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Gefängnis-Beauftragter aus Köln„Manche Krimis haben eine wirklich absurde Note“

Lesezeit 6 Minuten
Ein Computerzugang mit Internet auf der Zelle ist in deutschen Gefängnissen noch die absolute Ausnahme – anders als zum Beispiel in Norwegen.

Ein Computerzugang mit Internet auf der Zelle ist in deutschen Gefängnissen noch die absolute Ausnahme – anders als zum Beispiel in Norwegen.

Als einziges Bundesland hat NRW einen Justizvollzugsbeauftragten. Michael Kubink aus Köln spricht über Missstände im Knast, Internet im Gefängnis und einen befremdlichen „Tatort“.

Hell und freundlich wirkt das neue Büro des NRW-Justizvollzugsbeauftragten im Oberlandesgericht Köln. Der frisch verlegte Teppich verströmt noch einen intensiven Geruch, an der Wand stehen nicht ausgepackte Umzugskisten, es fehlen noch ein paar Möbel.

Seit Ende Januar nimmt Michael Kubink hier, im Gerichtsgebäude am Reichenspergerplatz, die Eingaben, Anregungen und Beschwerden von Menschen entgegen, die in Nordrhein-Westfalen mit dem Strafvollzug zu tun haben: Gefangene und deren Angehörige etwa, Bedienstete und Ehrenamtler. Sein altes Büro an der Rochusstraße in Köln-Ossendorf, im Schatten des Klingelpütz, musste Kubik Ende 2024 verlassen – die Häuser dort sollen abgerissen werden und dem geplanten Neubau weichen.

Der habilitierte Rechtswissenschaftler ist ein unabhängiger Vermittler zwischen Justizministerium und den Haftanstalten, er sieht sich als Brückenbauer zwischen Theorie und Praxis. Und er soll helfen, den Strafvollzug zu gestalten und zu verbessern – ein Job, den es in dieser Form in keinem anderen deutschen Bundesland gibt. Michael Kubink macht ihn seit zehn Jahren.

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Herr Kubink, mit welchen Anliegen wenden sich die Gefangenen in NRW an Sie?

Uns erreichen ungefähr 250 Eingaben jedes Jahr, zu 98 Prozent kommen sie von Inhaftierten. Die meisten beklagen sich über eine aus ihrer Sicht mangelnde Gesundheitsfürsorge in der JVA, zum Beispiel darüber, dass sie Generika erhalten, weil die günstiger sind als die Originalpräparate. Andere schreiben, dass ihnen Lockerungen nicht gewährt werden. Und natürlich gibt es auch immer welche, die sich über das Essen beschweren. Aber da versuche ich jetzt nicht, den Koch austauschen zu lassen. Dem einen schmeckt es eben, dem anderen nicht.

Prof. Michael Kubink

Prof. Michael Kubink

Wann greifen Sie denn ein – und wie können Sie konkret helfen?

Nehmen Sie das Beispiel Lockerungen. Ein funktionierender und halbwegs fortschrittlicher Strafvollzug denkt schon ab dem ersten Tag der Haft an die Perspektive in Freiheit. Dazu gehört auch, dass der Inhaftierte ab und zu eine Ausführung gewährt bekommt, zu wichtigen Terminen zum Beispiel, wenn die Mutter Geburtstag hat oder einfach nur zur Vorbereitung, um schon mal an der Freiheit zu schnuppern. Bei Beschwerden fordern wir zuerst einmal eine Stellungnahme der Anstaltsleitung an. Manchmal sind gewisse Fristen oder rechtliche Bedingungen für eine Lockerung nicht erfüllt. Aber manchmal wurde eine Ausführung auch mit nicht ganz nachvollziehbaren Begründungen abgelehnt. Dann haken wir nach.

Sie haben kürzlich an der Uni Köln eine Tagung ausgerichtet zum Thema: Verzerrte Bilder vom Strafvollzug in der Öffentlichkeit. Was genau meinen Sie damit?

Manche Darstellungen in Krimis haben eine wirklich absurde Note. Ich denke da vor allem an einen sehr befremdlichen „Tatort“ des Bayerischen Rundfunks vor einem Jahr, „Das Wunderkind“. Da werden alle Klischees bedient, von Vergewaltigung über Drogenhandel bis Kidnapping und Mord und Totschlag im Vollzug. Der Film erweckt den Eindruck, die Gefängnisse in Deutschland seien ein Moloch der Gewalt, der sexuellen Übergriffe und der standardisierten Korruption von Bediensteten. So ist das nicht. Natürlich gibt es Missstände, Strafvollzug ist ein Modell, das man immer verfeinern und verbessern muss. Aber alles gleichzeitig in einer Anstalt wie in diesem Film – das ist schon eine sehr eigenartige Vorstellung von Realität.

Und das wollen Sie ändern?

