„Dialog und Härte“So versucht der Westen in der Ukraine-Krise zu verhandeln
Washington/Kiew – Alle Nachfragen helfen nichts, auch nicht die des CNN-Top-Moderators Jake Tapper. Als sei es ein Unwort, nimmt der Bundeskanzler Nord Stream 2 nicht in den Mund. Auch nicht bei US-Präsident Joe Biden in Washington. Dabei verengt sich die Frage nach der deutschen Rolle im Ukraine-Konflikt mit Moskau auf bizarre Weise auf mögliche Sanktionen gegen die umstrittene Ostseepipeline von Russland nach Deutschland.
Fast kann man den Eindruck eines Nebenkriegsschauplatzes haben. Vor allem in den USA wollen Politiker von Olaf Scholz hören, dass er auch diese Gasröhre meint, wenn er sagt, alle Optionen lägen auf dem Tisch. Aber er tut es nicht. Vielleicht ist der neue Kanzler einfach nur stur. Vielleicht plant er aber auch einen Coup. Die nächsten Tage könnten die Weichen dafür stellen.
„Dialog und Härte“
Die Lage sei „hochdramatisch“, sagt Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Dienstag, als sie sich mit Helm und schutzsicherer Weste von einem Kommandeur der ukrainischen Regierungstruppen im Krisengebiet Donbass die Lage erklären lässt. „Wir werden diese Aggression von russischer Seite nicht militärisch lösen können“, betont sie abermals. Wie sollte das auch gehen? Die Ukraine könnte gegen die vor ihrer Grenze aufmarschierten 100 000 russischen Soldaten bei einer Invasion nicht ankommen und die Nato darf und will nicht der Ukra-ine auf ihrem Gebiet zu Hilfe kommen. Bleiben Drohkulisse und Verhandlungstisch – und Sanktionen.
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Baerbock hat früh von „Dialog und Härte“ gesprochen, Scholz spricht von einer „Doppelstrategie“. Deutschland kommt in den Augen der USA derzeit offensichtlich mehr die Rolle von Dialog und Diplomatie und weniger von Härte zu, schließlich sagt Biden: „Wir glauben, dass Diplomatie die Lösung ist. Deutschland hat eine führende Rolle bei der Deeskalation der Spannungen übernommen.“ Für Scholz ist das neben Bidens Versicherung vor aller Welt, dass er keine Zweifel an Deutschlands Verlässlichkeit habe, ein wichtiges Signal.
Macron als der große Vermittler
Denn gegenwärtig wirkt vor allem Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, der in diesem Halbjahr die EU-Ratspräsidentschaft hat und eine Wahl gewinnen will, als der große Vermittler. Er sagt am Dienstag über sein sechsstündiges Gespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Vorabend: „Ich habe erreicht, dass es keine Verschlechterung und keine Eskalation gibt.“ Macrons Selbstbewusstsein steht dem von Scholz in nichts nach.
Um sich von Putin aber nicht an der Nase herumführen zu lassen, darf es im Westen keinen Wettbewerb geben, wer Diplomatie am besten kann – während Moskau weiter ungerührt Truppen an die ukrainische Grenze schickt. Scholz hat es zumindest organisiert, dass Macron auf seinem Rückweg von Moskau nach Paris in Berlin stoppt und mit ihm über Putin und eine gemeinsame Strategie spricht. Am Dienstagabend treffen sie sich im Kanzleramt. Polens Staatschef ist auch dabei.
Scholz geht volles Risiko
In Washington geht Scholz volles Risiko. Der offizielle Teil seines Kurztrips ist fast vorbei, als der wohl schwierigere Part beginnt. Zwei Stunden hat er mit Biden beraten und bei der anschließenden Pressekonferenz dessen Versicherung der deutsch-amerikanischen Freundschaft gehört. Doch nun muss der SPD-Politiker eine noch größere Herausforderung bestehen: Er muss auch die amerikanische Öffentlichkeit überzeugen, dass Deutschland nicht jener unsichere Kantonist ist, als den es Kritiker in den USA darstellen.
Scholz wählt dafür keinen Auftritt vor geladenem Publikum bei einer Washingtoner Denkfabrik, wie das seine Vorgängerin Angela Merkel zuletzt gemacht hatte. Stattdessen fährt der 63-Jährige vom Weißen Haus direkt in die Höhle des Medienlöwen: Im Studio des liberalen Senders CNN stellt er sich live und auf Englisch den Fragen des streitbaren Moderators Jake Tapper.
Zu erklären gibt es viel, vor allem aber die deutsche Weigerung von Waffenlieferungen an die Ukraine und der eigenartige Eiertanz um Nord Stream 2. In Kiew würde manch einer die Deutschen inzwischen eher „als Verbündeten Russlands“ sehen, behauptet Tapper bewusst provokativ zu Beginn des Gesprächs. „It“s absolutely nonsense“, schießt es da aus dem sonst eher spröden Kanzler heraus. So ein Quatsch.
