Michael Trippel, die Stimme Kölns, plaudert vor seiner Jubiläumssaison aus dem Nähkästchen.
„Bei der Hymne habe ich immer noch Gänsehaut“FC-Stadionsprecher Trippel geht in 25. Saison
Herr Trippel, Sie sind auch wegen Ihres früheren Berufs in der Pharma-Branche weit gereist. Ist Köln wirklich die schönste Stadt Deutschlands, wie Sie in Ihren Durchsagen im Stadion immer behaupten?
Michael Trippel Natürlich! Es geht ja nicht um die Architektur, sondern um das Lebensgefühl in der Stadt. Und für den Kölner ist es in der Tat die schönste Stadt Deutschlands.
Wie kamen Sie darauf, die Zuschauer immer mit diesem Satz zu begrüßen?
Im Müngersdorfer Stadion war die Stimmung früher ziemlich mau. Ich wollte 1999 nach meinem Beginn als Stadionsprecher ein Zeichen setzen: Wir sind in Köln, wir sind stolz auf Stadion, Mannschaft und Stadt. Der Satz soll zum Ausdruck bringen, dass wir zwar freundliche Gastgeber sind, aber keine Siege verschenken, sondern gewinnen wollen.
Es gibt durchaus Stimmen, die diesen Satz anmaßend finden.
Man muss das mit einem Augenzwinkern verstanden wissen. Mich hat mal jemand aus Berlin angerufen, der hat gesagt: „Das war eine Unverschämtheit, Berlin ist doch viel schöner!“ Ich habe geantwortet: ,Aus Ihrer Sicht haben Sie völlig Recht, aber ich halte das Mikrofon.“
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Sie gehen jetzt in Ihre 25. Saison. Können Sie sich noch an ihr erstes Spiel erinnern?
Klar. Das war am 14. August 1999. Im Leben gibt es keine Zufälle. Mein Vater war auch an einem 14. August gestorben. Es war das Spiel gegen Rot-Weiß Oberhausen. Zweite Liga. Vor nur 22 000 Zuschauer in der großen Schüssel in Müngersdorf. Im Stadion hatten wir bereits Boxen auf der Laufbahn aufgebaut, damit wir eine halbwegs vernünftige Akustik hatten. Davor gab es ja nur diese Trichter, da war es egal, ob man Heino oder AC/DC spielte, das hörte sich alles gleich an. Mit den Boxen ging es etwas besser. Wir haben damit begonnen, eine Dramaturgie zum Spiel hin aufzubauen. Mit DJ Tobias Franzgrote haben wir kölsche Musik gespielt, worauf Udo Lattek ein paar Jahre später den legendären Satz sagte: „Das Schönste beim FC ist die halbe Stunde vor Spielbeginn.“ Dann kam die Hymne dazu, bei der ich die Zuschauer bat, sich von den Plätzen zu erheben. Das gibt es ja bis heute, da habe ich auch heute nach 24 Jahren noch immer jedes Mal Gänsehaut.
Nachfolger von Hans-Gerd König
Sie sind in große Fußstapfen getreten, in die von Hans-Gerd König. Wie nervös waren Sie?
Ich wollte das immer schon machen, weil ich wusste, dass wir mit unserer kölschen Musik großartige Möglichkeiten haben. Zuvor war ich ja schon mehrere Jahre als Fanbeauftragter beim FC tätig. 1984 übrigens der erste, den es in der Bundesliga gab. Hans-Gerd König suchte Anfang der Neunziger einen neuen DJ. Das habe ich gemacht und hinterlegt, dass ich irgendwann gerne mal den Stadionsprecherposten übernehmen würde. Als er dann aufhörte, bekam ich den Job. Von da an gab es die letzten 20 Minuten vor Spielbeginn nur kölsche Musik. So hatten die Leute Spaß, ins Stadion zu kommen. Das Spiel ist natürlich am wichtigsten, aber das Drumherum gehörte ab da auch dazu.
Sie sind in Köln zur Marke geworden. Haben Sie sich an jemandem orientiert, oder wollten Sie stets ihr Ding machen?
