Im Herbst sollen in Deutschland an Omikron angepasste Impfstoffe zum Einsatz kommen. Doch braucht es die Vakzine dann überhaupt noch? Und wenn ja, wer sollte sich damit impfen lassen? Wir erklären, was über die adaptierten Corona-Impfstoffe inzwischen bekannt ist.
Der Herbst naht und damit womöglich eine neue Corona-Welle. „Ich gehe davon aus, dass wir ab Oktober Schwierigkeiten bekommen werden“, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Mittwoch nach einer Sitzung des Bundeskabinetts, bei der über den neuen Entwurf des Infektionsschutzgesetzes abgestimmt wurde. Wichtiger Bestandteil des Herbstfahrplans der Bundesregierung sind unter anderem angepasste Corona-Impfstoffe. Sie sollen eine erneute Infektionswelle mit Rekordfallzahlen verhindern. Doch für wen kommen die Vakzine überhaupt infrage? Und wann sind sie verfügbar? Die wichtigsten Fragen und Antworten auf einen Blick.
Warum braucht es angepasste Corona-Impfstoffe?
Das Coronavirus ist ein Verwandlungskünstler. Im Laufe der Pandemie hat es immer wieder Wege gefunden, um sich besser an den Menschen anzupassen. Es mutierte. Neue Varianten mit neuen Eigenschaften und verändertem Erscheinungsbild entstanden. Auf den im chinesischen Wuhan entdeckten Wildtyp folgte die Virusvariante Alpha, die deutlich ansteckender war. Dann kam Delta, ansteckender und zudem noch krankmachender.
Und schließlich tauchte Omikron auf. Eine Corona-Variante, die selbst Forschende überrascht hat. Denn sie besitzt eine ungeahnte Zahl an Mutationen, die es ermöglichen, das Immunsystem zu überlisten, den Abwehrkräften zu entkommen. Omikron ist die erste partielle Escape-Variante. Und das hat Folgen für die Impfstoffe: Sie sind nicht mehr so wirksam wie noch gegen die vorherigen Virusvarianten.
Zwar schützen die Vakzine, die auf dem Wildtypus des Coronavirus basieren, weiterhin gut vor schwerer Erkrankung und Tod. Allerdings zeigen internationale Studien, dass sich auch Geimpfte mit Omikron infizieren und (wenn auch nur meist mild) erkranken können. Der Schutz vor Ansteckungen lässt mit der Zeit nach. Für die Impfstoffhersteller stand deshalb schnell fest: Es braucht an Omikron angepasste Impfstoffe.
An welchen Omikron-Impfstoffen arbeiten die Impfstoffhersteller?
Führend bei der Entwicklung eines an Omikron angepassten Impfstoffes sind die Hersteller Biontech/Pfizer und Moderna. Die Unternehmen arbeiten an sogenannten bivalenten Impfstoffen. Diese Vakzine enthalten sowohl einen Omikron- als auch den ursprünglichen Sars-CoV‑2-Stamm.
Die ersten angepassten Impfstoffe, die die Firmen entwickelt haben, basieren auf der Omikron-Variante BA.1. Es ist der erste Subtyp, der sich rasch in Deutschland und anderen Ländern weltweit verbreitet hatte. Die klinischen Studien der Hersteller waren vielversprechend: Sie zeigten, dass das adaptierte Vakzin deutlich mehr Antikörper gegen Omikron hervorruft und somit der Immunschutz gesteigert werden kann. Die Daten aus den Untersuchungen überprüft derzeit die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA).
Das Virus war wieder einmal schneller
Doch das Virus war wieder einmal schneller. Der Omikron-Subtyp BA.1 wurde von weiteren Schwestervarianten verdrängt. Es folgte BA.2, dann setzten sich schließlich BA.4/BA.5 in Deutschland durch. Die Impfstoffhersteller waren gezwungen, ihre Vakzine erneut anzupassen – dieses Mal an die Omikron-Varianten BA.4/BA.5. Wieder führten sie klinische Studien durch, wieder ließen sie die erhobenen Daten fortlaufend den Zulassungsbehörden in Europa und den USA zukommen. Diese stehen nun vor der Aufgabe, zwei verschiedene bivalente Corona-Impfstoffe zu prüfen.
Wann werden die angepassten Corona-Impfstoffe zugelassen?
Ein genaues Zulassungsdatum für die Omikron-Impfstoffe gibt es für den europäischen Markt noch nicht. Der Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA tagt am Donnerstag, dem 1. September, um über die angepassten BA.1-Vakzine zu beraten. Sollten sich die Daten der Impfstoffstudien bestätigen und der Nutzen der Impfstoffe größer ausfallen als damit verbundene Risiken, könnte innerhalb weniger Tage eine Zulassung erfolgen.
Seit Monaten lagert Biontech Millionen Dosen seines Omikron-Impfstoffs. Dosen, die nur darauf warten, verimpft zu werden. Die Auslieferung des Vakzins sei logistisch aufwendig und müsse einige Tage vorbereitet werden, sagte Biontech-Chef Ugur Sahin jüngst im „Spiegel“-Interview. „Wir könnten aber sehr zeitnah ausliefern, hoffentlich Anfang September.“ Wann der BA.4/BA.5-Impfstoff zugelassen wird, hänge wiederum davon ab, wie schnell die EMA die Daten auswertet. Biontech ist gerade dabei, der Behörde letzte Daten zu übermitteln.