Englisch? No Problem!
Die folgenden 20 Minuten haben Höhen und Tiefen, aber unter dem Strich hat man selten ein so lebendiges Interview von Scholz gesehen. Es wirkt, als reiße die fremde Sprache den Hanseaten aus den eingefahrenen Pfaden seines üblichen Vortrags, mit dem er es oft künstlich umständlich vermeidet, eine Antwort auf die Frage zu geben. Englisch ist für ihn kein Problem, gleichwohl scheint er sich eher auf die Vokabeln als auf das Drechseln schlauer Formulierungen zu konzentrieren. Das kommt der Argumentation sehr zugute.
Spektakuläre Schlagzeilen liefert Scholz nicht. Doch kann er einiges zurechtrücken. Ob er den Briten eine Überflugerlaubnis für ihre Maschinen mit Militärhilfe verweigern würde, wie dies seit Wochen geunkt wird? „Never“, kontert der Kanzler. Er wisse gar nicht, woher das Gerücht komme: „Sie können den deutschen Luftraum nutzen.“ Im Übrigen würden das auch die Amerikaner tun. Und der Gaslobbyist und Putin-Genosse Gerhard Schröder? „Er spricht nicht für die Regierung. Er arbeitet nicht für die Regierung. Er ist nicht die Regierung. Der Kanzler bin ich.“ So klingt Distanzierung vom eigenen Altkanzler und ehemaligen SPD-Chef.
Unterstützung für Scholz durch Merkel?
Einen Rat würde er sich von Schröder, der sehr nah an Putin ist, nicht holen. Aber vielleicht von Merkel? So wie sie Scholz – deutlich vor ihrer ob der Niederlage schockstarren Union – zur gewonnenen Bundestagswahl gratuliert und ihn Biden schon beim G20-Gipfel in Rom vorgestellt hat, als er noch nicht Kanzler war, so ist ihr Unterstützung für Scholz in dieser Krise zuzutrauen. Immerhin hat sie 2015 jene Gesprächsgruppe mit gegründet, auf die Scholz jetzt setzt: Das Normandie-Format aus Frankreich, Deutschland, Russland und der Ukraine zur Überwindung des Konflikts zwischen Moskau und Kiew. Schon an diesem Donnerstag kommt die Gruppe auf Chefberaterebene in Berlin zusammen.
Am selben Tag spricht Scholz in Berlin mit den Staats- und Regierungschefs von Estland, Lettland und Litauen über die Ukraine-Krise und die Sicherheitslage in Osteuropa. Scholz hätte aus seinen vier Jahren als Vizekanzler genügend Vertrauen in Merkel. Und er könnte sicher sein, sie würde über ein Gespräch mit ihm öffentlich nie reden.
„Vielzahl von Sanktionen, die Russland schmerzen“
Zurück zu CNN. Scholz wiederholt in dem Interview, dass im Falle eines russischen Einmarsches in die Ukraine Deutschland und seine Verbündeten absolut zusammenstünden. Ein Truppeneinmarsch werde eine „Vielzahl von Sanktionen auslösen, die Russland schmerzen“. Deutschland übrigens auch.
Nun müsste er eigentlich nur noch androhen, dass das fertig gestellte Milliardenprojekt Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen würde, wie es von Demokraten und Republikanern im US-Kongress unisono gefordert und von der amerikanischen Regierung seit Wochen angedroht wird. „Falls Russland angreift und Panzer und Soldaten wieder die Grenze der Ukraine überqueren, dann wird es kein Nord Stream 2 mehr geben“, sagt Biden in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz im East Room des Weißen Hauses.
Nächste Woche Moskau
Scholz weicht zweimal Fragen dazu aus. Aus irgendwelchen Gründen will er das einfach nicht aussprechen, sondern pocht wieder auf die ganzen Optionen, die auf dem Tisch lägen. Verstehen tut das in Washington niemand. Dass Biden das Ende der Pipeline angekündigt habe, melden die amerikanischen Zeitungen groß. Der deutsche Kanzler, ergänzt die „New York Times“ beiläufig, sei weiter „vage“ geblieben.Oder ist das mit Biden abgesprochen? Haben sie sich einen Plan zurechtgelegt?
Am nächsten Dienstag ist es der Bundeskanzler, der in Moskau erwartet wird, nachdem er in Kiew am Montag Staatschef Wolodymyr Selenskyj getroffen haben wird. Er müsste etwas im Gepäck haben, um einer Friedenslösung mit Putin näherzukommen. Das Angebot zu mehr Dialog, mehr Austausch mit Russland wäre denkbar. Aber auch mehr klare Kante. Würde Scholz ausgerechnet in Moskau Nord Stream 2 beim Namen nennen, wenn es um mögliche Sanktionen geht, hätte das wohl die in den USA gewünschte Wucht. (rnd)