Leverkusen – Rudi Völler stand am Montag noch unter dem Eindruck der Fußball-Symphonie, die seine Mannschaft und Borussia Mönchengladbach am Abend zuvor gemeinsam aufgeführt hatten. In diesem Spiel, das Bayer 04 Leverkusen gewann, steckten so viele Geschichten, dass man ein ganzes Magazin mit ihnen füllen könnte. Und der Schlussakkord, das Hackentor des in der Luft schwebenden Mönchengladbacher Valentino Lazaro unter der Rubrik „Scorpion Kick“ zum 4:3, war nur ein Teil davon, der das Ganze nicht entschied.
„Als ich am Samstagabend Dortmund gegen Bayern sah, dachte ich: Das wird schwer zu toppen sein. Aber uns ist das fast gelungen“, sagt der Geschäftsführer des Werksklubs über den 4:3-Sieg über Borussia Mönchengladbach, der eine Ansammlung fußballerischer Kostbarkeiten war. Die Trainer waren sich einig darin, Beteiligte und Zeuge einer Außerordentlichkeit geworden zu sein. Dem Verlierer fiel es natürlich schwerer, sich daran zu erfreuen. „Die Niederlage tut weh“, sagte Marco Rose, während der Kollege Peter Bosz frohlockte: „Jeder, der Fußball liebt, muss dieses Spiel anschauen.“
Das Prädikat „Spieler des Spiels“ kann in diesem Fall nicht an einen verliehen werden. Dazu war das Spiel zu groß. Nach Toren gemessen müsste es Lucas Alario sein, der im dritten Bundesligaspiel hintereinander zwei Tore für Bayer 04 erzielte. In der Geschichte des Werksklubs war das noch keinem gelungen, nicht einmal dem Strafraumhelden Ulf Kirsten. An der persönlichen Leistungssteigerung gemessen müsste es Leon Bailey sein, der seine Rückverwandlung vom Problemfall in einem Spitzenspieler mit dem spektakulären 3:2 dokumentierte, das Bayer 04 nach zwei Rückständen auf die Siegerstraße brachte. Und grundsätzlich, weil er eine Ausnahmeerscheinung in jedem Spiel ist, an dem er teilnimmt, hätte man Florian Wirtz diesen Titel verleihen müssen.
Der Teenager war nicht nur an zwei Toren direkt beteiligt, rannte nicht nur eisern 12,6 Kilometer vorwiegend im Sprint über das Feld, gewann nicht nur grimmig mehr als die Hälfte seiner Zweikämpfe, er zeigte in vielen kleinen Momenten unter Zeit- und Raumnot allerhöchste technische Finesse. Trainer Peter Bosz, der nach dem Spiel ungern Einzelkritiken verteilt, erklärte: „Das war außergewöhnlich, ihm von der Trainerbank aus zuzuschauen. Das war hervorragend. Und noch einmal: Er ist siebzehneinhalb Jahre alt.“
Gut einen Monat nach dem Verkauf von Kai Havertz an den FC Chelsea für 80 Millionen Euro, aus denen mit Boni 100 Millionen Euro werden können, hat sich Wirtz als neues Wunderkind des Werksklubs, ja der ganzen Liga etabliert. Vor allem, um ihm dem Platz im zentralen Mittelfeld zu garantieren, hat man sich beim Werksklub geweigert, über eine mögliche Verpflichtung von Mario Götze nachzudenken, der jetzt in Eindhoven Schlagzeilen macht. . „Das war eigentlich nie ein Thema, vor allen Dingen natürlich wegen Florian Wirtz“, sagt Völler dem „Kölner Stadt-Anzeiger, „Florian muss seine Spielzeiten erhalten, er muss gefördert werden. Das war die Perspektive, die wir ihm hier aufgezeigt haben, und er bekommt sie.“
Jede Nominierung für die Startelf ist gleichzeitig ein Werben von Bayer 04 um die Verlängerung des im Januar 2019 geschlossenen Vertrages, der im Juni 2022 endet. Noch gibt es in dieser Frage keinen Vollzug. Der Werksklub will alles tun, um nicht in die Situation des 1. FC Köln zu kommen, der diesen außergewöhnlichen Spieler nach zehn Jahren Ausbildung im Frühjahr 2020 verlor. „Florian, aber auch seine Eltern, wissen, was sie an uns haben“, sagt Rudi Völler, „wir geben großen Talenten wie ihm die Chance, sich zu großen Spielern zu entwickeln. Hier bekommt er den Raum und die Wertschätzung. Das haben die letzten Monate gezeigt. Wir haben ihn sofort an die Profis herangeführt. Und Peter Bosz ist ein Trainer, der sehr gern mit solchen Spielern arbeitet, ihnen vertraut und sie entwickelt. Wir sind da sehr zuversichtlich.“
Das klingt logisch und freundlich, aber wer sich mit einem Talent wie dem jüngsten Torschützen in der Geschichte der Bundesliga auf einen neuen Vertrag einigen will, steht in Konkurrenz zu den Top-Klubs der Fußball-Welt, die nach solchen Talenten lechzt. Für den Verbleib von Wirtz spricht, dass seine Familie in Pulheim bodenständig ist, sonst hätte sie schon im Januar ein Angebot des FC Bayern München annehmen können, und dass Bayer 04 über die Mittel verfügt, den Marktpreis für Hochbegabte bezahlen zu können.
Hilfreich wäre auch die Aussicht auf Spiele in der Champions League, die nach einem unerwartet starken Saisonstart gestiegen ist. Dass Bayer 04 nach dem Verlust der erfolgreichsten Torschützen der letzten Jahre (Kai Havertz, Kevin Volland) mit nur zwei Neuverpflichtungen (Patrik Schick, Santiago Arias), die auch noch seit Wochen ausfallen, vor der zweiten Länderspielpause unter den Top vier der Bundesliga steht und in der Europa League die Gruppe C anführt, durfte nicht als selbstverständlich angenommen werden. Aber in dem Moment, als alle ihm misstrauten, hat sich im Kader wie im Fall von Lucas Alario und Leon Bailey, aber auch Julian Baumgartlinger und Nadiem Amiri verschüttet oder verloren geglaubte Klasse entwickelt. „Daran habe ich immer geglaubt“, sagt Rudi Völler, „ich war davon überzeugt, dass unser Kader zu solchen Leistungen wie gegen Gladbach imstande ist. Und dass er große Qualität besitzt, auch in der Breite, ist auch nicht so schlecht."