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Wann kommt die Endemie?Warum die Pandemie kein Ende nimmt

Lesezeit 5 Minuten
Wann kommt die Endemie?

Eine Frau trägt am Nachmittag auf der Frankfurter Einkaufsmeile Zeil eine FFP-2-Maske in der Hand. (Symbolbild)

Das Coronavirus wird bleiben – das steht mittlerweile fest. Zu Beginn war die Hoffnung noch groß, mit den entwickelten Impfstoffen eine Bevölkerungsimmunität zu erzeugen. Die Idee dahinter: Wenn ein Großteil der Menschen in Deutschland geimpft und damit vor Ansteckungen geschützt ist, könnte das verhindern, dass sich andere, die sich nicht impfen lassen können, mit dem Erreger infizieren und schwer erkranken. Doch schnell wurde deutlich: Die Impfungen bieten keinen hundertprozentigen Schutz vor Ansteckungen. Eine Bevölkerungsimmunität ist unmöglich.

Endemie: Corona wird bleiben

Damit bleibt nur noch ein Ausweg aus der Pandemie: die Endemie. Ein Zustand, in dem das Virus nur noch in einer bestimmten Region oder Population dauerhaft auftreten würde.

Es wäre damit nicht verschwunden, sondern würde noch jahrelang in Teilen der Weltbevölkerung grassieren – im Sommer womöglich etwas schwächer, im Winter wieder etwas stärker. Infektionen, Krankheits- und Todesfälle würde es nur noch in Maßen geben, und nicht mehr in Massen.

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Noch sei ein solcher endemischer Zustand aber nicht erreicht, stellte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor wenigen Tagen auf Twitter klar. Ohne Schutzmaßnahmen werde es in diesem Herbst nicht gehen. Ansonsten drohen etliche Infektionen und Schwerkranke, überlastete Krankenhäuser und Personalausfälle. Doch woran liegt es, dass die Pandemie noch immer kein Ende nimmt?

Virusvarianten umgehen Immunschutz

Schuld ist in erster Linie das Virus selbst. „Aktuell ist Sars-CoV-2 noch in der Lage, Varianten ausbilden, die unser Immunsystem unterlaufen können“, sagte Martin Stürmer, Virologe und Laborleiter am IMD-Labor für interdisziplinäre Medizin und Diagnostik in Frankfurt. Die Rede ist von sogenannten Immunescape-Varianten. Omikron ist zum Beispiel eine solche Virusvariante.

Je mehr Menschen durch Impfungen und Infektionen immun sind, desto größer wird der Evolutionsdruck auf das Coronavirus. Es muss Wege finden, die Abwehr des Immunsystems zu umgehen, um sich vermehren zu können. Bei jeder Übertragung des Virus entstehen zufällige Mutationen und somit neue Varianten. Die Virusvarianten, die den menschlichen Antikörpern entgehen können, also einen Immunescape haben, setzen sich schließlich durch.

Die Omikron-Varianten BA.4 und BA.5 können das Immunsystem sehr gut überlisten – und damit auch die Impfstoffe. Die gute Nachricht ist: Die Vakzine werden deshalb nicht unbrauchbar. Sie reduzieren weiterhin deutlich das Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken oder zu versterben. Der Schutz vor Ansteckungen lässt hingegen mit der Zeit allmählich nach.

Bevölkerungsimmunität reicht für Endemie noch nicht aus

Auch Geimpfte können sich also mit dem Coronavirus infizieren. Einen dauerhaften Schutz vor dem Erreger gibt es nicht. Das macht es umso schwieriger, die Pandemie zu beenden. Je länger eine Impfung zurückliegt, desto größer ist das Risiko für eine Ansteckung. Geimpfte, die sich mit dem Virus infizieren, erkranken jedoch in der Regel nicht so schwer an Covid-19 wie Ungeimpfte.

Omikron hat dafür gesorgt, dass sich viele Geimpfte zusätzlich infiziert haben. Eine solche hybride Immunität ist nach Ansicht von Expertinnen und Experten zurzeit der beste Schutz vor dem Virus – wenngleich er auch nicht ewig anhält. Gleichzeitig hat die Virusvariante viele Ungeimpfte infiziert, teilweise sogar mehrfach. Auch dadurch ist die Immunität in der Bevölkerung gewachsen.

