Leipzig – Steffen Baumgart kam in seiner Analyse des Kölner 2:2 (1:1) bei RB Leipzig rasch zu der Stelle, die er die „Hauptgeschichte“ des Spiels nannte: In der 36. Minute hatte Leipzigs Rückkehrer Timo Werner mit einem eigentlich harmlosen Fernschuss das 1:0 für die Gastgeber erzielt, FC-Keeper Marvin Schwäbe war der Ball durch die Arme gerutscht. Er habe „zwei Gedanken auf einmal“ gehabt, berichtete der Torhüter später, es war ein bitterer Fehler nach einer starken Kölner Anfangsphase, in der Baumgarts Elf durchaus Chancen auf die Führung gehabt hatte.
Die erwähnte Hauptgeschichte war allerdings nicht Schwäbes Patzer. Sondern seine Reaktion darauf. Schwäbe verschwand nach ein paar Flüchen gleich wieder im Konzentrationstunnel, ließ sich wenige Sekunden später wieder den Ball in den Fuß spielen und verbreitete eine Ruhe, als sei nichts geschehen. Die Ruhe behielt der Torwart auch, als Momente später Christopher Nkunku vor ihm auftauchte und frei zum Abschluss kam. Schwäbe blieb lange stehen – lange genug, um stabil zu sein und den Schuss des fantastischen Franzosen mit einem Reflex zu parieren. „Wenn du als Torwart nach so einer Situation so reagierst, so da bist und uns so im Spiel hältst, muss ich sagen: Hut ab“, kommentierte Baumgart.
Dietz mit erstem Bundesligator
Schwäbe bewahrte seine Mannschaft damit vor einem Doppelschlag, der gegen einen Gegner wie RB und angesichts der drückenden Leipziger Hitze wohl das Ende der Kölner Hoffnungen bedeutet hätte. Stattdessen nahm Jonas Hector den freien Ball im eigenen Fünfmeterraum auf, legte ihn sich trotz der heranrauschenden Leipziger auf den stärkeren linken Fuß und leitete mit einem langen Schlag den Konter ein, den Florian Dietz zu seinem ersten Tor im zweiten Bundesligaspiel nutzte.
Domenico Tedesco war nach dem zweiten Remis im zweiten Saisonspiel unglücklich. „Den hält er fantastisch, aber in der Aktion müssen wir im Strafraum sofort versuchen, den Ball zurückzugewinnen. Das muss das höchste Ziel sein. Aber es gibt auch das Mindestziel, den Konter nicht zu kassieren“, sagte der Leipziger Coach.
Doppeltes Kölner Comeback
Es war das erste von zwei Kölner Tor-Comebacks des Nachmittags. Das zweite leitete der erneut hoch engagierte Florian Kainz ein. Nkunku (56.) hatte aus vollem Tempo ein traumhaftes 2:1 erzielt. Doch die Kölner hatten nicht aufgegeben und sich Eckball um Eckball erkämpft. Einen zog Kainz mit viel Schnitt vor das Leipziger Tor, wo der Ball von Gvardiols Oberkörper ins eigene Tor prallte.
Der erneute Ausgleich knapp 20 Minuten vor Schluss bedeutete für die Kölner das Signal, nun voll auf Sieg zu gehen. Bereits vor dem Ausgleich hatte Baumgart dreimal gewechselt, nach dem 2:2 brachte er noch Adamyan und Lemperle. Doch zu drei Punkten reichte es nicht mehr. Trotz guter Aussichten. Denn Leipzig spielte seit der 45. Minute im Unterzahl, weil Dominik Szoboszlai nach einem Trikotfoul die Nerven verloren und Florian Kainz mit dem Ellenbogen am Hals getroffen hatte. Die Szene war längst abgepfiffen, der Einsatz des Ungarn also eine Tätlichkeit und damit eine klare Rote Karte. Diskutiert wurde hinterher dennoch. Leipzigs Technischer Direktor Christopher Vivell präsentierte in der Halbzeit eine etwas bizarre Auslegung der Fußballregeln: „Das war ja kein Schlag, dass er blutend ins Krankenhaus muss.“
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Nun hat die Schwere der Verletzung wenig mit dem Urteil des Schiedsrichters zu tun, Steffen Baumgart war da klarer in der Analyse: „Der Ellenbogen ist oben und man sieht, dass der Hals getroffen wird. Der Arm hat dort oben nichts zu suchen.“ Kainz sah es wie sein Trainer: „Rot ist es schon, kann man geben“, befand der Österreicher leise. Zum Ärger der Leipziger hatte beigetragen, dass ihnen zwei Treffer aberkannt worden waren, einer durch den VAR wegen eines Handspiels (9.), ein zweiter wegen einer recht klaren Abseitsstellung nach einer Viertelstunde.
Unfassbarer Nkunku
Dass die Kölner in Überzahl zwischenzeitlich in Rückstand geraten waren, lag an der Klasse des Gegners. Zwar hatte der FC in der zweiten Hälfte deutlich mehr Ballbesitz. Doch gegen die Klasse von Nkunku und seines Vorbereiters Dani Olmo im Umschaltspiel half auch keine Überzahl.
So blieb die Freude über einen schwer erstrittenen Punkt beim Favoriten in Leipzig. Thomas Kessler hatte eine „überragende erste Halbzeit“ gesehen: „Es war ein Teamerfolg. Wir haben uns mit allem gewehrt, was wir hatten“, sagte der Leiter Lizenzspielbetrieb des FC, der als ehemaliger Torhüter einen besonderen Akzent auf Schwäbes Taten legte: „So eine Situation passiert jedem Torwart, die ist auch Manuel Neuer schon passiert. Das Entscheidende ist, wie es weitergeht. Marvin war sofort wieder da, als wäre nichts gewesen. Das ist für mich der Unterschied zwischen einem guten Torwart. Und einem sehr, sehr guten.“