Als Fanbeauftragter war ich zuvor tagelang mit den Fans in Bussen unterwegs. Da lief nur diese kölsche Musik. Daher wusste ich, was die Leute wollen. Und habe das einfach umgesetzt. Man hat mich damals machen lassen. Irgendwann habe ich mal zum FC gesagt: Hättet ihr dafür eine Agentur beauftragt, hättet ihr viel Geld dafür bezahlt, bei mir habt ihr es umsonst bekommen.
Was verdient eigentlich ein Stadionsprecher?
Mittlerweile bin ich halbtags angestellt beim FC, aber über viele Jahre habe ich pro Monat 450 Euro steuerfrei bekommen.
Sind Sie erschrocken darüber, dass Sie bald 25 Jahre im Amt sind?
Erschrocken bin ich, wie schnell die Zeit vergangen ist. Dass ich ins 25. Jahr gehe, ist verrückt. Wo sind die Jahre geblieben? Die Zeit ist gerannt. Aber Hans-Gerd hat es 30 Jahre gemacht, da hab' ich ja noch etwas vor mir.
Sie sind vor wenigen Tagen 69 Jahre alt geworden. Es hieß mal, sie würden mit dem Gedanken spielen, mit 70 aufzuhören.
Darüber habe ich tatsächlich mal nachgedacht, aber es war keine beschlossene Sache. Vor kurzem hatte ich ein Gespräch mit Markus Rejek (FC-Geschäftsführer, d. Red.). Ihm habe ich gesagt, dass ich gerne bei der EM dabei sein möchte. Er hat sich bedankt und meinte, dass der FC auch Probleme bekommen würde, sollte ich als Stadionsprecher aufhören (lacht). Das war nett. Solange es gesundheitlich geht und mir weiter Spaß macht, bleibe ich noch ein paar Jahre dabei. Und es hängt natürlich von den Fans ab. Heißt es irgendwann: Wir können den Trippel nicht mehr sehen, dann wäre ich der Letzte, der sagen würde: Ich mach das trotzdem bis zum Nimmerleinstag.
Gab es denn Momente, in denen Sie schon mal hinwerfen wollten?
Es gab schon mal Stress mit dem Präsidenten oder der Geschäftsführung. Aber das hat sich wie immer in Wohlgefallen aufgelöst.
Wie gehen Sie denn mit öffentlicher Kritik um?
Es gab zum Glück noch keinen Shitstorm. Klar, ein paar Gladbacher oder Leverkusener sind schon mal mit Beschimpfungen dabei, aber nichts Wildes.
Wie erklären Sie sich Ihr Standing?
Es geht nicht um Eigendarstellung, sondern darum, was die Fans wollen. Mich mögen sie wohl, weil ich dicker FC-Fan und authentisch bin. Das ist das A und O. Bei anderen Vereinen kommen oft neue Stadionsprecher, weil sich der Medienpartner geändert hat. Zu meinem Geburtstag hat der FC etwas bei Social Media gemacht, da kamen über 3000 Glückwünsche. Das hat mich berührt.
Bereuen Sie etwas, das Sie gesagt haben, oder werden Sie auf gewisse Ansagen öfter angesprochen?
Gegen Gladbach gab es mal ein Spiel, in dem wir 0:1 zurücklagen, dann präsentierten die FC-Ultras ein geklautes Gladbacher Banner. Daraufhin schossen die Borussia-Ultras Leuchtraketen und warfen Bengalos, das Spiel wurde unterbrochen. Nach meinen Ansagen, das doch bitte zu unterlassen, kam die Polizei zu mir, dass ich noch den Sonderzug ansagen soll, da habe ich übers Mikro gesagt: „An die Fans von Borussia Mönchengladbach, die mit dem Zug angereist sind, euer Sonderzug fährt um 22.30 Uhr vom Bahnhof Köln-West ab — ihr könnt aber auch gerne früher fahren!“
Noch etwas? Wir haben da ein Ereignis aus dem Herbst 2019 im Kopf.
