Der Personalentwickler Werner Zöchling begleitete den 1. FC Köln in der Amtszeit von Trainer Peter Stöger.
Im Interview spricht er über die Arbeit mit so fragilen Gebilden wie Fußball-Mannschaften und seinen Anteil an der Leistungsexplosion von Anthony Modeste und dem 35-Meter-Hammer von Marcel Risse.
Herr Zöchling, ist Fußball am Ende Kopfsache?
Ich gehe in meiner Arbeit von der Stärke der Persönlichkeit aus, und das meint immer ein Zusammenwirken körperlicher und mentaler Kräfte.
Ich mag das Wort „Mentaltraining“ nicht, weil es im Sport oft auf ein paar Motivationstechniken verkürzt wird, von denen man sich den schnellen Erfolg verspricht. Viele stellen sich unter Leuten wir mir eine Art Guru vor. Das ist völlig falsch.
Sie meinen jemanden, der die Spieler über Glasscherben laufen lässt, wie es unter Christoph Daum mal vorkam?
Ja, oder über glühende Kohlen. Nach solchen Happenings sieht man übrigens immer nur die, denen nichts passiert ist, nicht aber die, die sich böse verbrannt haben. Aber davon mal ganz abgesehen: Persönlichkeitsentwicklung, wie ich sie verstehe, ist etwas viel Komplexeres. Ich setze zuerst und vor allem bei den individuellen Fähigkeiten an. Wenn die Flanken eines Spielers besser werden sollen, dann muss er das Flanken trainieren. Und zwar regelmäßig. Irgendwann wird er dann besser flanken. Soweit, so klar. Mit der Persönlichkeit ist es nicht anders. Wenn Sie zum Beispiel darauf kommen, dass Konsequenz nicht gerade Ihre Stärke ist, dann können Sie das jeden Tag 15 Mal üben, mindestens. Sie sollen den Geschirrspüler ausräumen? Ach nein, sagen Sie sich, jetzt nicht, lieber später. Falsch! Machen Sie es gleich! Das immer wieder geübt, und Sie werden nach einiger Zeit gar nicht mehr an der durchgelaufenen Spülmaschine vorbeigehen können, ohne sie auszuräumen.
Zielt Ihre Arbeit mehr auf die Persönlichkeit des Einzelnen oder auf die Mannschaft als kollektive Persönlichkeit?
Auf beides. Ich arbeite erst einmal mit der Mannschaft als ganzer und – auf freiwilliger Basis – auch mit einzelnen Spielern. Ich mache ihnen in Absprache mit dem Trainer ein Angebot.
Die Fähigkeiten der Spieler zu entwickeln, wäre das nicht die Aufgabe des Trainers?
Schon. Aber Fußballtrainer sind von Haus aus keine Spezialisten für diese Art von Coaching.
Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit mit Sportlern von einem Führungscoaching in der Wirtschaft?
Mit Sportlern zu arbeiten, finde ich ungleich spannender als mit Managern.
Warum?
Weil Erfolg und Misserfolg sich viel unmittelbarer einstellen. Und weil eine Sportmannschaft ein sehr viel fragileres Gebilde ist als eine Firmenbelegschaft. In Wirtschaftsunternehmen kommt es vor, dass das Betriebsklima schlecht ist, die Unzufriedenheit groß, der Krankenstand hoch – und trotzdem geht es der Firma gut. So was können Sie im Fußball komplett vergessen.
Als Guru wollen Sie nicht gelten, haben Sie gesagt. Psycho-Klempner – ein anderes Vorurteil – wird Ihnen auch nicht behagen.
Stimmt. Weil die Arbeit dann garantiert schief geht. In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit haben Mentaltrainer immer das gleiche Problem: Sie kommen, machen irgendwas, die Mannschaft gewinnt. Toll! Aber dann verliert sie, und die Leute denken, war ja wohl doch nix mit dem Zaubertrank.
Peter Stöger hat Sie in seiner Zeit als FC-Trainer nach Köln geholt. Da ging es erst steil nach oben, dann rasant wieder nach unten. Was ist also falsch gelaufen?
Wüsste man das, käme es erst gar nicht dazu, weil man die entsprechenden Fehler dann ja vermeiden würde. Es sind immer verschiedene Faktoren. Ich glaube, beim FC unter Peter Stöger war das Entscheidende: Die Mannschaft hat über-performed. Sie hat zu viel geleistet in zu kurzer Zeit. Symptom dafür war eine Verletzungsserie, durch die am Ende sieben oder acht Spieler ausfielen. Das hat den Lauf gehemmt und die Harmonie in der Mannschaft verloren gehen lassen. So etwas bekommt eine Dynamik, der man nicht mehr Herr wird und die sich auch durch einen Trainerwechsel nicht mehr aufhalten lässt. Ich sage ohnehin: Den angeblichen Trainer-Effekt, den gibt es in Wirklichkeit gar nicht.
Wieso denn das nicht? Vereine in Bedrängnis setzen doch ständig darauf. Peter Stöger musste im Dezember 2017 ja dann auch gehen. Und Markus Anfang hat es erst vor ein paar Wochen erwischt, weil der FC als Zweitliga-Spitzenreiter schwächelte.
