Wiese zusammen mit sechs weiteren Politikern von Grünen und FDP vorbereitet. Er nannte am Wochenende erste Details: So soll die Pflicht auf ein bis zwei Jahre befristet sein, für nicht mehr als drei Impfungen gelten und über Bußgelder durchgesetzt werden.
Den Aufbau eines Impfregisters plant die Gruppe nicht. Das würde nach den Worten Wieses zu lange dauern. „Es gibt ein paar Ideen, wie man die Bürgerinnen und Bürger trotzdem anschreiben kann: über die Krankenkassen oder auch über die Kommunen, die die Meldedaten haben“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
Wahrscheinlich wird es aus den Reihen der Ampelkoalition auch noch einen Ü50- oder Ü60-Antrag geben. Die Idee einer höheren Altersgrenze wird auch in der Union diskutiert. CDU und CSU haben allerdings angekündigt, sich nicht an Gruppenanträgen zu beteiligen. Am Mittwoch will der Bundestag die allgemeine Impfpflicht erstmals in einer sogenannten Orientierungsdebatte beraten.
Wie steht es generell um Impfkampagne?
Derzeit sind 73,3 Prozent der Gesamtbevölkerung – das sind 61 Millionen Menschen – vollständig geimpft. Mindestens 41,7 Millionen sind zusätzlich geboostert. Es gibt also derzeit zwei Impflücken: Abzüglich der vier Millionen unter Fünfjährigen, für die es keinen zugelassenen Impfstoff gibt, sind 16,5 Millionen Menschen gänzlich ungeimpft. 19,3 Millionen doppelt Geimpfte müssten sich für einen guten Schutz gegen Omikron noch boostern lassen.
Um die Impfbereitschaft zu erhöhen, will die Bundesregierung dieser Woche eine neue Impfkampagne starten. Die Plakate sowie Radio- und TV-Spots würden kreativer sein als bisher kündigte Lauterbach an. „Wir müssen alles versuchen, die Impflücke zu schließen, das ist auch eine Voraussetzung für eine eventuelle Impfpflicht“, sagte er.
Wie ist die Lage in den Kliniken, wo zum 16. März wie in den Pflegeeinrichtungen die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht scharf gestellt wird?
Nach einer repräsentativen Umfrage der Krankenhausgesellschaft, die dem RND vorliegt, sind im Schnitt 89 Prozent der Beschäftigten, die direkt mit Patienten zu tun haben, mindestens zweimal gegen Corona geimpft.
Differenziert nach Berufsgruppen sind die Impfquoten im Pflegedienst mit durchschnittlich 95 Prozent am höchsten. Bei der Intensivpflege beträgt die Quote allerdings nur 87 Prozent.
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Zwei Drittel der Krankenhäuser rechnen laut Umfrage trotz der hohen Impfquote mit Einschränkungen bei der Patientenversorgung, wenn ab 16. März ungeimpftes Personal nicht mehr beschäftigt werden darf. DKG-Chef Gaß forderte, dass die Gesundheitsämter einheitlich und mit angemessenen Übergangsfristen das weitere Verfahren umsetzten.
Auch die Gesundheitsministerinnen und -minister der Länder fordern Lauterbach auf, unverzüglich alle offenen Fragen zu klären, etwa für wen ganz genau die Impfpflicht gelten soll, welche Ausnahmen es gibt und wie Betroffene angehört werden. Zudem solle geprüft werden, ob nicht vor einem Tätigkeitsverbot zunächst Bußgelder verhängt werden könnten.
Sie beschlossen zudem, den Impfstoff von Novavax, den es ab Ende Februar geben soll, vorrangig nicht geimpften Beschäftigten in Kliniken oder Pflegeeinrichtungen anzubieten und ihnen dann auch genug Zeit für die zweite Impfung zu geben. Novavax könnte für Skeptiker eine Alternative sein, weil er auf einer anderen Technologie basiert als die mRNA-Impfstoffe.