Stürmer Davie Selke spricht über Anfeindungen, Höhen, Krisen, die Nationalmannschaft, seinen Glauben und vergleicht seine Trainer Steffen Baumgart und Felix Magath.
Köln-Stürmer Davie Selke„Ich bin kein Star, will nicht polarisieren, sondern einfach nur mit dem FC gewinnen“
Herr Selke, als Sie 2022 mit Ihrem Ex-Klub Hertha BSC den Klassenerhalt in der Relegation geschafft hatten, erschien Trainer-Altmeister Felix Magath mit Ihrem Trikot zu einem TV-Interview und erzählte, er würde es aufbewahren und hätte Sie extra darum gebeten. War Ihr Verhältnis so besonders?
Davie Selke: Wir hatten eine sehr gute Ebene. Die Art und Weise, wie ich spiele, gefiel ihm offenbar. Auch persönlich kamen wir gut miteinander klar. Das hat einfach gepasst. Felix Magath legt viel Wert auf Intensität. Ich schätze ihn als Mensch und Trainer sehr.
Magath und Steffen Baumgart sind natürlich unterschiedliche Persönlichkeiten, schon vom Alter her trennen Sie 18 Jahre. Aber eint beide dann doch etwas?
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Felix Magath ist noch mehr alte Schule – und das meine ich bei allem Respekt. Aber bei beiden ist klar: Harte Arbeit steht im Vordergrund, sie fordern und fördern viel. Beide sind sehr direkt und ehrlich. Ich denke auch, dass sie auch meine direkte und ehrliche Art schätzen. Im Abstiegskampf damals bei Hertha hatte mich Felix Magath ins Büro gebeten und wollte wissen, wie ich die Situation einschätze. Und meine klare Meinung hat ihm offenbar gefallen. Bei Steffen Baumgart ist das ähnlich.
Als Ihre Verpflichtung in Köln bekanntgegeben wurde, gab es auch Unkenrufe. Wie kamen Sie damit zurecht?
Das hat mich nicht berührt, sondern noch extra motiviert. Am wichtigsten waren für mich aber die Gespräche mit den Verantwortlichen. Ich hatte einen Verein gesucht, in dem ich wirklich richtig reinpasse und meine Stärken wieder zur Geltung kommen. Das war davor nicht wirklich der Fall. Von daher konnte ich selbst die eine oder andere kritische Stimme nachvollziehen. Ich hatte eine klare Vision vor meinem Wechsel zum FC. Und nach den Gesprächen merkte ich: Auf Köln habe ich jetzt richtig Bock. Ich habe beim FC eine große Chance für mich gesehen.
Privat sollen Sie eher ruhig und der Typ Familienmensch sein, nach außen hin wirken Sie durchaus lauter und extrovertierter. Sie haben in Ihrer Karriere oft polarisiert. Warum ist das so?
Mit dem Privaten haben Sie vollkommen recht, erst recht nach der Geburt meiner Tochter. Ich genieße das. Die Familie und mein Glaube sind das Wichtigste in meinem Leben. Auf dem Platz bin ich anders: Ich bin ein Typ, der immer gewinnen will und alles dafür investiert, alles raushaut und auch mal laut wird. Auch manchmal mit Mitteln, die an der Grenze des Erlaubten sind. Aber das ist vollkommen in Ordnung für mich.
Es gab und gibt sicherlich auch Leute, die sich in Ihrem Licht als bekannter Fußballprofi sonnen wollten. Zuletzt gab es Schlagzeilen über einen Bremer Friseur, bei dem Sie früher Kunde waren. Angeblich plante dieser sogar eine Klage gegen den FC, weil der Klub ein Foto von ihm in einem Video benutzt hatte.
Die Nummer hat wirklich genervt. Damals hatten wir eine gute persönliche Ebene. Seine öffentlichen Aussagen waren extrem unnötig, das habe ich ihm auch persönlich am Telefon mitgeteilt. Das Thema ist mittlerweile geklärt.
Muss ein Fußball-„Star“ damit leben?
Als Star würde ich mich nicht bezeichnen. Ich weiß natürlich auch, dass der Fußball einen sehr hohen Stellenwert hat. Aber ich sehe mich als Sportler und spiele Fußball – manche feiern das, manche nicht. Viele Kommentare sind mir vollkommen egal. Ich will auch nicht polarisieren, sondern ich will einfach mit meiner Mannschaft gewinnen. Und das sollten die Leute respektieren.
In dieser überhitzten Branche laufen auch junge Spieler die Gefahr, vorschnell die Bodenhaftung zu verlieren. Sehen Sie das auch so?
Ja, das kommt schon vor. Auch für junge Spieler wird schon sehr viel Geld bezahlt. Da ist dann nicht jeder so gefestigt und hat so ein gutes Umfeld, dass man alles so gut verarbeiten kann. Ich wünsche jedem einen guten Beistand, einen an der Seite, der dafür sorgt, dass man nicht einen Realitätsverlust erleidet. Zum Glück hatte ich solche Menschen an meiner Seite. Denn in der Fußball-Bubble kann es schnell passieren, dass man auch abhebt.
Ihr Start beim FC war – sagen wir mal – unglücklich.
Er war sehr unglücklich!
Doch dann nahmen Sie beim FC richtig Fahrt auf. Wie kam das?
