- Lange wurde ein Impfstoff gegen Corona erwartet.
- Nun ist er seit einigen Tagen da, doch es geht mit den Impfungen nur langsam voran.
- Liegt es an der Organisation, an einer zu kleinen Menge von bestellten Impfdosen oder an geringen Produktionskapazitäten?
- Die wichtigsten Fakten.
Berlin – Die Bundesregierung gibt sich entspannt. Sie habe in Sachen Corona-Impfung bisher alles richtig gemacht. Aber stimmt das auch? Wir beantworten die wichtigsten Fragen dazu.
Liegen wir beim Impfen im Plan, wie der Gesundheitsminister behauptet?
Bund und Länder haben keine Pläne darüber veröffentlicht, wie viele Menschen pro Tag geimpft werden sollen. Bekannt ist aber, dass bisher 1,3 Millionen Dosen an die Länder ausgeliefert wurden. Bis Montagmittag wurden aber nur 265.000 Menschen geimpft. Allein daran lässt sich ablesen, dass der Impfstart in Deutschland alles andere als optimal war.
Warum hat es nicht richtig geklappt?
Die Bundesländer konzentrieren sich zunächst darauf, die Bewohner von Pflege- und Altenheimen zu impfen. Das entspricht auch der Reihenfolge, die von der Bundesregierung festgelegt wurde. Allerdings dauert das Impfen in den Heimen mit mobilen Teams offenbar länger als erwartet.
Problematisch sei unter anderem, dass bei nicht einwilligungsfähigen Bewohnern (zum Beispiel Demenzkranke) häufig die Genehmigung der Betreuer fehle, hieß es in einem Bundesland. In einem anderen Land wurde darauf verwiesen, dass die Heime selbstständig ihre „Impfbereitschaft“ melden müssten, bevor ein Impfteam komme.
Für rüstige über 80-Jährige, die selbst in ein Impfzentrum gehen könnten, funktioniert offensichtlich das Terminmanagement bislang nicht richtig. Die Länder fahren derzeit überwiegend die Strategie, die Anspruchsberechtigten per Brief einzuladen. Das Verfahren scheint noch gar nicht oder nur sehr langsam zu laufen.
Warum ist die so oft beworbene, bundesweite Hotline 116 117 so schwer zu erreichen?
Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung wird die Hotline erfahrungsgemäß um Weihnachten und den Jahreswechsel ohnehin stark genutzt. In den vergangenen Tagen seien viele Bürger mit Fragen zur Impfterminvergabe hinzugekommen.
Aber: Über die 116 117, die jeweils auf Landesebene organisiert ist, werden die Anrufer derzeit nur in zehn Bundesländern an die Terminvergabe weitergeleitet, das sind Baden-Württemberg, Hessen, Hamburg, Sachsen-Anhalt, Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und das Saarland. Die anderen Länder haben eigene Nummern geschaltet.
Über die Seite http://www.impfterminservice.de können zusätzlich in Baden-Württemberg, Hessen, Hamburg und Sachsen-Anhalt Termine gebucht werden.
Wer trägt die Verantwortung dafür, dass es bislang nur langsam mit dem Impfen vorangeht?
Zurzeit gibt es ein Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Bund und Ländern, wer Schuld ist an dem schleppenden Start. Vor dem Hintergrund, dass die Impfungen in den Bundesländern sehr unterschiedlich angelaufen sind, kann man nicht nur die Lieferpraxis des Bundes verantwortlich machen. Es gibt schlicht Bundesländer, die ihre Impflogistik schneller und effizienter als andere hochgefahren haben.
Zur Wahrheit gehört aber auch dazu, dass das Bundesgesundheitsministerium bei Weitem nicht so viel liefern kann, wie die Länder impfen können. Ende vergangener Woche beklagten die Länder Lieferausfälle und zu späte Nachlieferungen. Der Gesundheitsminister wiederum sprach von föderalem Chaos und zog den nächsten Liefertermin vom 11. auf den 8. Januar vor.