Infektionen und Impfungen werden Immunität steigern

Aber: „Leider reicht sie noch nicht aus, um die Sommerwelle und die weitere Pandemiewelle diesen Herbst zu verhindern“, sagte Epidemiologe Timo Ulrichs von der Akkon-Hochschule in Berlin. Wären mehr Menschen zumindest vollständig – also zweimal – geimpft, könnte man dem Herbst gelassener entgegensehen. Rund 18,4 Millionen Menschen in Deutschland (22,2 Prozent) sind noch ungeimpft, wie sich aus dem offiziellen Impfdashboard des Bundesgesundheitsministeriums ablesen lässt. Knapp zwei Millionen sind es allein bei den über 60-Jährigen.

Im Laufe der Zeit wird sich die Immunität in der Bevölkerung jedoch weiter verbessern. Zum einen durch weitere Impfungen, zum anderen durch weitere Infektionen. „Sodass in der Saison 2023/24 zwar immer noch vermehrt Covid-Fälle auftreten werden, aber nicht mehr in Form einer großen Welle“, prognostizierte Epidemiologe Ulrichs. „Dann ist dem Virus das pandemische Potenzial genommen und es wird sich in die anderen saisonalen Erreger einsortieren, wie zum Beispiel das Grippevirus.“

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Vorausgesetzt, das Coronavirus sorgt nicht für weitere Überraschungen. Zum Beispiel, indem eine Variante entsteht, die die Wirksamkeit der Impfstoffe deutlich reduziert, sodass auch wieder schwere Erkrankungen bei Geimpften möglich sind. Das Problem ist: Wie sich das Virus weiter entwickelt, kann heute noch kein Experte und keine Expertin voraussagen. „Wir werden bei jeder neuen Variante lernen müssen, wie sie sich verhält und was die Konsequenzen sind“, sagte Virologe Stürmer.

Neue Impfstoffe schützen besser vor Virusvarianten

Den Schutz vor Corona-Varianten sollen bald adaptierte Impfstoffe verbessern. Die Impfstoffhersteller Biontech/Pfizer und Moderna haben ihre Vakzine, die auf der ursprünglichen Virusvariante aus Wuhan basieren, weiterentwickelt.

Sie sind nun an Omikron angepasst – mit Ausnahme der Subtypen BA.4 und BA.5. Derzeit prüft die Europäische Arzneimittelagentur die Impfstoffe, im Herbst sollen sie dann auf den Markt kommen.

Lauterbach sieht angepasste Vakzine als Schlüssel

Für Gesundheitsminister Lauterbach sind an Virusvarianten angepasste Vakzine der Schlüssel zur Endemie. Noch besser wäre es, wenn diese dann auch vor Infektionen schützen. „Ich gehe davon aus: Das ist das Ende“, tweetete Lauterbach Mitte Juli. Die Impfstoffe könnten den Weg zum Pandemieende zusätzlich beschleunigen, ist auch Epidemiologe Ulrichs überzeugt.

Fest steht schon jetzt: Verändert sich das Virus weiter in dem Tempo wie bisher, werden die Impfstoffe wohl noch öfter angepasst werden müssen. Von der Entwicklung bis zur Zulassung dauere es momentan noch zu lange, meint Virologe Stürmer. „Wir brauchen eine neue Maßgabe, wie wir die neuen Impfstoffe zulassen.“

Kein festes Datum für Pandemieende

Doch selbst wenn adaptierte Impfstoffe zur Verfügung stehen, lässt sich nicht sagen, wann genau die Pandemie zu Ende sein wird. Ein festes Datum, das rot im Kalender umkreist werden kann, gibt es nicht. „Der Übergang von Pandemie zu Endemie ist fließend“, sagte Virologe Marco Binder, der am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg zu Sars-CoV-2 forscht, Anfang Mai. Klar messbare Parameter gebe es nicht.

„Ich gehe davon aus, dass sich da irgendwann ein neues Gleichgewicht einpendelt“, hatte Christian Drosten, Chefvirologe der Berliner Charité, vergangenen Monat in einem „Spiegel“-Interview erklärt. „Die Bevölkerungsimmunität durch Impfungen und Infektionen wird irgendwann so stark sein, dass das Virus an Bedeutung verliert. Dann sind wir im endemischen Zustand.“