Köln – Herr Sinkiewicz, vor zwei Jahren sorgte der Wechsel von Ausnahmetalent Florian Wirtz vom 1. FC Köln zu Bayer 04 Leverkusen für großes Aufsehen und Differenzen zwischen den Klubs. Wie war das bei Ihnen, als Sie 2007 den FC in Richtung Bayer 04 verließen?
Lukas Sinkiewicz: Unaufgeregter. Natürlich gab es auch öffentliche Kritik und Anfeindungen. Der FC war schließlich mein Heimatverein und hat mir die Chance gegeben, über die Jugend zum Profi und schließlich zum Nationalspieler zu werden. Am Ende war ich sogar FC-Kapitän. Doch den Wechsel hatten damals in beiden Klubs viele nachvollziehen können. Der FC hatte gerade eine ganz schwierige Zweitliga-Saison mit einer schwierigen Mannschaft hinter sich, Bayer 04 dagegen hatte sich gerader erneut für den Europapokal qualifiziert. Die Kölner erhielten zudem eine Ablöse. Auch heute sehe ich es noch so, dass der Schritt der richtige war. Ich habe immer noch Kontakt zu beiden Klubs und schätze beide sehr. Natürlich freut mich die tolle Entwicklung des FC, doch auch Bayer ist weiter ein toller, ambitionierter Verein vor allem für junge Spieler.
Natürlich war es brutal für den FC und die Fans, solch ein Ausnahmetalent zu verlieren, das der FC selbst ausgebildet hat. Was da abgelaufen ist, habe ich nicht zu beurteilen. Er hat mit seinem Wechsel aber persönlich alles richtig gemacht. Wir sollten uns freuen, dass solch ein super Spieler in und für Deutschland spielt. Bei Bayer genießt er höchste Wertschätzung. Und wissen Sie, was mir neben seinem Talent am meisten beeindruckt?
Das wäre?
Dass er sich nichts gefallen lässt, dass er sich auch gegen Widerstände durchbeißt. Wir beschweren uns ja oft, dass es nur noch wenige Typen gibt. Florian ist ein Typ. Und das hat sicherlich auch damit zu tun, wie er aufgewachsen ist und erzogen wurde. Wenn er verletzungsfrei bleibt, ist ihm in Zukunft alles zuzutrauen. Also auch die ganz große Karriere.
Als Trainer haben und hatten Sie mit vielen jungen Spielern zu tun. Was hat sich zu Ihrer Profi-Zeit verändert?
Vieles. Heute spricht man ja nur noch von flachen Hierarchien. Die jungen Spieler sind zwar technisch und taktisch besser ausgebildet als die zu meiner Zeit, aber die Kritikfähigkeit lässt arg zu wünschen übrig. Packt man sie zu hart an, tauchen sie oft sofort mit ihren Beratern auf und drohen mit Vereinswechsel – und das schon im Nachwuchsbereich. Fußball ist Emotion und auch eine Charakterschule. Und wenn du den Charakter schulen willst, braucht es auch mal Reibung und Kritik. Am Ende ist es immer noch so: Wenn jemand richtig gut ist, dann wird er auch ganz oben landen. Wir packen die Talente zu oft wie rohe Eier an, und so kommen dann am Ende auch nur selten widerstandsfähige Spieler bei heraus. Ich weiß noch ganz genau, als Lukas Podolski und ich damals erstmals bei den Profis mittrainieren durften. Da hat mir in einer der ersten Einheiten ein Routinier wie Matthias Scherz sofort einen Ellenbogen verpasst. Er hatte gleich seinen Status klargemacht, die Hierarchien waren somit klar. Aber das hat uns junge Spieler am Ende widerstandsfähiger gemacht. Aber es gibt noch etwas anderes, was mich heute stört: Es wird zu sehr nach einem stringenten Plan ausgebildet, der zu wenig Raum für Individualität und Eigeninitiative lässt. Die Jugendspieler haben wirklich für jeden Bereich einen eigenen Trainer. Als Beispiel nehme ich das Aufwärmprogramm: Irgendwann muss doch auch mal ein Spieler in der Lage sein, es zu gestalten und nicht der Trainer. Insgesamt ist das alles wohl auch ein Problem der Gesellschaft. Ich bin Vater von drei Söhnen, die auch mit vielen Tricks arbeiten (lacht). Aber sie müssen lernen, sich durchbeißen.
