Sieg über rechte Le PenWas die Wiederwahl Macrons für die EU bedeutet
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Paris/Brüssel – Die Katastrophe ist ausgeblieben. Der Sieg von Emmanuel Macron in der Stichwahl um die französische Präsidentschaft garantiert, dass Frankreich in den kommenden Jahren auf einem Pro-EU-Kurs bleibt. Hätte die rechtsextreme Politikerin Marine Le Pen die Wahl für sich entschieden, wäre die Europäische Union in eine existenzielle Krise gestürzt.
EU-Spitze: Riesenlast von den Schultern gefallen
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen muss am Sonntagabend eine Riesenlast von den Schultern gefallen sein. Schon wenige Minuten nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen gratulierte sie Macron via Twitter. „Gemeinsam werden wir Frankreich und Europa voranbringen“, stellte sie zufrieden fest.
Auch EU-Ratschef Charles Michel zeigte sich erleichtert: „Wir können fünf weitere Jahre auf Frankreich zählen“, schrieb der Belgier am Sonntagabend auf Twitter. „In diesen stürmischen Zeiten brauchen wir ein starkes Europa und ein Frankreich, das sich voll und ganz für eine souveränere und strategischere Europäische Union einsetzt.“
Auch im Kanzleramt hat man aufgeatmet: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte noch am Wochenende gemeinsam mit seinen Amtskollegen aus Spanien und Portugal, Pedro Sanchez und Antonio Costa, in einem Beitrag für die französische Tageszeitung „Le Monde“ vor einer Wahl Le Pens gewarnt – ein äußerst ungewöhnlicher Schritt.
Le Pens EU-Pläne
Aber wäre Le Pen neue Präsidentin geworden, die EU hätte ein gewaltiges Problem bekommen. Denn Le Pen hatte im Wahlkampf angekündigt, aus der EU-Kommission eine Art Sekretariat für die EU-Mitgliedsstaaten machen zu wollen.
Die EU-Kommission hätte nach dem Willen Le Pens nur noch Gesetze umsetzen dürfen, auf die sich vorher die 27 EU-Mitgliedsstaaten geeinigt hätten. Von der Leyen wäre von der wichtigen Kommissionschefin, an der im EU-Betrieb niemand vorbeikommt, zu einer besseren Schreibkraft degradiert worden.
Auch inhaltlich hätte ein Sieg Le Pens die EU möglicherweise handlungsunfähig gemacht. Die EU soll bis zum Jahr 2050 die erste klimaneutrale Region auf der Welt sein. Von der Leyen machte für ihre Klimapläne am Wochenende in Indien Werbung. Mit Le Pen als Präsidentin wäre es noch schwerer geworden, das ohnehin ambitionierte Ziel zu erreichen, hatten EU-Diplomaten vor der Stichwahl gesagt.
Schließlich wäre der derzeit einigermaßen einheitliche EU-Umgang mit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine im Fall eines Siegs von Le Pen in Gefahr geraten. Le Pen ist für ihre Nähe zu Putin bekannt. Als französische Präsidentin hätte sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit umgehend auf die Seite des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán geschlagen.
Orbán, der zwischen Nähe und Distanz zu Putin laviert, ist schon alleine ein großer Störfaktor in der europäischen Politik gegenüber Russland. In Brüssel war deswegen die Sorge groß, dass ein Duo aus Le Pen und Orbán zum Beispiel neue Sanktionen gegen Russland verzögert oder vielleicht ganz verhindert hätte. Sanktionen müssen in der EU einstimmig verhängt werden.
Freude in Berlin
In Berlin zeigten sich zentrale Politiker der Koalition zufrieden. „Ich bin sehr erleichtert“, sagte der Vorsitzende des Bundestags-Europaausschusses, Anton Hofreiter (Grüne), dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Das ist ein gutes Signal für Frankreich und auch für Europa. Wir müssen nun die Chance nutzen, dass Deutschland und Frankreich sehr proeuropäisch aufgestellt sind und die Zusammenarbeit verstärken und die EU vertiefen.“
Hofreiter forderte ein entschlossenes Vorgehen auch der Bundesregierung. „Die Antwort Deutschlands auf die großen europäischen Ideen Macrons darf nicht mehr so zögerlich sein wie in den vergangenen Jahren. Auch der Koalitionsvertrag sieht das Ziel eines europäischen Bundesstaates vor. Daran sollten wir arbeiten.“
Außerdem betonte er, die relative Stärke der Rechtsextremen bei der Wahl müsse ernst genommen werden. Man müsse auf die Ursachen reagieren. „Dazu gehören vor allem auch soziale Fragen.“
„Ganz Europa und insbesondere Deutschland können aufatmen“
Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), zeigte sich erleichtert. „Ganz Europa und insbesondere Deutschland können aufatmen“, sagte er dem RND. Mit der Wiederwahl Emmanuel Macrons „bleibe der EU eine Zerreißprobe und den deutsch-französischen Beziehungen eine existenzielle Krise erspart“, sagte Roth: „Glückwunsch dem Gewinner!“
Allerdings stehe Macron auch vor einer großen Herausforderung: Der Glauben vieler Französinnen und Franzosen, dass nicht das vereinte Europa, sondern vor allem der Nationalstaat klassischer Prägung Probleme zu lösen und Menschen zu schützen vermag, sei nach wie vor sehr groß. Populisten und Nationalisten wie Le Pen und andere hätten versucht, davon zu profitieren. Sie „nutzen die Ängste und Sorgen von Teilen der Bevölkerung schamlos und zynisch aus“. Soziale Ungerechtigkeiten und Ungewissheiten begründeten sie „mit einer vermeintlich rein marktorientierten EU und einer weitgehend ungezügelten Globalisierung“.
Auf den Präsidenten komme eine schwere Aufgabe zu, die möglicherweise seine europolitischen Handlungsspielräume einschränke: „Unklar bleibt, wie stark Emmanuel Macron auf diese gesellschaftlichen Milieus Rücksicht nehmen muss, um das Land stärker zu einen und sich glaubhaft von dem Klischee zu befreien, er sei der Repräsentant einer abgehobenen akademischen und wirtschaftlichen Elite“, sagte Roth.
Sollte sich Macron in den nächsten Monaten und Jahren mehr um Frankreich kümmern müssen, dann berge das ein Risiko für die EU, sagte Roth. Der grausame russische Angriffskrieg auf die Ukraine verdeutliche wie im Brennglas, „wie wichtig eine geschlossene, entschlossene und handlungsfähige EU ist“.