Wie sieht es in anderen europäischen Ländern aus?
Nicht nur in Deutschland gibt es Kritik an einem zu langsamen Impfstart. Auch in anderen EU-Ländern läuft es schleppend. In Italien wurden nach den Angaben der Oxford-Website „Our World in Data“ bislang rund 114.000 Menschen geimpft, obwohl etwa 470.000 Impfstoffdosen von Biontech zur Verfügung stehen. Die Lombardei, die von der Pandemie besonders stark betroffen ist, lag am Sonntag bei der Impfquote deutlich unter dem Gesamtdurchschnitt.
In Frankreich wurden bislang erst 516 Menschen geimpft. Die Niederlande haben mit den Impfungen noch gar nicht begonnen. Besonders zügig impft hingegen Israel. Dort wurden laut der Oxford-Website mehr als eine Million Dosen gespritzt – damit liegt das Land im Pro-Kopf-Durchschnitt weit an der Spitze.
Ist bald mit mehr Zulassungen und mehr Nachschub zu rechnen?
Am Mittwoch wird mit der Zulassung des Impfstoffes des US-Pharmakonzerns Moderna in Europa gerechnet. Er ist bereits seit dem 18. Dezember per Notfallzulassung in den USA auf dem Markt. Wie bei Biontech handelt es sich um einen modernen mRNA-Impfstoff. Das Moderna-Vakzin soll mit 94 Prozent auch eine ähnlich hohe Wirksamkeit besitzen. Von dem Impfstoff hat sich Deutschland 50 Millionen Dosen gesichert.
Der nächste Kandidat für eine europäische Zulassung ist der Covid-Impfstoff von Astra Zeneca und der Universität Oxford. Sie wird noch im Januar erwartet. Das Vakzin, das Ende Dezember bereits in Großbritannien eine Zulassung bekommen hat, soll einen 70-prozentigen Schutz bieten. Der Wirkstoff beruht auf der abgeschwächten Version eines Erkältungsvirus von Schimpansen. Deutschland hat sich über die EU rund 56 Millionen Dosen gesichert.
Noch im Frühjahr wird auch die Zulassung des mRNA-Impfstoffs des Tübinger Herstellers Curevac erwartet. Davon soll Deutschland insgesamt 62 Millionen Dosen bekommen. Vom Vektorimpfstoff des Pharmakonzerns Johnson & Johnson, für den ebenfalls eine Zulassung im Frühjahr erwartet wird, hat sich Deutschland weitere 37 Millionen Dosen gesichert. Die EU bekommt zudem 300 Millionen Dosen des Vakzins der Konzerne Sanofi und GlaxoSmithKline. Deutschland stehen aus diesem Vertrag rund 50 Millionen Dosen zu. Allerdings ist unklar, wann der Impfstoff kommt.
Unterm Strich kann Deutschland mit mehr als 300 Millionen Impfdosen rechnen. Bis Ende Januar sollen davon vier Millionen Dosen zur Verfügung stehen, womit bei einer zweimaligen Gabe zwei Millionen Menschen geimpft werden können.
Ist es sinnvoll, dass Deutschland bei der Impfstoffbestellung streng europäisch agiert hat?
Grundsätzlich ist das gemeinsame Vorgehen der EU richtig, um Preistreiberei der Hersteller und ein Auseinanderfallen der Nationalstaaten zu verhindern. Allerdings hat die Bundesregierung die Chance versäumt, zusätzlich zu den EU-Bestellungen mit Biontech weitere Verträge abzuschließen.
Für Wirbel sorgte am Montag ein Brief des Gesundheitsministers, den er im Juni vergangenen Jahres gemeinsam mit seinen Amtskollegen aus Frankreich, Italien und den Niederlanden verfasst hat, wie die „Bild“-Zeitung berichtet. Darin rücken die vier Länder von ihrer eigenen Impfallianz ab und bieten eine europäische Lösung an.