Sie sind Co-Trainer beim Regionalliga-Team von Fortuna Düsseldorf. Was sind Ihre Ziele?
Ich bin jetzt vier Jahre bei Fortuna, habe noch ein Jahr Vertrag und fühle mich sehr wohl. Natürlich ist es mein Ziel, auch mal Cheftrainer zu sein. Ich habe die A-Lizenz und möchte noch den Fußballlehrer-Schein machen. Leider hat der DFB die Zugangsvoraussetzungen für die Pro-Lizenz in einer Art und Weise verschärft, die es für die angehenden Trainer viel komplexer macht.
Wer war Ihr bester Trainer?
Die erfolgreichsten waren Jupp Heynckes, Huub Stevens, Christoph Daum, Jos Luhukay. Ich habe von fast allen etwas lernen können. Im Profifußball kommt es vor allem auf die Menschenführung an. Wie Heynckes die Spieler angepackt hat, wie er die Mannschaft vorbereitet hat, das war Extraklasse. Uwe Rapolder konnte man aus taktischer Sicht wenig vormachen. Und wie Stevens schreibe ich mir alles zu den Spielern auf. Als Trainer sollte man auch wissen, wann die Partnerinnen oder Kinder Geburtstag haben.
Kommen wir zurück zu Ihren Ex-Klubs. Wie sehen Sie die Entwicklungen des FC und von Bayer?
Nach zwei Fast-Abstiegen hat sich der FC erstaunlich schnell stabilisiert. Der Klassenerhalt in der letzten Saison war unfassbar wichtig, Friedhelm Funkel hat den FC gerettet, das sollte man nicht so schnell vergessen. Jetzt ist mit Steffen Baumgart und seinen Assistenten ein Trainerteam am Ruder, das perfekt zur Mannschaft und dem Verein passt. Sie machen einen hervorragenden Job. Und Bayer 04 arbeitet weiterhin sehr seriös. Der Verein hat einfach ein super Auge für entwicklungsfähige Spieler.
Mit Bayer-Sportdirektor Simon Rolfes haben Sie selbst noch zusammengespielt, den neuen FC-Sportchef Christian Keller kennen Sie noch aus der gemeinsamen Zeit bei Jahn Regensburg. Ihr Eindruck von beiden?
Simon war ja schon früher der Kopf der Mannschaft und der verlängerte Arm des Trainers. Er ist ein ruhiger, sachlicher Fachmann. Die Fußstapfen von Rudi Völler sind groß, ich bin gespannt, ob er sie ausfüllen kann. Aber er hat ja noch Mitstreiter wie Stefan Kießling. Christian Keller hat in Regensburg zu ganz schwierigen Zeiten übernommen und als ganz junger Manager von der 4. Liga wieder in die 2. Liga geführt. Ich kenne ihn seitdem gut und schätze ihn sehr. Neben seinen fachlichen Qualitäten ist er menschlich total korrekt. Er hört extrem gut zu, reflektiert alles. Er spricht immer wieder von Haltung. Ich bin überzeugt, dass der FC mit ihm einen Coup gelandet hat.
Aber ist der Schritt vom eher beschaulichen Regensburg zum Traditionsklub Köln nicht ein sehr großer?
Ja, das ist er. Aber ich traue ihm diesen absolut zu. Christian hat gute Nerven. Und er kann auf ein gutes, kompetentes Team um Thomas Kessler, den ich auch schon lange kenne, Jörg Jakobs und Lukas Berg zurückgreifen. Das sollte funktionieren.
Und wie geht das Derby aus?
Bin ich Hellseher? (lacht) Leverkusen hat natürlich am Donnerstagabend in der Europa League noch ein schweres Spiel in Bergamo. Aber Bayer hat den Kader, mit der Doppel-Belastung umzugehen und hat zudem ein Heimspiel. Leverkusen ist der Favorit.