- Matthias Anbuhl ist Generalsekretär des Deutschen Studentwerks
- Studentenwerke betreuen an Universitäten die Studierenden bei sozialen Fragen
- Unter anderem vermieten viele Studentenwerke Wohnungen an Studierende
Herr Anbuhl, werden die Studierenden bei den Entlastungen im Kampf gegen die Inflation schon ausreichend berücksichtigt?Anbuhl: Nein. Die Bundesregierung muss bei den Entlastungen für die Studierenden noch einmal nachlegen, damit sie einigermaßen gut über den Winter kommen. Gut ist, dass die Studierenden auch bislang schon berücksichtigt werden. Das Neun-Euro-Ticket hat ihnen geholfen. Der Heizkostenzuschuss war wichtig. Auch von der 300 Euro Energiepauschale, die auch Minijobber geltend machen können, profitieren sie. Klar ist aber, alle stehen vor einem Wintersemester mit vielen Ungewissheiten. Das einzig Sichere ist: Vieles wird teurer.
Was ist das größte Problem? Und was schlagen Sie konkret vor?
Die Steigerung der Preise für Strom und Heizen trifft die Studierenden hart – ebenso wie die Lebensmittelpreise. Die Inflation und ihre Folgen werden manch einen in Existenznöte stürzen. Das monatliche Budget vieler Studentinnen und Studenten ist ohnehin auf Kante genäht. Die Lage ist dramatisch. Wir brauchen für diesen Winter dringend weitere Hilfen – nicht nur für Bafög-Empfänger, sondern für alle Studierenden. Und wir brauchen einen Fonds, der einspringt, wenn Studierende ihre Miete nicht mehr zahlen können.
Das Bafög ist gerade erhöht worden. Reicht das aus?
Die Bafög-Sätze sind im August um 5,75 Prozent gestiegen. Die Inflation liegt deutlich darüber. Die Erhöhung wird komplett von der Inflation aufgefressen. Deshalb muss die Bundesregierung das Bafög schnellstens ein weiteres Mal kräftig erhöhen. Sonst besteht die Gefahr, dass es zum Leben hinten und vorne nicht reicht. Das müssen wir verhindern.
Braucht es einen Mechanismus, um das Bafög automatisch und regelmäßig an die Preisentwicklung anpasst?
Ja. Momentan hängt die Frage, wann und was für eine Bafög-Erhöhung es gibt, allein davon ab, ob und wozu die Politik sich aufraffen kann. Wir benötigen einen Mechanismus, der sicherstellt, dass das Bafög mindestens alle zwei Jahre erhöht wird – entlang der Preissteigerung. In der Vergangenheit gab es immer wieder Nullrunden, weil es für die Politik praktisch war, das Thema Bafög-Erhöhung noch mal aufzuschieben. Damit muss Schluss sein. Davon unabhängig besteht wegen der Inflation auch akuter Handlungsbedarf, bis hin zu der Frage, wie die Politik reagiert, wenn die Preise im nächsten Jahr immer weiter steigen.
Fürchten Sie, dass die Studierenden im Winter im WG-Zimmer frieren müssen?
Es geht jetzt nicht um Angst, sondern darum politische Vorkehrungen zu treffen. Niemand soll im Winter in seiner Wohnung frieren müssen. Das muss auch für die Studierenden gelten. Das muss die Politik durch die entsprechenden Hilfskonzepte absichern.
Vor welche Probleme stellt die Inflation die Studierendenwerke selbst?
Für ihr Zimmer im Wohnheim zahlen die Studierenden eine Pauschalwarmmiete, das heißt einen Fixbetrag. Das ist gut für sie – weil erst einmal das Studierendenwerk für die höheren Heizkosten aufkommen muss. Das ist nur leider nicht mehr halten. Zum Teil sind die Studierendenwerke schon jetzt gezwungen, wegen der massiven Teuerung beim Gas die Mieten in ihren Wohnheimen drastisch zu erhöhen. Das wird sich zum Wintersemester weiter verschärfen. Niemand möchte diese Kosten gern komplett durchreichen. Das gilt ebenso für die gestiegenen Einkaufspreise für Lebensmittel, die das Mensa-Essen verteuern. Auch die Studierendenwerke brauchen dringend zusätzliche Unterstützung von Bund und Ländern, um die Preise, so gut es geht, sozial zu halten.
Gehören Unis und Fachhochschulen zur kritischen Infrastruktur, die – im Fall der Energieknappheit – an erster Stelle mit Gas versorgt werden muss?
Das Bildungssystem muss – so lange es geht – offen gehalten werden. Das muss für Kitas und Schulen gelten, aber auch für die Unis und Fachhochschulen. Sie alle sollten im Ernstfall samt der sozialen Infrastruktur vorrangig mit Gas versorgt werden. Viele haben in der Pandemie mehrere Semester nur von zu Hause studiert. Studienanfänger haben ihre Hochschule gar nicht erst kennen gelernt. Unter der Isolation und unter der fehlenden Normalität haben viele Studierende psychisch stark gelitten. Wir dürfen jetzt nicht vom Corona-Lockdown in einen Gas-Lockdown für die Hochschulen stolpern.
Manch einer wird sagen, dass es jetzt auf jeden Fall Rücksicht auf Schülerinnen und Schüler braucht, aber dass erwachsene Studenten mit solchen Schwierigkeiten klarkommen müssen.
Niemand sollte unterschätzen, was die lange Zeit des Lockdowns auch für Studierende bedeutet hat. Wir sehen das in unseren psychosozialen Beratungsstellen, in denen sich die Wartezeiten mancherorts vervielfacht haben. Nicht wenige Studierenden hat die Einsamkeit an den Rand einer Depression oder sogar in eine solche hineingetrieben. Jetzt einfach zu sagen „Stellt euch mal nicht so an, liebe Studentinnen und Studenten“, wird dem Ausmaß der Probleme nicht gerecht.