Der „Bild“-Zeitung zufolge sollen Kanzlerin Angela Merkel und Kommissionschefin Ursula von der Leyen darauf gedrängt haben. Es dürfte kein Zufall sein, dass der Brief gemeinsam mit der Botschaft, die Kanzlerin habe darauf gedrängt, ausgerechnet in dem Moment in der Öffentlichkeit auftaucht, in dem Spahn im Kreuzfeuer der Kritik steht, dass er nicht zusätzlich Impfstoff bei Biontech bestellt hat. Auch in der Bundesregierung hat ein Schwarzer-Peter-Spiel begonnen, wer die Verantwortung für die missliche Lage trägt.
Wie reagiert die Regierungskoalition auf die Kritik?
Die Bundesregierung hält daran fest, dass der gemeinsame europäische Weg bei der Impfstoffverteilung der richtige gewesen sei. „Das europäische Vorgehen ist im deutschen Interesse“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag. Zugleich räumte Gesundheitsminister Spahn ein, dass Europa hätte schneller sein können. Sein Sprecher aber versicherte: „Es ist genug Impfstoff für Deutschland da.“ Der Flaschenhals sei nicht die Bestellmenge, sondern die Produktionskapazitäten.
Der Koalitionspartner SPD sieht durchaus Fehler. „Das abgestimmte Vorgehen in Europa war und bleibt richtig. Deutschland ist in Europa aber nicht ohne Einfluss und hatte in der entscheidenden Zeit sogar die EU-Ratspräsidentschaft, und Jens Spahn war Vorsitzender des zuständigen Ministerrates“, betont SPD-Parlamentsgeschäftsführer Carsten Schneider.
Er verweist darauf, dass es neben den europäischen Bestellungen auch bilaterale Verträge gegeben habe, die für Deutschland durch den Bundesgesundheitsminister abgeschlossen worden seien. „Die Fehler bei der Bestellung des Impfstoffes müssen schnell aufgeklärt werden“, sagte Schneider dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Gleichzeitig müsse die Herstellung und Verteilung des Impfstoffes für den Gesundheitsminister jetzt Priorität haben. Schneider forderte Spahn auf, dafür alle Pharmahersteller an einen Tisch zu holen und zu einer nationalen Initiative zu verpflichten. Schneider verwies auch darauf, dass die Entwicklung des Impfstoffes in Deutschland ohne die staatliche Forschungsförderung nicht möglich gewesen wäre, und weist die Verantwortung Spahn zu: „Zusätzliche Produktionskapazitäten müssen kurzfristig zur Verfügung gestellt werden. Der Minister hat dafür alle rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten, so wie schon in den letzten Monaten.“
Ist es realistisch, dass bis zum Sommer alle, die es wünschen, die Impfung erhalten haben?
Problematisch sind die Produktions- und nicht die Impfkapazitäten. Vorbereitet – und teilweise schon in Betrieb – sind bundesweit rund 450 Impfzentren, an die jeweils die mobilen Impfteams angebunden sind. Hochgerechnet wäre es möglich, pro Tag bundesweit rund 400.000 Menschen zu impfen.
Die Risikogruppen – dazu zählt rund die Hälfte der Bevölkerung von insgesamt 83 Millionen Menschen – könnten so in etwa vier Monaten durchgeimpft werden. Nach Einschätzung von Ärzteverbänden reichen dann weitere vier Monate, um die übrige Bevölkerung in den Arztpraxen zu immunisieren.
Völlig offen ist allerdings weiterhin, wie schnell die bestellten Impfdosen geliefert werden können. Für das erste Quartal sind lediglich elf Millionen Dosen avisiert. Damit können nur bis zu 5,5 Millionen Menschen geimpft werden. Es besteht aber die Hoffnung, dass die Produktion schrittweise hochgefahren werden kann. So versucht beispielsweise Biontech nach eigenen Angaben, rasch weitere Produktionslinien aufzubauen. Wie erfolgreich das sein wird, ist nicht abzusehen. (rnd)