- Frank Nägele bewertet in seiner Kolumne „Jetzt rege ich mich auf” regelmäßig die aktuelle Nachrichtenlage oder einfach nur das, was er täglich so erlebt.
- Diesmal geht es um den 1. FC Köln: Wie es die Führung immer wieder durch Patzer und Pannen geschafft hat, unprofessionell zu agieren und das eigene Image als Karnevalsverein zu zementieren.
- Der sehr persönliche Blick eines Sportjournalisten auf einen Verein, bei dem auf Aufbruch immer wieder der sichere Zusammenbruch zu folgen scheint.
Es ist eine Tragödie, dass diese Stadt einen Fußballverein liebt, der ihr so wenig dauerhaftes Glück zurückgeben kann. Der Liebe tut das keinen Abbruch, aber diese Form des Leidens, das der 1. FC Köln seinen Anhängern auch in diesen Tagen wieder abverlangt, ist selbst in der turbulenten Welt des deutschen Fußballs ungewöhnlich. Sie ist seit Jahrzehnten die große Konstante in der Geschichte dieses Klubs, der jedem scheinbaren Aufbruch einen Zusammenbruch folgen ließ. Der FC erweckt dieser Tage nach Kräften den Eindruck, als sei der nächste nicht weit.
Die Schuldfrage ist ganz leicht zu klären. Schuld sind alle und niemand. Im Zweifelsfall bin ich es. Das ist kein Witz. Vor etwa zwölf Jahren, in der Zeit des netten Schweizer Trainers Hanspeter Latour, prangte auf einer Fahne im Fan-Block des Stadions in Müngersdorf der Schriftzug: „Wagner, Nägele – wir haben die Schnauze voll“. Karlheinz Wagner hieß damals der Ressortleiter des Sports in dieser Zeitung. Ich war schon mehr als ein Jahrzehnt lang einer der Berichterstatter vom Geißbockheim. Und am Ende der Saison stieg der FC wieder ab. Die Beweiskette war damit vollständig. Unmöglich, nicht schuld zu sein.
FC-Führung agierte unprofessionell
Eine tiefere Analyse wäre natürlich kompliziert und käme ohne Episoden wie folgende nicht aus. Sie handelt vom letzten Arbeitstag des aufrechten Dänen Morten Olsen am Geißbockheim. 25. August 1995, ein Sonntag. Die 1:3-Heimniederlage gegen Dortmund war zwei Tage alt, das nächste Spiel beim Hamburger SV nur 48 Stunden entfernt.
Eine Stunde vor der geplanten Pressekonferenz bat der FC die Journalisten in ein Hinterzimmer und erklärte ihnen, dass Morten Olsen schon entlassen sei. Man möge es ihm aber bei der folgenden Pressekonferenz nicht sagen, weil er es noch nicht wisse. Man hätte noch keine Zeit gehabt, ihm den Umstand seiner Entlassung mitzuteilen. Das sollte am Abend oder dem Morgen des nächsten Tages erfolgen.
Also saß die versammelte Presse vor Olsen und folgte den Ausführungen eines Trainers, der über ein Spiel sprach, das er nie von Nahem sehen würde. Ich frage mich noch heute, warum ich nicht einfach gegangen bin oder es dem Trainer ins Gesicht gesagt habe. Aber im Fußball ist in solchen Momenten jeder auf irgendeine Weise Teil eines Gruppenzwangs.
Der endete allerdings, als ich wieder in der Redaktion war und die Kollegen mit der Geschichte konfrontierte. Wir haben dann umgehend die Führung des Klubs angerufen. Die anderen Zeitungen, deren Reporter anwesend waren, taten dies vermutlich auch. Plötzlich war es möglich, den Ehrenmann Olsen schnell zu informieren. Sein Entsetzen hat das aber nicht gelindert. Am Ende der Saison bewahrte ein gewisser Holger Gaißmayer den Klub mit einem Tor in Rostock vor dem Gang in die Zweite Liga. Der folgte dann zwei Jahre später als erster von bis heute sechs Abstiegen.
Patzer und Pannen zementieren Image als Karnevalsverein
Es war gar nicht so einfach, den einst professionellsten Fußballverein Deutschlands in eine Organisation zu verwandeln, die in keiner Liga mehr eine feste Heimat hat. Aber man hat sich alle Mühe gegeben. Schier endlos ist die Reihe der Harlekinaden, mit denen der FC sein heutiges Image des Karnevalsvereins zementierte. Unvergessen ist der Auftritt des Führungstrios um den damaligen Präsidenten Dietmar Artzinger-Bolten, das die Bühne des offiziellen WM-Trainingslagers der Nationalmannschaft 1990 in Erba/Südtirol ohne genaueres Wissen des DFB dazu benutzte, um zu verkünden, dass man den Erfolgstrainer Christoph Daum entlassen habe. Auf eine genaue Begründung für diesen Schritt wartet man bis heute.
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Legendär sind auch die Demontage des Daum-Nachfolgers Erich Rutemöller durch seinen Vorgesetzten Udo Lattek, der Streit um den Verbleib der Millionen aus dem Transfer von Thomas Häßler zu Juventus Turin oder die versehentliche Vorführung eines Videos der musizierenden Höhner beim DFB-Kontrollausschuss, als man mit TV-Bildern eigentlich Torjäger Toni Polster nach einem Feldverweis entlasten wollte.
Erfolg ist immer eine Sache Einzelner
Während ein dem FC damals unterlegener Verein wie Borussia Dortmund damit anfing, langfristige Erfolgsgeschichten zu schreiben und Strukturen zu bilden, die bis heute funktionieren, begann in Köln die Selbstzersetzung. Erfolg war, sofern es ihn gab, immer eine Sache Einzelner. Dafür stehen die Trainer-Ära des heiligen Ewald Lienen, der Aufstieg des Lieblings Lukas Podolski oder das Hoch unter dem am Ende tief zerstrittenen Erfolgsgespann Peter Stöger/Jörg Schmadtke.
Mit dem Verschwinden dieser Heilsbringer verschwand auch immer ihr Zauber, und der FC blieb zurück ohne einen klaren Plan, ohne starke Führung, ohne eine Idee, wie der nächste Aufschwung aus ihm selbst heraus entstehen sollte. Es war sein großes Pech, dass er in den letzten Jahrzehnten von zu vielen, die ihm in höchster Verantwortung zu Diensten sein wollten, gefragt wurde: „Lieber FC, was kannst du für mich tun?“ Und von zu wenigen: „Lieber FC, was kann ich für dich tun?“
Und so gibt es bis heute keinen Namen, keine Person, die das Wertvolle dieses Vereins dauerhaft in dessen Führung repräsentiert. Das ist die Tragik des 1. FC Köln, der unter dem großen Präsidenten Franz Kremer als erster Verein im deutschen Fußball professionelle Strukturen schuf und eine Ahnenreihe glorreicher Spieler, wie sie wenige deutsche Klubs vorweisen können. Aber er hat keinen Weg gefunden, daraus das zu machen, was man auf Neudeutsch die Erfolgs-DNA eines Vereins nennt: Seine eigene, unverwechselbare, lebensrettende, in Erfolg übersetzbare Identität.
Vermutlich wird sich keiner finden, der dafür die Verantwortung übernimmt. Es waren ja alle. Oder keiner. Und im Zweifelsfall war es ich.