In den USA haben Biontech und Pfizer vor wenigen Tagen eine Notfallzulassung für ihr BA.4/BA.5-Vakzin eingereicht. Es stehe zur sofortigen Auslieferung bereit, sofern die Arzneimittelbehörde FDA eine behördliche Genehmigung erteilt, gab das Mainzer Biotechnologieunternehmen in einer Pressemitteilung bekannt. Auch Pharmariese Moderna hat für seinen BA.4/BA.5-Impfstoff eine Notfallzulassung in den USA beantragt.
Großbritannien ist schon einen Schritt weiter. Dort hat die britische Arzneimittelbehörde vergangene Woche grünes Licht für den Omikron-Impfstoff von Moderna gegeben. Es handelt sich hierbei um das an BA.1 angepasste Vakzin. „Dieser bivalente Impfstoff ist ein schärferes Instrument, das uns hilft, uns gegen diese Krankheit zu schützen“, sagte die Chefin der Medicines and Healthcare products Regulatory Agency (MHRA), June Raine.
Wer sollte sich mit den Omikron-Impfstoffen impfen lassen?
Darüber entscheidet zum einen die Zulassung. Biontech und Pfizer haben in ihrem Zulassungsantrag bei der Ema als Zielgruppe alle Menschen ab zwölf Jahren angegeben. Mit den bivalenten Impfstoffen von Moderna sollen wiederum Menschen ab 18 Jahren geimpft werden.
Zum anderen wird aber auch die Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) eine Rolle spielen. Das Expertengremium hat sich bisher noch nicht zu den angepassten Vakzinen geäußert. Vorrangiges Ziel der Stiko war es bisher, diejenigen zu schützen, die ein erhöhtes Risiko für schwere Covid‑19-Krankheitsverläufe haben. Das sind vor allem Ältere, vorerkrankte Menschen und Immungeschwächte. Für sie wird es aller Wahrscheinlichkeit nach auf jeden Fall eine Impfempfehlung geben.
Risikopersonen sollten nicht warten
Auf die an Omikron angepassten Impfstoffe warten sollten Risikopersonen aber nicht. Sie haben schon jetzt die Möglichkeit, sich ein viertes Mal gegen Covid‑19 impfen zu lassen. So empfiehlt es die Stiko. Denn eine vierte Dosis der aktuellen Corona-Impfstoffe kann die Immunantwort ebenfalls noch einmal verstärken, und so vor Omikron schützen.
Auch junge, gesunde Menschen könnten von den Omikron-Impfstoffen profitieren. Denn bei den meisten liegt die letzte Impfung schon Monate zurück, der Schutz vor Ansteckungen, schwerer Erkrankung und Tod hat nachgelassen. Mit den BA.1- beziehungsweise BA.4/BA.5‑Vakzinen könnten auch sie ihren Immunschutz gegen Omikron noch einmal steigern.
Omikron verursacht eher milde Krankheitsverläufe. Könnte man auf die Impfungen nicht verzichten und einfach eine Infektion riskieren?
Es stimmt, dass Omikron mildere Krankheitsverläufe verursacht als noch die vorherige Delta-Variante. Eine vollständige Entwarnung ist das aber nicht. Das Coronavirus ist keineswegs harmlos – schon gar nicht für Risikopersonen. Wer durch eine Grunderkrankung wie eine Immuninsuffizienz oder Krebs geschwächt ist, hat noch immer ein höheres Risiko für schwere Covid‑19-Krankheitsverläufe als junge, gesunde Menschen. Sind Risikopersonen nicht geimpft, ist das Erkrankungsrisiko noch größer.
Bei jeder neuen Infektion findet ein Kampf mit dem Virus statt
Auch milde Krankheitsverläufe stellen eine Belastung für den Körper dar. Jedes Mal findet ein Kampf mit dem Virus statt, der vom Immunsystem ausgefochten werden muss. Forschende des Uniklinikums Hamburg-Eppendorf konnten Anfang des Jahres zudem zeigen, dass selbst Menschen mit einem milden Verlauf Organschäden entwickeln können. Die Funktionen von Herz, Lunge und Nieren können mittelfristig beeinträchtigt werden. Bei den Studienteilnehmenden handelte es sich um Ungeimpfte.
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Die Infektion birgt außerdem noch eine Unsicherheit: Long Covid, die Spätfolgen einer Corona-Infektion. Wie häufig Menschen von Corona-Spätfolgen betroffen sind, wie sie zustande kommen und wie lange sie anhalten, ist noch nicht gut verstanden – trotz umfangreicher Forschung.
Das Robert Koch-Institut (RKI) weist ferner darauf hin: „Das alleinige Durchmachen einer Infektion mit Sars-CoV‑2 reicht nicht aus, um spätere Covid‑19-Erkrankungen zu verhindern.“ Wer sich mit dem Virus infiziert, ist danach nicht dauerhaft geschützt. Die Impfstoffe können die Immunantworten von Genesenen aber steigern. Daher empfiehlt die Stiko auch ihnen, sich impfen zu lassen.