Sie meinen bestimmt das Spiel gegen Hoffenheim. Der VAR regt mich einfach auf. Wir hatten zu der Zeit nur Pech mit ihm. In der Nachspielzeit gab es ein Getümmel in unserem Strafraum, der Ball wird geklärt, dann greift sich der Schiri ans Ohr. Ich sagte: „Wetten, es gibt Elfmeter für Hoffenheim.“ So war es dann auch, und der Ball war drin. Als ich das 1:2 übers Mikro durchgab, hab ich nach dem Torschützen gesagt: „Es ist zum Kotzen!“ Es war toll, dass der FC danach sehr cool reagiert hat, obwohl sich die DFL gemeldet hatte.
Der Fall Babak Rafati im Jahr 2011
Was war das schlimmste Erlebnis?
Ein Spiel gegen Mainz (November 2011, d. Red.), als ich gerade mit der Begrüßung beginnen will und dann ein FC-Verantwortlicher zu mir kommt: „Michael, du musst den Leuten sagen, dass das Spiel nicht stattfinden kann, weil wir keine Schiedsrichter haben.“ Es war der Fall von Babak Rafati und dessen Suizid-Versuch in einem Kölner Hotel. Seine Assistenten hatten ihn am Spieltag aufgefunden. Aber die Hintergründe waren damals noch nicht bekannt. Es gab ein Pfeifkonzert, die Leute waren sauer. Es war unangenehm. Das Wichtigste ist: Gott sei Dank geht es Babak Rafati heute gut.
Und natürlich: Was war das schönste Erlebnis?
Das war am 20. Mai 2017 nach dem Sieg gegen Mainz. Wir wurden Fünfter und qualifizierten uns erstmals nach 25 Jahren wieder für den Europapokal. Es war ein traumhafter Sommertag. Die Stimmung war sagenhaft. Und nach dem 2:0 habe ich den Satz gesagt: „Soeben schellte in Kopenhagen das Telefon“ – frei nach einem Refrain eines Europapokal-Songs der FC-Fans.
Wie eng ist Ihr Verhältnis zu den Profis?
Früher war das mit kölschen Spielern wie Dirk Lottner, Alex Voigt oder Matthias Scherz sicher noch enger. Aber auch heute gibt es schöne Begebenheiten. Ein Beispiel: Nach dem Hertha-Spiel Mitte Mai bekam ich die Nachricht, ich solle doch mal in die Kabine kommen. Dort kam Ellyes Skhiri auf mich zu und hat mir sein Trikot geschenkt. Das hat mich sehr gefreut.
Wie ist der Kontakt zu anderen Stadionsprechern?
Mäßig, aber mit dem Schalker Kollegen Dirk Oberschulte-Beckmann habe ich Kontakt. Das ist zwar nicht mein Verein, aber das hat ja nichts mit der Person zu tun (lacht). Gestern rief mich auch der Heidenheimer Kollege an. Das war witzig. Er hat einen guten Freund aus Heidenheim, der großer FC-Fan ist. Ob ich ihm zum Geburtstag einen kleinen Gruß schicken könnte. Da habe ich gemacht. Der Kollege hat sich sehr gefreut und bedankt.
Was würden Sie nie von einem Kollegen kopieren?
Dieses ,1:0, Danke, Bitte‘ ist furchtbar. Der HSV hat das sogar mal gemacht bei einem Tor zum 1:5 gegen Dortmund. Ich würde auch nicht drei Mal den Torschützen nennen. Da müssten schon alle richtig ausflippen in einem besonderen Moment.
Sie sind seit Jahren auch in FC-Gremien aktiv und gehören dem Mitgliederrat an. Wie empfinden Sie diese Arbeit?
Interessant, nicht immer befriedigend, aber in einem Gremium gibt es nun einmal demokratische Prozesse. 2024 werde ich insgesamt 37 Jahre in Gremien des 1. FC Köln vertreten sein. Ich werde mich dann nicht mehr aufstellen lassen. Das sollen auch mal Jüngere machen.