Richtig überrascht davon war ich nicht, da ich von Anfang an mit meiner Entscheidung für den FC ein gutes Gefühl und eine gute Basis zum Trainer und den Verantwortlichen hatte. Und ich wusste ja auch, wie Steffen Baumgart spielen lässt. Dass wir viele Flanken schlagen, dass wir viele Chancen kreieren wollen. Als Stürmer bin ich davon auch abhängig, ich bin ein Spieler, der seine Stärken im Strafraum hat. Ich war froh, dass ich nach den Verletzungsproblemen zum Start fit geblieben bin und meine Torchancen verwertet habe. Unser Spielsystem passt zu mir.
Und weil es passt, waren sich der FC und Sie schnell einig, die Zusammenarbeit vorzeitig bis 2026 zu verlängern?
Ganz genau, es hat nicht lange gedauert, bis wir uns einig waren.
Exorbitante Reichtümer gibt es beim sich weiterhin konsolidierenden FC aber nicht zu verteilen.
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass Geld komplett unwichtig ist. Aber wir haben eine gute Lösung gefunden. Für mich war es wichtig, einen Verein zu haben, bei dem ich mich wohlfühle und reinpasse.
Welchen Stellenwert hat der FC mittlerweile bei Ihnen?
Ich bin ein Typ, der sein Herz auch mal auf der Zunge trägt und muss immer etwas vorsichtig sein mit irgendwelchen Aussagen, Liebesbekundungen etc.: Denn dafür ist das Geschäft zu schnelllebig. Aber ich kann sagen: Ich fühle mich extrem wohl beim FC. Ich liebe die Emotionalität in diesem Verein. Ich mag die Art und Weise, wie wir Fußball spielen, die positiv verrückten Fans. Ich habe das Gefühl: Ich brauche das hier gerade und schätze es auch.
Wissen Sie es auch deshalb zu schätzen, weil Sie als Profi schon andere Zeiten erlebt haben?
Zu 100 Prozent. Ich habe auch andere Erfahrungen machen müssen. Ich weiß, was es bedeutet, wenn man keine Rückendeckung erhält.
Die haben Sie beim FC offenbar. Mehr noch: Steffen Baumgart hat Sie Ende Mai Bundestrainer Hansi Flick ans Herz gelegt. Er würde Ihnen die Nationalmannschaft „zutrauen“. War das zu viel des Guten?
Weiß ich nicht. Ich habe derzeit aber ganz andere Themen, die mich umtreiben. Ich denke erst einmal drüber nach, dass ich über längere Zeit gesund bleibe und meine Leistung beim FC bringe.
Bei Niclas Füllkrug hätte vor anderthalb Jahren auch noch keiner ernsthaft über die DFB-Auswahl nachgedacht, als dieser in der 2. Bundesliga spielte. Deutschland ist derzeit nun einmal nicht mit vielen starken Mittelstürmern gesegnet.
Sein Beispiel zeigt, wie schnell es gehen kann. Das betrifft auch andere Spieler im DFB-Team. Das hat allerdings weniger mit mir zu tun. Für mich gibt es gerade nur den FC – das ist jetzt keine Floskel.
Sie könnten auch für andere Verbände spielen. Ihr Vater ist Äthiopier, Ihre Mutter Tschechin. Gab es mal Kontakt zum tschechischen Verband?
Ja, der tschechische Verband hat vor vier, fünf Jahren sogar intensiv um mich gekämpft. Die tschechische Nationalmannschaft ist super. Ich war schon sehr oft im Land, auch im Urlaub, aber für das Land zu spielen war damals für mich kein Thema.
Wie sind abseits des Platzes Ihre Beziehungen zu Äthiopien?
Leider war ich noch nie dort, werde aber mal dorthin reisen. Das habe ich mir fest vorgenommen. Dort liegen meine Wurzeln, ich will sie kennenlernen. Mein Vater war ein Baby, da wanderte seine Familie aus. Aber meine Großeltern leben wieder dort.
Am Anfang unseres Gesprächs sprachen Sie bereits kurz über Ihren Glauben. Welche Rolle nimmt dieser in Ihrem Leben ein?
Die wichtigste Rolle. Ich bin zwar christlich aufgewachsen, doch in den vergangenen beiden Jahren wurde meine Beziehung zum Glauben immer intensiver. Ich hatte vor zwei Jahren eine Phase in meiner Karriere, da habe ich gemerkt, dass mir irgendetwas fehlt, obwohl ich von außen betrachtet eigentlich alles hatte. Mein Onkel ist ja Pastor, in Köln. Mit ihm bin ich damals das Thema intensiv angegangen. Seitdem hat sich einiges verändert, auch ich habe mich verändert, ich bin ruhiger und ausgeglichener geworden. Ich habe in Köln eine Gemeinde und versuche, sie einmal in der Woche zu besuchen.
Haben Sie vor dem Anpfiff irgendwelche Rituale?
Ich bete. Aber nicht nur vor Spielen, sondern jeden Tag. Und versuche, auch in der Bibel täglich zu lesen. Das gibt mir extreme Kraft.
Tauschen Sie sich auch mit Kollegen aus?
Es gibt einige Fußballprofis, mit denen ich mich über unseren Glauben spreche. Und wenn mich ein Spieler neu auf das Thema anspricht, dann stehe ich ihm gerne Rede und Antwort.