Leverkusen – Die Leistung von Bayer 04 Leverkusen am Samstagabend war weniger spektakulär und deutlich fehlerbehafteter als in den Vorwochen. Dennoch hatte die Werkself letztlich souverän und hintenraus ansehnlich 4:2 (1:0) gegen den VfB Stuttgart gewonnen und ihre Erfolgsserie des Jahres 2022 fortgesetzt. 13 Punkte aus den ersten fünf Rückrunden-Partien bedeuten einen Leverkusener Vereinsrekord. Auf dem anvisierten Champions-League-Rang hat sich Leverkusen fest eingenistet.
Von hinten droht wenig Gefahr, zu groß ist der Vorsprung, zu gering im direkten Vergleich die sportlichen Qualitäten der Verfolger. Auch wurde klar, dass Bayer 04 derzeit nicht auf einen bestimmten Gegner-Typ angewiesen ist, um mit fußballerischen Lösungen zum Erfolg zu finden. Es gelingt in Heimspielen mit enormen Ballbesitzwerten gegen tiefstehende Mannschaften (Augsburg, Stuttgart) ebenso wie bei Duellen mit qualitativ besseren Teams, die gerne und viel anlaufen und eigene Ideen mit dem Ball haben (Gladbach, BVB).
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„Solche Spiele sind ein bisschen unangenehmer als gegen Dortmund. Hier hast du wenig zu gewinnen. Du musst die drei Punkte holen“, sagte Kapitän Lukas Hradecky nach dem 4:2 gegen den Tabellenvorletzten Stuttgart. „Am Ende ist es ein bisschen zu spannend geworden. Defensiv machen wir zu viele Fehler, aber vorne waren wir wieder effektiv.“ Bayer 04 hatte zunächst Mühe, sich gegen die dichte VfB-Defensive Chancen zu erspielen. „Stuttgart hat es uns schwer gemacht, es hat quasi keine Räume gegeben“, sagte Trainer Gerardo Seoane. Erst ein von Schnelligkeit und Willen geprägtes Solo Moussa Diabys in der 41. Minute sorgte für das 1:0.
Edmond Tapsoba ersetzt Jonathan Tah
Bis zur Pause schien es gut möglich, dass Bayer 04 der erste Zu-Null-Sieg seit dem 20. November gelingen würde. Stuttgart war offensiv harmlos, weil Leverkusens Defensivverbund Konterchancen im Keim erstickte. Auch die Aussetzer von Afrika-Cup-Rückkehrer Edmond Tapsoba, der den kurzfristig erkrankten Jonathan Tah ersetzte, blieben folgenlos. „Er hatte eine nicht ganz einfache Rückreise. Über Kamerun, Burkina Faso und die Türkei ging es zurück. Er war fast drei Tage unterwegs“, berichtete Seoane über Tapsobas Odyssee. „Der Unterschied von 35 Grad zu 0 Grad macht auch etwas mit einem Spieler.“ Doch steigerte sich der Innenverteidiger in Halbzeit zwei.
Piero Hincapie, in Abwesenheit Tahs ein zunächst fehlerfreier Abwehrchef, ließ sich hingegen kurz nach dem Seitenwechsel austanzen und ermöglichte den Ausgleich durch Tiago Tomas (48.). Eine Werkself aus jüngerer Vergangenheit wäre vielleicht ins Wanken geraten. Doch Bayer Leverkusen antwortete – wie schon in den Vorwochen – mit einem eigenen Torerfolg. Amine Adli verlängerte einen Freistoß von Kerem Demirbay ins entfernte Eck des Tores (52.).
Florian Wirtz trifft und legt auf
Stuttgart wechselte offensiv und suchte die Flucht nach vorne. Für Bayer 04 ergaben sich Räume. Und da Florian Wirtz nach zunächst überschaubarer Leistung zur gewohnten Spiellaune fand, wurden diese Räume genutzt. In einer chaotischen Schlussphase traf der 18-Jährige zunächst mit einem erstaunlich tempoarmen Rechtsschuss aus 15 Metern, der aber unhaltbar für VfB-Keeper Florian Müller neben dem linken Pfosten über die Linie kullerte (86.). Leverkusens viertes Tor durch Patrik Schick bereitete Wirtz dank der absoluten Übersicht im Strafraum maßgenau vor (89.). Zwischendurch hatte Tiago Tomas erneut für Stuttgart getroffen (88.) – was aber lediglich zwei Erkenntnisse des Spiels unterstreicht: Bayer 04 ist nur schwer aus der Ruhe zu bringen, hat aber defensiv nach wie vor zu viele Lücken.
„Unser Gefühl auf der Bank war nicht so zufriedenstellend, dass wir sagen können: Die Leistung ist gut, wir belassen es dabei. Es wird Besprechungsbedarf geben“, sagte Seoane. Ob auch auf Toptalent Wirtz eine kritische Ansprache wartet, ist unbekannt, immerhin hatte er vor dem 1:1 einen Fehlpass gespielt. Seoane schwärmte aber von Wirtz’ mentaler Verfassung, nachdem er trotz des holprigen Starts in den Abend noch gewaltig aufdrehte. „Ich bin auf jeden Fall zufrieden, auch wenn es nicht unbedingt mein bestes Spiel war“, sagte Wirtz.
„Auch in schlechten Spielen ist er Weltklasse“
Tor und Vorlage erklärte der Nationalspieler gewohnt nüchtern. „Wenn ich hoch schieße, blockt der Gegner ihn wahrscheinlich. Ich habe gesehen, dass der Verteidiger die Beine aufmacht und dann habe ich dort durchgeschossen“, sagte Wirtz zum 3:1. „Ich mache in jeder Aktion das, was mir mein Instinkt sagt. Beim letzten Tor war mir schon vor meiner Ballannahme klar, dass ich zu Patrik Schick spielen werde, damit er auch mal wieder ein Tor schießen kann.“
Kapitän Hradecky zog ein einleuchtendes Fazit zum Auftritt des Florian Wirtz: „Auch in schlechteren Spielen ist er Weltklasse.“ Bayer 04 ist derzeit an schwächeren Tagen zumindest Bundesliga-Spitzenklasse.