Pflegerat-Chefin im Interview„Brauchen Gesetze, dass wir Ungeimpfte kündigen dürfen“
Lesezeit 4 Minuten
Die Präsidentin des Deutschen Pflegerates, Christine Vogler, fordert eine gesetzliche Impfpflicht-Regelung.
Sie kritisiert auch den angekündigten Pflegebonus und die Wiedereinführung von Besuchsverboten in ersten Pflegeheimen.
Berlin – Frau Vogler, die Inzidenzen steigen seit etwa zwei Wochen auf immer neue Höchststände. Wie ist die Situation in den Pflegeheimen?
Die regionalen Unterschiede bei der Inzidenz spiegeln sich auch im Infektionsgeschehen der Pflegeheime wider. Wir haben ungefähr 15.000 Pflegeheime in Deutschland und gemessen an dieser hohen Zahl nur wenige Corona-Ausbrüche. Meistens sind alle Bewohner dreifach geimpft und haben nur geringe oder gar keine Symptome. Da die Pflegeheime sehr viel testen, können Corona-Infektionen früh auffallen.
Der Bremer Bürgermeister Andreas Bovenschulte hat uns im Interview gesagt, dass es aufgrund der hohen Impfquote in den Pflegeheimen seiner Stadt weniger Corona-Ausbrüche als zu Beginn der Pandemie gibt. Teilen Sie diesen Eindruck?
Ja, es gibt sehr viel weniger Ausbrüche als noch vor einem Jahr. Wir merken ganz deutlich, dass die hohe Impfquote zur Entlastung in den Pflegeheimen beiträgt. Gleichzeitig sind Hygienemaßnahmen und Besuchermanagement nach anderthalb Jahren Pandemie gut erprobt und selbstverständlich geworden.
Kurz vor Weihnachten 2020 gab es laute Hilferufe der Pflegeheime, weil es dort zu vielen Infektionen und Todesfällen kam. Sind Sie zuversichtlich, dass Weihnachten dieses Jahr in den Pflegeheimen entspannt wird?
Nein, ich rechne nicht damit, dass wir in den Pflegeheimen entspannt Weihnachten feiern können. Denn wenn die Infektionszahlen in der Bevölkerung steigen, kommt es auch in den Heimen zu mehr Ausbrüchen. Das Infektionsgeschehen dort lässt sich nicht von dem in der Bevölkerung isolieren. Das zu glauben, wäre ein Trugschluss. Aber die Ausbrüche werden in der Weihnachtszeit nicht das Ausmaß wie im Vorjahr haben, da jetzt fast alle Bewohner geimpft sind.
Erste Pflegeheime in Deutschland haben als Schutzmaßnahme bereits Besuchsverbote verhängt.
Ich halte Besuchsverbote für hochproblematisch und für nicht professionell. Wir wissen schließlich genau, wie wir uns vor Infektionen schützen können. Wir haben die Bewohner geimpft und führen regelmäßig Tests durch. Bevor wir jetzt die uns anvertrauten Menschen isolieren, sollten wir eine einrichtungsbezogene Impfpflicht aussprechen. Wir dürfen nicht pflegebedürftigen Menschen den Kontakt zu ihren Angehörigen verweigern, nur weil Ungeimpfte Keime in die Heime tragen können.
Eine Impfpflicht für Besucher und Personal hatten die Bundesländer und Vertreter der Ampelparteien zuletzt gefordert. Setzen Sie dann ungeimpfte Mitarbeiter vor die Tür?
Wir müssen hier Klartext sprechen: Was soll ich mit ungeimpften Mitarbeitern machen, außer zu sagen, dann such dir einen anderen Job, wenn ich keine anderen adäquaten Aufgaben habe? Wenn der Gesetzgeber fordert, dass nur Geimpfte und Genesene in Pflegeheimen arbeiten dürfen, haben die Einrichtungen gar keine andere Wahl als sich von diesen Mitarbeitenden zu trennen. Ich kann als Arbeitgeber nur sagen, es ist jetzt deine Entscheidung, dich impfen zu lassen und hier zu arbeiten oder dich für einen anderen Job zu entscheiden. Wer zum Einfallstor für Corona im Pflegeheim wird, kann dort einfach nicht arbeiten. Dann ist für diese Mitarbeiter einfach Schluss. Hier brauchen wir eine klare Gesetzgebung, sodass wir ungeimpfte Mitarbeiter auch kündigen dürfen.
Der Pflegedienst BeneVIT hat bereits angekündigt, ab Dezember ungeimpfte Mitarbeiter freizustellen.
Ich finde die Entscheidung gut, weil sie konsequent die Sicherheit der Pflegebedürftigen an erste Stelle rückt. Andere Einrichtungen wissen, wer geimpft ist und wer nicht, und stellen Arbeitsstrukturen um. Aber wenn wir die Sicherheit der Bewohner nicht anders gewährleisten können, als ungeimpftes Personal freizustellen, ist das die richtige Maßnahme.
In den Pflegeheimen gab es schon vor Wochen die ersten Booster-Impfungen. Aber noch immer warten viele Bewohner auf ihre Auffrischungsimpfung. Haben wir das Boostern verschlafen?
Wir sind in Sachen Corona inzwischen ein Land der Versäumnisse. Die dritte Impfung hätte besser vorbereitet und viel schneller angeboten werden müssen. Trotzdem sind bereits einige Heime vollständig geboostert. Wir hätten aber viel schneller in den Heimen impfen können, wenn auch unsere Pflegekräfte impfen dürften. Wir haben in Deutschland so viel medizinisches Fachpersonal, aber nutzen dieses Potenzial überhaupt nicht aus. Das ist ein großer Fehler und ich würde mir wünschen, dass die neue Bundesregierung hier schnell nachbessert.
Nachbessern wollen zunächst die Bundesländer bei der Wertschätzung und haben sich für eine Prämienzahlung ausgesprochen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte „5000 Euro plus x“ vorgeschlagen.
Einmalige Pflegeboni sind völlig unzureichend und keine Lösung. Jeder Pflegebonus ist aus unserer Sicht ein Eingeständnis, dass Menschen in der Pflege viel zu wenig verdienen. Sonst bräuchten wir keine Boni. Angemessen wäre ein Grundlohn von 4000 Euro plus Zulagen. Wir müssen mit weiteren Pandemien und Endemien rechnen und müssen die Arbeit der Pflegekräfte in diesen Situationen mehr wertschätzen. Es wäre ehrlicher, für Pflegekräfte einen Pandemie- und Endemiezuschlag von 15 Prozent zum monatlichen Gehalt im Tarifvertrag festzulegen.
Geld allein hilft aber nicht gegen die hohe Arbeitsbelastung…
…aber es hilft, dass sich mehr Menschen für den Beruf entscheiden und die überarbeiteten Kollegen entlasten. Burnouts bei Pflegekräften sind eine riesige Gefahr. Viele Mitarbeiter haben nach der dritten Welle gekündigt oder ihre Arbeitszeit reduziert. Ich bin sicher, dass wir auch nach der vierten Welle viele Pflegekräfte verlieren werden. Wir müssen jetzt dagegen steuern.