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Lemperle vor AbschiedWarum ist es für den 1. FC Köln so schwierig, Talente zu halten

Lesezeit 5 Minuten
Tim Lemperle und Jonas Urbig bedanken sich nach dem 1:0-Sieg in Münster bei den mitgereisten FC-Fans. Beide Talente drohen dem 1. FC Köln verloren zu gehen.

Tim Lemperle und Jonas Urbig bedanken sich nach dem 1:0-Sieg in Münster bei den mitgereisten FC-Fans. Beide Talente drohen dem 1. FC Köln verloren zu gehen.

Der 1. FC Köln tut sich wieder einmal schwer, seine Ausnahmetalente langfristig zu binden. Nun steht Tim Lemperle vor dem Abschied.

Die Anhänger des 1. FC Köln haben über die Jahrzehnte eine gewisse Routine darin entwickelt, von ihrem Verein enttäuscht zu werden. Neu ist, dass der FC die Öffentlichkeit nun in regelmäßigen Abständen darauf aufmerksam macht, was hätte sein können, jedoch nicht wurde. So erinnerten die Kölner am Dienstagmorgen mit einer Meldung daran, dass sich exakt zum siebten Mal der Tag jährte, an dem Abwehrtalent Yann Aurel Bisseck im Alter von 16 Jahren, elf Monaten und 28 Tagen zum jüngsten Debütanten der Kölner Klubgeschichte wurde. Bereits in der vergangenen Woche hatte der FC dem Verteidiger eine Meldung gewidmet. Und mit einigem Stolz verkündet, „Eigengewächs“ Bisseck habe seinen Vertrag verlängert – bis Juni 2029 sogar.

Das Dünne an der Geschichte: Bisseck verpflichtete sich nicht dem 1. FC Köln, für den er nach seinen drei Einsätzen im Herbst 2017 nie wieder auflief. Sondern Inter Mailand. Mit den Nerazzurri hatte der Verteidiger im vergangenen Frühjahr die italienische Meisterschaft gewonnen. Sein Marktwert liegt mittlerweile um 30 Millionen Euro.

Immerhin strich der 1. FC Köln für Bisseck eine Verkaufsbeteiligung von mehr als einer Million Euro ein. Offenbar glaubt man am Geißbockheim, dass derartige Erfolge alles sind, was man vom Schicksal noch zu erwarten hat. Der Innenverteidiger hatte zwischen seinen Engagements in Köln und Mailand ein paar schwierige Jahre, und es wäre nicht fair, dem 1. FC Köln nun ewig das Versagen im Fall Bisseck vorzuhalten. Zumal von den damaligen Verantwortlichen niemand mehr im Amt ist. Doch haben die Kölner über die Jahre immer wieder gezeigt, dass sie Schwierigkeiten haben, ihre Talente zu halten. Chris Führich, im vergangenen Sommer EM-Teilnehmer mit der DFB-Auswahl, gab sein Bundesligadebüt wie Bisseck im Jahr 2017 im Trikot des 1. FC Köln – und verschwand anschließend. Als Florian Wirtz im Januar 2020 mit 16 Jahren nach Leverkusen wechselte, weil ihm in Köln niemand einen zurechnungsfähigen Karriereplan aufgezeigt hatte, ging am Geißbockheim die Welt unter.

Für Wirtz hatte es nicht einmal zum Profidebüt mit dem FC gereicht. Das gab er im Mai 2020 für Bayer 04, und als Kölner mag man sich kaum ausmalen, wie der FC eines Tages stolz vermelden wird, dass da ein „Eigengewächs“ für 150 Millionen Euro den Verein gewechselt hat – von Leverkusen in die große Fußballwelt.

Im vergangenen Sommer verabschiedete sich Justin Diehl nach 13 Jahren beim FC aus Köln. Der Offensivspieler wechselte zu Vizemeister VfB Stuttgart, nachdem man ihn zuvor über Monate aus dem Kölner Profikader genommen hatte, um ihn zu einer Vertragsverlängerung zu bewegen. Zwar war Diehl später begnadigt worden, doch ein echtes Angebot hatten die Kölner ihm nie unterbreitet. Am vergangenen Wochenende gelang ihm das erste Tor seiner Bundesligakarriere.