Natürlich kommt es vor, dass das Klima zwischen Trainer und Mannschaft zu sehr vergiftet ist, als dass sie gemeinsam noch etwas zustande brächten. Aber gerade das war nun bei Peter Stöger und dem FC nicht der Fall. Trotzdem merkst du irgendwann, es läuft nicht mehr, und du weißt einfach nicht, warum. Genau wie du manchmal nicht weißt, warum es so ausgesprochen gut läuft. Erinnern Sie sich an die ungeahnte Leistungsexplosion von Anthony Modeste – mit 25 Toren in einer Saison? Oder an den Sieg des FC im November 2016 gegen Borussia Mönchengladbach mit Marcel Risses Freistoß-Traumtor in der Nachspielzeit aus 35 Metern Entfernung?
Als Nicht-Psychologe würde ich sagen: eine Frage der Physik, genauer, der Ballistik.
Langsam! Klar, ein Spieler muss schießen können, damit ihm so ein Hammertor gelingt. Dafür braucht er Talent und Technik. Die lässt sich üben. Aber er braucht auch die mentale Stärke, das Wissen: Ich kann das schaffen, ich kann diesen Ball ins Tor donnern. Ich will, dass jeder das aus sich herausholen kann, was in ihm steckt.
Wie machen Sie das?
Mit wertschätzender Akzeptanz. Das ist das Grundprinzip meiner Arbeit.
Das klingt aber sehr psychomäßig.
Ich übersetze Ihnen gern, was das heißt: Jeden Menschen sein lassen, wie er ist, ohne ihm – das sage ich gleich dazu – jeden Blödsinn durchgehen zu lassen. Das ist schon auch sehr wichtig. Sonst richten sich die Leute schnell mit ihren Schwächen ein: „Ich bin halt, wie ich bin. Lasst mich also bloß in Ruhe!“ Um das zu vermeiden, kommt es auf einen engen persönlichen Kontakt an. Nur wenn ich einem anderen nahe komme, kann ich ihm in der Arbeit mit ihm auch etwas nahe bringen.
Zur Person
Werner Zöchling, geboren 1950, ist Soziologe, Personalentwickler und eingetragener Mediator. Seine Doktorarbeit schrieb er zum Thema: „Fußball – Soziologische Analyse einer Sportart und ihrer Aktiven. Im österreichischen Steyr hat er eine Firma für Beratung und Coaching von Führungskräften in Wirtschaft und Politik sowie von Sportlern. Er ist auch lizenzierter Trainer. Im Fußball hat er unter anderem beratend für Austria Wien, den 1. FC Köln und Borussia Dortmund gearbeitet. (jf)
Was bedeutet „mit jemandem arbeiten“ konkret?
Ich schaue mir gemeinsam mit dem Spieler seine Persönlichkeitsstruktur an. Dazu mache ich Tests, an denen der Spieler auch selber erkennen kann, wie er ungefähr tickt. Dann spreche ich mit dem Trainer: „Was siehst du? Was sehe ich? Und wie können wir den Spieler so unterstützen?“ Manchmal muss man ihn dann auch in die Schranken weisen. Aber nicht, indem man ihn zusammenstaucht, sondern eben – wertschätzend.
Schon wieder dieses wolkige Wort!
Ich mache es mal ganz simpel. Wenn der Trainer in die Kabine kommt und jeden Spieler persönlich begrüßt, dann ist das ein Zeichen von Wertschätzung. Und erinnern Sie sich mal daran, was für ein Typ Peter Stöger ist! Er legt einfach sehr viel Wert darauf, dass auch mal gelacht und ein Schmäh gemacht wird. Auch das fördert ein Klima der Akzeptanz und eine gute Atmosphäre im Team.
Der FC hat jetzt den sechsten Aufstieg geschafft. Voraus ging aber auch der sechste Abstieg. Wie vermeidet die Mannschaft den Jojo-Effekt?
Ich möchte nicht oberlehrerhaft klingen. Aber ich würde sagen, für eine gewisse Konstanz braucht es dreierlei. Erstens: einen Trainer mit Führungskompetenz – und Sie ahnen schon, dass ich darunter die Fähigkeit zu wertschätzender Akzeptanz verstehe. Der Trainer muss die Menschen mögen, mit denen er arbeitet – das ist das A und O des Erfolgs.
Was braucht es noch?
Zweitens: Team-Building. Die Spieler müssen zueinander passen. Und wenn einer im Team gar nicht funktioniert, okay, dann muss man sich halt trennen. Nicht so, dass man einander böse sein müsste. Und auch nicht, weil der betreffende Spieler an sich schlecht wäre. Aber man stellt halt fest: Zusammen passt es nicht. So einfach ist das, auch wenn es nicht immer einfach ist.
Der dritte Faktor…
… ist die Entwicklung der Spieler, sowohl in fußballerischer Hinsicht als eben auch in der Persönlichkeit. Alles entscheidend sind dafür die Rahmenbedingungen, die der Verein schafft. Der Verein verpflichtet den Trainer und die Spieler, er gibt die Philosophie vor.
Was war die härteste Nuss, die Sie bisher knacken mussten?
Es gibt keine Nüsse. Das ist mir zu aggressiv gedacht. Es gibt im Umgang mit Menschen nicht darum, irgendetwas Äußeres – die Schale – zu beseitigen, um an etwas Inneres, vermeintlich Fertiges – die Nuss – heranzukommen. Persönlichkeitsentwicklung ist etwas viel, viel Sanfteres, Behutsameres. Nichts für Nussknacker.