Köln/Leverkusen – Am Sonntagabend, im Heimspiel von Bayer Leverkusen gegen die TSG Hoffenheim, da demonstrierte Florian Wirtz mal wieder sein Ausnahmekönnen. Beim Stand von 2:1 aus Sicht der Werkself drohte das Spiel kurz nach der Pause zu kippen. Doch dann hatte der erst 17-Jährige seinen großen Auftritt. Und was so schwer ist, sieht bei ihm so herrlich leicht aus. Teamkollege Patrick Schick legte genial für Wirtz per Hacke ab, der junge Offensivspieler ließ sich auch nicht vom Stören des Hoffenheimers Diadie Samassekou aus der Ruhe bringen, düpierte dann den Ex-Kölner Kevin Vogt und schob den Ball auch noch cool an Gäste-Torhüter Oliver Baumann vorbei.
Das 3:1 in der 55. Minute war die Vorentscheidung, Bayer 04 gewann am Ende 4:1 und übernahm vor dem Derby am Mittwoch (20.30 Uhr) beim 1. FC Köln zum ersten Mal seit über sechs Jahren die Tabellenführung in der Bundesliga.
Wirtz hätte kurz vor Schluss noch einmal treffen können, doch diesmal fand er in Baumann seinen Meister. Am Mittwoch will er es besser machen – bei seiner ersten Rückkehr zu seinem Ex-Klub.
Wirtz beeindruckt Trainer und Fans
Dennoch hatte sein Auftritt mal wieder die Fachwelt beeindruckt. Und so versuchte Peter Bosz, sein Trainer, die Elogen auf den Hochbegabten nach dem Abpfiff schnell wieder einzufangen. Bayers-Trainer sprach davon, das sei eben die Qualität von Wirtz. Er sei zwar auch beeindruckt und habe viele gute Dingen bei Wirtz gesehen, aber der Junge müsse auch noch viel lernen. Als Beispiel führte der Coach eine Situation im Anschluss an eine Ecke an, in der Wirtz rechts hinten den Ball zu leicht verlor. Das dürfe nicht passieren, so Bosz, und er begründete dies mit Unerfahrenheit. Der Niederländer ist dagegen sehr erfahren, und er hütet sich bewusst davor, Wirtz zu sehr in den Vordergrund zu stellen und über Gebühr zu loben. Viel kann Bosz gegen die Hymnen aber nicht ausrichten, denn der gebürtige Pulheimer ist einfach innerhalb kürzester Zeit wie ein Komet in die Bundesliga eingeschlagen. Seit seinem aufsehenerregenden Wechsel im Januar vom Geißbockheim ans Bayerkreuz bestritt Wirtz 25 Pflichtspiele für die Profis, kam auf 1630 Minuten Einsatzzeit uns steuerte fünf Treffer sowieso fünf Torvorlagen bei. Im Oktober debütierte der offensive Mittelfeldspieler mit 17 in der U21-Nationalmannschaft – als jüngster U21-Spieler in der DFB-Geschichte. Sein Marktwert dürfte schon jetzt jenseits der 25 Millionen Euro liegen.
Rund 150000 Euro Ablöse soll der FC bekommen haben, als Wirtz im Januar Köln verließ und bei Bayer 04 einen Profivertrag bis 2022 unterschrieb. Der wird jetzt bis 2025 ausgeweitet, die Verlängerung soll wohl eine Formsache sein. Für den FC ist es da ein schwacher Trost, dass sich durch Wirtz’ Anzahl an Einsätzen die Ablöse offenbar auf rund 300000 Euro verdoppelt hat.
Heldt betont gute Verhältnis zu Bayer 04 Leverkusen
Denn der Abgang des Ausnahmetalents schmerzt den Klub von der linken Seite weiterhin – auch wenn die Kölner Verantwortlichen am Montag keinen großen Drang verspürten, auf diesen erneut einzugehen. „Wir, die hier sitzen, können nichts dafür, dass Florian Witz nicht in Köln spielt. Ich konzentriere mich auf meine Spieler“, sagte Trainer Markus Gisdol. Auch Sportchef Horst Heldt wollte das Thema nicht neu befeuern, es gab wegen des Transfers schon genug Zoff zwischen den Klubs. Auch wenn Heldt das anders sah: „Wir hegen ein sehr gutes Verhältnis zu Bayer. Ich schätze Rudi Völler in jeglicher Hinsicht. Ich sehe keine Probleme in der Gegenwart und in der Zukunft.“
Heldt kann das auch so sagen, da ihm ebenfalls keine Schuld am Abgang von Wirtz traf, der fast zehn Jahre lang am Geißbockheim ausgebildet worden war. Der Kölner Nachwuchs zählt zwar weiter zu den besten in Deutschland, gewinnt Titel, steht regelmäßig vor dem der Werkself und schaffte es zuletzt erneut, mit Jan Thielmann, Sava Cestic, Tim Lemperle und Robert Voloder eigene Talente an die Profis heranzuführen. Doch das größte verlor man, sportlich wie finanziell trauert der Klub Wirtz hinterher. Am deutlichsten sagte dies im Sommer FC-Vizepräsident Eckhard Sauren: „Eine der größten Niederlagen der Saison war, dass wir Florian Wirtz verloren haben.“ So etwas dürfe sich nicht wiederholen.
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Der Verein will aus den Fehlern lernen. Denn oft wurden fehlende Wertschätzung und falsche Einschätzungen der zuvor handelnden Personen als die Hauptgründe genannt, warum Wirtz den FC verließ. Damals stand noch Armin Veh als Geschäftsführer Sport beim FC in der Verantwortung. Der Kölner Plan, wenn man ihn als solchen bezeichnen darf, war, den Ausnahmekönner erst einmal behutsam aufzubauen. In der Praxis sah dieser Plan so aus: Wirtz wurde nicht in die U19 hochgezogen und durfte im Sommer 2019 auch nicht bei den Profis reinschnuppern. Sein Vater und Berater Hans-Joachim Wirtz, ein Lehrer, zog mit dem Filius die Konsequenzen und nahm die Offerte von Bayer 04 an, das dem Talent einen klaren Karriereplan aufzeigte.
Bayer-Sportdirektor Rolfes: „Wir waren sehr überrascht, dass sein Vertrag ausläuft“
Der Aufschrei der Kölner war indes groß, sie waren erbost, dass sich Bayer 04 nicht an die gemeinsame Abmachung gehalten hatte, sich nicht gegenseitig Jugendspieler abzuwerben. Doch Leverkusens Sportdirektor Simon Rolfes verwies darauf, dass dies zwar gängige Praxis sei, aber es eben kein schriftliches Agreement gebe. Und Florian Wirtz sei ohnehin ein „Sonderfall“ gewesen. „Es ist ganz einfach: Wir waren sehr überrascht, dass sein Vertrag ausläuft. Dass ein Spieler dieser Qualität ab Sommer keinen Vertrag mehr hat.“ Diesen bekam Wirtz dann im 25 Kilometer von seinem Wohnhaus entfernten Leverkusen. Im Sommer wechselte der 17-Jährige zudem von Brauweiler nach Opladen aufs Landrat-Lucas-Gymnasium, um dort im kommenden Jahr sein Abitur zu erlangen. Bei Bayer 04 hat Florian Wirtz die Reifeprüfung indes schon längst abgelegt.