Lemperle debütierte als 18-Jähriger, doch der Durchbruch ließ auf sich warten

Nun bereitet sich der 1. FC Köln erneut darauf vor, ein Talent zu verlieren. Tim Lemperle debütierte zwar schon als 18-Jähriger für die FC-Profis in der Bundesliga. Anschließend blieb er jedoch eine vollständige Saison ohne Liga-Einsatz und auch in der Saison 2021/22 trotz zeitweise faszinierender Trainingsleistungen ohne Berufung in die Startelf. Anschließend überredete man den Angreifer, sich nach Fürth verleihen zu lassen. Nun ist er zurück in Köln, das Jahr in Franken hat ihm gutgetan: Lemperle ist der beste Scorer im Team von Trainer Gerhard Struber.

Eine Entwicklung, die jedoch einen Haken hat: Lemperles Vertrag läuft im Frühjahr aus. Und mehr als das: Der 22-Jährige soll sich bereits mit der TSG Hoffenheim über eine Anstellung ab der Saison 2025/26 geeinigt haben. Zu den üblichen Konditionen: Siebenstelliges Handgeld, siebenstelliges Jahreseinkommen. In Köln soll Lemperle nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ bislang unter 200.000 Euro Grundgehalt plus Prämien liegen. Offenbar war man nicht bereit, die Bezüge des Spielers an dessen Leistungsniveau anzupassen, ohne den Vertrag zu verlängern. Dabei ist das ein mögliches Vorgehen, wenn ein Verein hochveranlagte Spieler zumindest emotional zu binden versucht. Doch die Aussichten im Fall Lemperle waren wohl bescheiden.

Yann Aurel Bisseck im Spiel mit Inter Mailand gegen Hellas Verona

Yann Aurel Bisseck im Spiel mit Inter Mailand gegen Hellas Verona

Derartige Vorleistungen sind beim 1. FC Köln ohnehin nicht mehr üblich, was neben dem Bekenntnis zu absoluter Sparsamkeit womöglich auch daran liegt, dass man nicht nur gute Erfahrungen mit großzügigen Bindungsversuchen gemacht hat. Noah Katterbach verlängerte im Mai 2020 für vier Jahre in Köln, also kurz nach Wirtz’ Debüt für Bayer 04. Offenbar war die Maßnahme Teil des Kölner Vorhabens, nie wieder ein Talent herschenken zu wollen. Katterbach war damals gerade 19 Jahre alt geworden und erhielt ein deutlich siebenstelliges Jahressalär. Schon im Januar 2022 verließ er den FC auf Leihbasis – und kehrte nie wirklich zurück.

Nun platzt wohl der Kölner Traum, mit Tim Lemperle eine Ära zu begründen. Und auch ein weiteres Ausnahmetalent könnte bald Abschied nehmen: Jonas Urbig, ebenfalls beim FC ausgebildet und über Leihen in die Zweite Liga an den Profibereich herangeführt, ist derzeit nur noch Kölns Nummer zwei, hat aber mit seinen Leistungen in Liga und für die U-21-Nationalmannschaft des DFB längst internationales Interesse hervorgerufen. Der Torwart könnte dem Vernehmen nach schon im Winter in die Premier League wechseln. Immerhin hätten die Kölner dann noch Aussichten auf eine Ablöse.

Keine Vertragsangebote

Weder Lemperle noch Urbig liegen neue Verträge vor, und tatsächlich ist kaum denkbar, dass die Kölner in ihrer derzeitigen Lage zu einem Angebot fähig wären, das derartige Talente langfristig überzeugen könnte. Denn es fehlen nicht nur die finanziellen Möglichkeiten. Auch sportlich kann der Zweitligist nur wenig versprechen.

Ein grundsätzliches Problem des Ausbildungsklubs 1. FC Köln: Florian Wirtz war schlicht zu gut, um sich dauerhaft an einen Verein wie den FC zu binden. Und auch Jonas Urbig wird den überwiegenden Teil seiner Karriere nicht bei einem Fahrstuhlklub verbringen können. Aber womöglich Tim Lemperle? Ein Mittelweg hätte hergemusst. Doch den scheinen die Kölner nun erneut nicht gefunden zu haben.