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Pfiffe gegen Leverkusen-StarDas steckt hinter dem Liebesentzug für Kai Havertz

Lesezeit 4 Minuten
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Unter heftigen Pfiffen der Fans verlässt Kai Havertz das Feld.

  1. Nach der Schmach im Derby gegen den 1. FC Köln kassierte Bayer 04 Leverkusen am Mittwoch die nächste Pleite, ein 0:1 gegen Hertha BSC.
  2. Die ohnehin schon wütenden Fans entluden ihren Unmut bei der Auswechslung von Supertalent Kai Havertz. Der 20-Jährige kassierte ein gellendes Pfeifkonzert.
  3. Was steckt hinter diesem Liebesentzug? Erste Risse gab es bereits im Verlauf der Hinrunde.

Leverkusen – In der 72. Spielminute entlud sich der Frust des Leverkusener Anhangs auf einen, den die Fans zu Saisonbeginn wohl noch mit bloßen Händen gegen einen Angriff tollwütiger Hunde verteidigt hätten. Als Bayers Übertalent Kai Havertz nach schwacher Leistung beim Stand von 0:1 gegen Hertha BSC ausgewechselt wurde, kassierte der Nationalspieler ein in der Bay-Arena selten zuvor vernommenes Pfeifkonzert.

Der 20-Jährige nahm auf der Bank Platz und versuchte, samt seiner versteinerten Miene vollständig in einem Vereins-Anorak zu verschwinden. Es war der vorläufige Höhepunkt der ersten Krise in Havertz’ Karriere: Trainer Peter Bosz traute seinem Spielmacher nicht mehr zu, in der Schlussphase etwas Sinnvolles gegen tief stehende Berliner zu vollbringen. Havertz selbst hatte zuvor Karim Rekik nach einem abgewehrten Eckball hatte stehen lassen und so den Berliner Siegtreffer (64.) mitverschuldet.

Während Havertz nicht sprach, bekam er viel Zuspruch von seinen Teamkollegen. „Ich find’s scheiße“, sagte Innenverteidiger Jonathan Tah über die Pfiffe. „Das bringt nichts. Und es wird auch nicht dazu führen, dass er motivierter ist. Wir müssen es in der Kabine schaffen, ihn aufzubauen.“ Trainer Bosz meinte gar, seinen Star schützen zu müssen. Der Niederländer behauptete zu glauben, dass die Pfiffe ihm gegolten hätten, „weil ich ihn ausgewechselt habe“.

14 Prozent Zweikampfquote

Doch Risse im Verhältnis zwischen Fans und Havertz entstanden schon im Verlauf der Hinrunde. Nicht, weil schnell klar wurde, dass der gebürtige Aachener seine gewaltigen Leistungen aus der Vorsaison nicht würde bestätigen können, als er in 42 Pflichtspielen an 27 Toren beteiligt war, Bayer 04 in die Champions League führte und von den Bundesliga-Profis zum Spieler der Saison gekürt wurde. Vielmehr gab es erste Vorwürfe, Havertz habe gedanklich schon mit Leverkusen abgeschlossen und würde sich auf seinen kommenden Arbeitgeber konzentrieren – sei es der FC Bayern, Liverpool oder Real Madrid. Gestützt von der Tatsache, dass fast niemand bei Bayer 04 glaubt, Havertz tatsächlich über den Sommer hinaus halten zu können. Doch auch gegen diese These gab es Verteidigung eines Mitspielers. „Ich habe nicht das Gefühl, dass er mit dem Kopf woanders ist“, sagte Sven Bender, um dann einzuschränken: „Dass er sich Gedanken um seine Zukunft macht, ist normal. Das darf man ihm nicht übel nehmen.“

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Tatsächlich ist es wohl keine Kombination aus Havertz’ Spielweise und seiner sportlichen Krise, die den Eindruck erweckt, er wäre unmotiviert. In Normalform wirkt Havertz am Ball derart elegant, als könne er die Zeit verlangsamen und die nächsten drei Spielzüge im Voraus berechnen. So konnte er sich in der letzten Saison auch immer wieder engster Bewachung entziehen. Das Timing ist ihm aktuell etwas verloren gegangen. So kommt es zu vielen Ballverlusten, Fehlpässen und verlorenen Zweikämpfen – gegen die Hertha gewann er nur 14 Prozent seiner Duelle. Und in der Krise wird von Fußballern gern mehr Kampf, vielleicht auch mal ein rustikales Tackling erwartet. Doch das gehört nicht zu Havertz’ eigentlichem Repertoire – der Fluch seines fußballerischen Genies. Anders als bei Charles Aránguiz, dem trotz ungeklärter Zukunft in Leverkusen sowie schlechten Leistungen gegen Köln und Berlin wohl nie so ein Liebesentzug drohen würde.

Exequiel Palacios könnte helfen

Wie nun umgehen mit Havertz? Die sich häufenden Rufe der Fans nach einem Verkauf im Winter sind wohl eher Ausdruck der Wut nach den beiden schlimmen Niederlagen. Vielmehr könnte eine Schaffenspause helfen. Als es vor wenigen Wochen noch gut lief, war die Werkself – anders als vor einem Jahr – nicht zwangsläufig auf Havertz angewiesen. Der Sieg beim FC Bayern gelang ohne ihn, ebenso der Erfolg in Moskau. Allerdings scheint Bosz kein dauerhaftes Vertrauen in potenzielle Alternativen für das offensive Mittelfeld zu haben. Nadiem Amiri konnte seine Chancen bislang nicht nutzen, 32-Millionen-Mann Kerem Demirbay stand in den letzten vier Liga-Partien nur zehn Minuten auf dem Rasen. Einen Grund dafür wollte Bosz nicht nennen. Zur Rückrunde könnte Exequiel Palacios helfen, der Argentinier kommt für rund 22 Millionen Euro von River Plate nach Leverkusen. Doch es ist unklar, ob der Südamerikaner sich sofort in der Bundesliga akklimatisieren kann.