Berlin – Wie kommen die Studenten in Deutschland durch die Pandemie? Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Peter-André Alt, hält die entsprechenden Corona-Nothilfen für wenig großzügig bemessen. Im Interview verrät er, was er sich für die Studenten wünschen würde – und was die Unis aus der derzeitigen Situation für die Zukunft lernen können.
Herr Alt, reichen die Corona-Nothilfen für Studenten aus?
Die Corona-Nothilfe ist deutlich zu spät gekommen und stand dann nur für vier Monate zur Verfügung. Es ist gut, dass Bundesbildungsministerin Anja Karliczek die Corona-Nothilfe nun zumindest für November wieder aufnehmen will. Wahr ist aber auch: Die Hilfen sind nicht sehr großzügig bemessen – und wir erreichen damit auch längst nicht alle Studierenden, die in Not sind. Wir brauchen einen generellen Notfallmechanismus im BAföG. Da hat das Deutsche Studentenwerk vollkommen Recht.
Fehlt den Studenten eine Lobby – oder vielleicht nur eine Bundesbildungsministerin, die sich für ihre Belange interessiert?
Die Studierenden trommeln nicht besonders laut für ihre Interessen – in der aktuellen Situation ist das auch nicht so einfach. Das heißt aber gewiss nicht, dass wir ihre Nöte überhören und übersehen dürfen.
Droht durch Corona verschärfte Bildungsungerechtigkeit an den Hochschulen?
Ausnahmesituationen treffen immer die besonders hart, die es ohnehin schwerer haben. Die Corona-Krise verschärft ohne jeden Zweifel die Ungleichheiten. An den Hochschulen tun wir vieles, um gegenzusteuern. Vielerorts wurden lokale Fonds für akute Nothilfen geschaffen. Computer-Arbeitsplätze werden im Rahmen des Verantwortbaren für Studierende ohne eigenes Equipment zugänglich gehalten. Im Zweifel müssen die Hochschulen in der Lage sein, Laptops an Studierende zu verleihen, die keinen eigenen haben. Das geschieht auch schon – und wir müssen diese Ansätze weiter ausbauen.
Machen Sie sich wegen der Corona-Einschränkungen in den Schulen Sorgen um die Studierfähigkeit des kommenden Abiturjahrgangs?
Ich rechne nicht mit einem Corona-Jahrgang, der nicht an der Uni klarkommt. Vielleicht gibt es die eine oder andere Wissenslücke mehr als sonst. Aber auch bislang gilt schon: Es gibt Defizite, nicht zuletzt bei den Mathekenntnissen, die Hochschulen mit Vorbereitungskursen aufarbeiten müssen. Das kann womöglich im kommenden Jahr stärker zum Tragen kommen. Die Hochschulen müssen da auf Sicht fahren. Unter anderem wissen wir derzeit nicht, wieviel solcher Angebote in Präsenzlehre möglich sein werden.
Ein Großteil der Veranstaltungen in diesem Semester ist digital. Was geht dabei verloren?
Studieren ist ein gemeinsamer Lernprozess bei denen, die studieren, und denen, die unterrichten – und dieser Prozess hat auch viel mit der Interaktion zwischen den Studierenden zu tun. Deshalb wäre uns ein Semester, bei dem alle in den Hochschulen sein können, tausendmal lieber, als so vieles nur digital anbieten zu können. Eines stimmt aber übrigens auch: Manche Veranstaltungen funktionieren im Digitalen sogar besser.
Zum Beispiel?
Bei einer Massenvorlesung mit hunderten Zuhörern kann sich der einzelne zu Hause am Rechner besser konzentrieren, auch zeitversetzt teilnehmen und zwischendrin etwas nachschlagen. Ich bin sicher, viele solcher Veranstaltungen werden die Hochschulen auch nach Corona ins Internet verlegen.
Eine Folge der Corona-Einschränkungen ist: Ein Teil der Erstsemester ist gar nicht erst an den Studienort gezogen, sondern verfolgt die Vorlesungen einfach aus dem Elternhaus am Rechner.
Das ist in dieser Situation verständlich, aber natürlich auch bedauerlich. Beim Studieren geht es neben der intellektuellen Erfahrung nicht zuletzt darum, einen wichtigen Schritt ins Erwachsenwerden zu gehen. In der Pandemie ist an dieser Stelle für einige eine Stopptaste gedrückt. Ich hoffe sehr, dass wir bald einen wirksamen Impfstoff haben: im Interesse der Risikogruppen und Älteren, aber auch im Sinne der Studierenden, die ein ganz normales Studium erleben sollen.Droht auch akademisch für viele ein verlorenes Semester?Nein. Die Hochschulen müssen und werden es hinbekommen, dass Veranstaltungen stattfinden und Leistungspunkte erworben werden können. Deshalb ist es wichtig, dass alle Länder jetzt auch Rechtssicherheit beim Thema digitale Prüfungen schaffen. Aber wir alle müssen uns auch darauf einstellen, dass einzelne Veranstaltungen verschoben werden, Inhalte umgestellt werden müssen. Vor allem für Studierende kurz vor dem Abschluss müssen wir da Lösungen finden.Die Universitäten haben auf einen Hochschuldigitalpakt gehofft, doch der kommt nun offenbar nicht. Warum?Das Bundesbildungsministerium hat sich entschieden, andere Prioritäten zu setzen. Ich werbe eindringlich dafür, dass der Bund und Ministerin Anja Karliczek sich einen Ruck geben und doch noch eine zumindest befristete Digitalisierungspauschale auf den Weg bringen. Wir brauchen diese Anschubfinanzierung. Es geht dabei nicht nur um Ausstattung und Infrastruktur, sondern insbesondere auch darum, alle Dozenten in digitaler Lehre zu qualifizieren.
Fordern Sie in der Corona-Krise eigentlich nur mehr Geld – oder sehen Sie auch Potenzial, wo die Hochschulen welches einsparen können?
Natürlich können auch die Hochschulen Geld umschichten. Auch so konnten sie bislang die schnelle digitale Anpassung bewältigen. Die Reiseetats bleiben wegen der Corona-Pandemie in diesem Jahr weitgehend ungenutzt. Ich denke, angesichts des Klimawandels sollten die Forschenden auch in kommenden Jahren mit einem guten Beispiel vorangehen und ihre Reisen reduzieren. Viele Treffen lassen sich digital realisieren, aus dieser Erfahrung wollen und müssen wir jetzt dauerhaft Konsequenzen ziehen.
Und dann?
Wenn wir das ersparte Geld sichtbar sinnvoll einsetzen – für verbesserte Ausstattungen, für die Förderung schwächer gestellter Studierender oder andere sinnvolle Projekte - dann ist das die beste Werbung dafür, dass möglichst viele freiwillig mitziehen.
Das Gespräch führte Tobias Peter