Frank Neubacher freut sich über den „Gegenwind in unserer Vollzugspolitik“ aus der EU und unterstützt den Vorstoß, kleinere Gefängnisse zu bauen.
Kölner Kriminologe im Interview„Wir müssen die Gefangenen-Subkultur unter Kontrolle bringen“
- Frank Neubacher leitet das Institut für Kriminologie der Universität zu Köln.
- Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist das soziale Klima hinter Gittern.
- Im Interview verrät der Kriminologe, wie man die Rückfallquote von Gefangenen verbessern kann, warum andere Länder Deutschland beim Strafvollzug voraus sind und warum sich bei ihm mitunter Frust auf die Politik aufbaut.
Herr Neubacher, die EU-Justizminister schlagen vor, künftig kleinere Gefängnisse zu bauen, weil das die Haftbedingungen für Gefangene verbessere und ihnen die Rückkehr in die Gesellschaft erleichtere. Was halten Sie davon?
Frank Neubacher: Aus wissenschaftlicher Sicht würde ich dieses Papier sofort unterschreiben. Die Größe einer Haftanstalt ist nicht der einzige, aber ein wichtiger Faktor für das Anstaltsklima. Je besser das soziale Klima in einer Anstalt ist, desto besser geht es den Gefangenen und den Bediensteten – und desto besser gelingt die soziale Wiedereingliederung der Gefangenen. In Studien in England wurde nachgewiesen, dass sich ein sozialeres Klima in der Haftanstalt in einer niedrigeren Rückfallquote niederschlägt. Daher sehe ich es mit großer Freude, dass international ein bisschen Gegenwind in unsere Vollzugspolitik kommt, denn die Entwicklung in Deutschland geht genau in die andere Richtung.
Wie meinen Sie das?
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Es gibt hierzulande in den vergangenen Jahrzehnten die Tendenz, eher größere Anstalten zu bauen, um dann mit weniger Bauten auszukommen oder variabler zu sein. Oft errichtet man eine Art Baukastensystem für verschiedene Nutzungsmöglichkeiten, mit Haftplätzen für verschiedene Vollzugsformen, zum Beispiel Strafvollzug, Untersuchungshaft, Sicherungsverwahrung, Frauenvollzug. In Bezug auf Baukosten, Unterhaltungskosten und Personalkosten kommt man natürlich billiger weg, wenn man eine große Haftanstalt mit 800 Plätzen baut als vier kleine mit 200 Plätzen. Da sind wir jetzt bei dem leidigen Thema: Was sind wir als Gesellschaft bereit, uns den Vollzug kosten zu lassen?
Wie groß sollte denn ein Gefängnis maximal sein?
Es gibt kein Gesetz, das eine Obergrenze festlegt. Klar ist: Die JVA Köln zum Beispiel mit 1000 Haftplätzen ist ein Riesenapparat, das ist zu viel. Vor 20 Jahren gab es einen Referentenentwurf für ein Jugendstrafvollzugsgesetz aus dem Bundesjustizministerium. Der sah vor, dass Jugendstrafanstalten nicht mehr als 240 Haftplätze haben sollten, und mindestens zwei Drittel sollten fest mit schulischer oder beruflicher Ausbildung verbunden sein. 240 wäre auch für den Erwachsenenstrafvollzug eine interessante Marke. Ein bisschen weniger wäre noch besser. Aber in der Realität sind wir ganz weit entfernt von dieser Größe.
Warum hört die Politik nicht auf die Wissenschaft?
Weil sie weiß, dass mit dem Thema politisch kein Blumentopf zu gewinnen ist. Die Wissenschaft stellt viele Erkenntnisse zur Verfügung, aber die werden nicht abgefragt oder scheinen für die Politik nicht interessant zu sein. Auf nationaler Ebene sehe ich jedenfalls überhaupt nicht, dass irgendjemand ernsthaft Absichten hätte, Anstalten zu verkleinern, den offenen Vollzug zu stärken oder sonstige Alternativen zum herkömmlichen Strafvollzug zu entwickeln. Da baut sich manchmal auch ein bisschen Frust auf. Andere Staaten in Europa sind uns da voraus.
Was konkret sind die Vorteile einer kleineren Haftanstalt?
Das geht schon mit dem Äußeren los. Große Anstalten sind in der Regel sehr gefängnistypisch. Sie haben Mauern, Zäune, lange Wege und die typische Geräuschkulisse: Schlüssel und das Hallen der Schritte. Aus der Schweiz kenne ich eine Anstalt für Frauen mit gerade mal etwas mehr als 100 Gefangenen. Da herrscht eine ganz andere Atmosphäre, das spüren Sie schon, wenn Sie reinkommen. Die Atmosphäre ist nicht so bedrückend. Aber noch wichtiger ist das Zwischenmenschliche. Wir müssen die Gefangenen-Subkultur unter Kontrolle bringen.