Ja. Es ist mir ein Anliegen, solche irrealen Vorstellungen in der Welt der Medien zu korrigieren. Dazu bedarf es unter anderem einer aktiven Medienarbeit der Justizvollzugsanstalten, um gesellschaftlich Gehör zu finden und nicht nur mit Negativschlagzeilen wahrgenommen zu werden. Gegen den „Tatort“ habe ich eine Programmbeschwerde bei der Intendantin des Bayerischen Rundfunks eingelegt. Die Antwort war recht unbefriedigend. Man verwies auf die Notwendigkeit dramaturgischer Verdichtungen im fiktionalen Kontext. Immerhin hat der Regisseur des Films sich auf unserer Tagung dem Dialog gestellt. Das fand ich gut.

Computer und Internet gelangen mit demselben Zeitverzug von 20, 30 Jahren in die Anstalten wie die Fernsehgeräte ab den 80er Jahren
Michael Kubink, NRW-Justizvollzugsbeauftragter

Sie kennen nicht nur die JVA Köln genau, sondern alle Gefängnisse in NRW, Sie sind im ständigen Austausch mit Bediensteten und Gefangenen. Welche Rolle spielt Gewalt im Knastalltag denn tatsächlich?

Handgreiflichkeiten kommen weniger oft vor, als man sich das gemeinhin vielleicht vorstellt. Häufiger geht es um eine Form von psychischer Gewalt: Beleidigungen, Drohungen, Ruppigkeiten. Man darf ja auch nicht meinen, alle Gefangenen seien zahme Lämmer. Das sind schon Leute, die strafrechtlich einiges auf dem Kerbholz haben.

Wie sieht in Ihren Augen der ideale Strafvollzug aus?

Es gibt einen gesetzlich festgelegten „Angleichungsgrundsatz“. Das heißt, dass die Beeinträchtigungen hinter Gittern im Vergleich zum wahren Leben draußen so gering wie möglich zu halten sind. Das bedeutet zum Beispiel auch, dass die Inhaftierten keine virtuellen Analphabeten sein dürfen. Während wir schon KI nutzen, müssen sie noch darum kämpfen, dass sie überhaupt einen Computerzugang bekommen oder mal eine E-Mail schreiben können. Seit ein paar Jahren gibt es immerhin erste Programme, die freigeschaltete seriöse Portale wie Wohnungssuche oder Kontaktmöglichkeiten zu Arbeitgebern bieten. Aber das sind bisher nur zarte Ansätze. Computer und Internet gelangen mit demselben Zeitverzug von 20, 30 Jahren in die Anstalten wie die Fernsehgeräte ab den 80er Jahren, die inzwischen Standard sind.

Sollte jeder Gefangene auf seiner Zelle einen eigenen Computer haben dürfen?

Ja, das könnte ich mir vorstellen. Zumindest sollte es Gemeinschaftsmedienräume geben, die die Inhaftierten nutzen und wo sie auch mal eine Mail schreiben können. Und genauso wie jetzt schon Briefe können ja auch Mails vor dem Versenden von der Anstalt gegenlesen werden. Aber in dieser Hinsicht passiert bei uns einfach noch zu wenig. In Norwegen beispielsweise sind die Haftanstalten bestens ausgestattet mit Computern in den Räumen der Inhaftierten.

Einige dürften jetzt aufschreien: Jetzt sollen die im Knast also auch noch Internet kriegen?

Ja, manche meinen, die Strafe im Gefängnis muss spürbar sein, und die soll auch ruhig eine deftige Note haben. Aber das ist auch so ein Stereotyp: dass der Vollzug zum Schuldausgleich einen harten, disziplinierenden Charakter haben müsste. Dabei man kann nicht einfach sagen: Wir machen denen die Welt da drinnen jetzt mal richtig madig und schlecht. Das wäre mit dem Recht nicht vereinbar. Die Strafe ist der Freiheitsentzug, und der gesetzliche Auftrag des Vollzugs ist die Vorbereitung der Inhaftierten auf die Zeit danach. Zuchthäuser gibt es in Deutschland schon lange nicht mehr.


Prof. Dr. Michael Kubink ist seit 2014 der Jus­tiz­vollzugsbeauftragte des Landes Nordrhein Westfalen.

Kubink wurde 1964 in Köln geboren. Von 1994 bis 2001 war er wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Kriminologie und Strafrecht der Universität zu Köln. Seit seiner Habilitation 2001 ist er in den Bereichen Kriminologie, Strafvollzugsrecht, Jugendstrafrecht und allgemeines Strafrecht als Dozent an der Universität Köln tätig.

Von 2003 bis 2014 leitete er das unter anderem für Jugendstrafrecht, Bewährungshilfe und Kriminalprävention zuständige Referat im NRW-Jus­tiz­ministerium.