Was verstehen Sie darunter?
Die Hackordnung der Gefangenen mit ihren eigenen Regeln, dem Schwarzmarkt und der Gewalt. Aber das kriegen wir nur in kleineren Anstalten in den Griff. Es gibt den Begriff der sozialen Sicherheit. Die kann man nicht durch Zäune, Mauern und Videoüberwachung erreichen, sondern durch persönliche Beziehungen: Man kennt sich, das Personal kann die Gefangenen besser einschätzen und kriegt eher mit, wenn sich gefährliche Situationen anbahnen. Manchmal werden Bedienstete auch von Gefangenen gewarnt, wenn Mitgefangene etwas Übles ausheckten. So etwas funktioniert in überschaubaren Einheiten mit gutem Personalschlüssel besser als in großen Haftanstalten. Und nur so kann man mit den Gefangenen so arbeiten, dass sie eine echte Chance haben, künftig nicht mehr straffällig zu werden.
Einem Großteil der Öffentlichkeit wäre möglicherweise schwer zu vermitteln, warum es sinnvoll sein sollte, den Menschen im Gefängnis ihr Leben leichter zu machen. Wie oft hören Sie zum Beispiel den Satz: „Ein Knast ist ja kein Hotel“?
Den hört man schon hin und wieder. Aber wenn diejenigen, die so etwas sagen, wüssten, womit sie im Knast rechnen müssten, würden sie so nicht reden: ein Haftraum von ca. sieben Quadratmetern, in einigen Fällen gemeinschaftliche Unterbringung, kein warmes Wasser im Haftraum, nur zweimal die Woche duschen, keine freie Arztwahl, keine eigenen Entscheidungen treffen können. Und dann vor allem die Probleme mit den Mitgefangenen, Gewalt und die quälende Frage: Wendet sich meine Familie jetzt von mir ab?
Nun könnte man einwenden: Wer im Gefängnis sitzt, der ist in der Regel nicht ohne Grund da drin.
Natürlich gibt es Leute, die richtig was auf dem Kerbholz haben, das darf man nicht beschönigen. Einige sind sogar gefährlich. Wegen dieser Leute können wir auf Gefängnisse nicht ganz verzichten. Aber der Deal ist, dass der Staat sagt: Wir entziehen dir aus Sicherheitsgründen die Freiheit – bis wir dich gebessert haben und du künftig keine Gefahr mehr darstellst. Das bedeutet aber auch, dass der Staat diese Aufgabe während der Freiheitsentziehung ernsthaft angehen muss, und das tut er vielfach nicht. Insofern hält er seinen Teil der gesetzlich vorgesehenen Vereinbarung nicht immer ein. Das Bundesverfassungsgericht sagt: Die Resozialisierung dient auch der Gesellschaft, weil sie Teil des Sicherheitskonzepts ist. Denn früher oder später kommen fast alle wieder raus.
Welche Rolle spielt der Aspekt der Strafe bei einem Gefängnisaufenthalt?
Die Freiheitsentziehung ist die Strafe, die Resozialisierung ist das gesetzlich festgelegte Vollzugsziel. Aber das bedeutet eben auch, dass wir den Gefangenen keine unnötigen Übel zumuten dürfen nach dem Motto: Naja, eine Rattenplage im Knast gehört halt dazu. Das wäre nicht richtig. Den meisten Menschen ist wahrscheinlich gar nicht bewusst, dass Strafvollzug vornehmlich auf die Wiedereingliederung der Gefangenen ausgerichtet ist. Da müssen wir mehr Aufklärung leisten, und da sehe ich auch die Politik in der Verantwortung zu informieren.
Die JVA in Köln soll bald abgerissen und in gleicher Größe neugebaut werden. Haben Sie Hoffnung, dass die Pläne nach dem EU-Beschluss noch einmal geändert werden und die neue Anstalt kleiner ausfallen könnte?
Nein, wahrscheinlich ändert sich für die konkreten Projekte nichts. Trotzdem sind die internationalen Empfehlungen als Denkauftrag wichtig – weil sie der Politik zeigen, dass es auch andere Wege und andere Vorstellungen von Strafvollzug gibt als die, die in den vergangenen Jahren beschritten wurden. Die EU hat ja verschiedene Möglichkeiten, auf die Gesetzgebung in den Mitgliedsstaaten Einfluss zu nehmen. Es ist nicht auszuschließen, dass aus der jetzigen Initiative irgendwann mal etwas Größeres entsteht.