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„Jetzt blutet das Fan-Herz“Ein Besuch in Leverkusen vor dem Derby gegen Köln

Lesezeit 7 Minuten

Die Vereinsfahne  hat ihren festen Platz in  den Büroräumen der Fanbeauftragten.

An diesem Samstag findet in der BayArena das „Schicksalsspiel“ statt: Bayer 04 Leverkusen gegen den 1. FC Köln. Der Gastgeber braucht drei Punkte, sonst droht der Abstieg – Ein Besuch bei den angespannten Anhängern.

Das weiße Stahlgerüst mit dem riesigen „Bayer“-Logo scheint in den Himmel zu wachsen. An der Fassade wirbt ein Banner für eine Rabatt-Aktion des Bayer-04-Fan-Shops in der Innenstadt („bis zu 80 Prozent reduziert“). Gegenüber, auf der Terrasse von McDonald's, hauen sich ein paar Jugendliche Pommes mit Majo und fettige Burger rein.

Hier also, in der BayArena an der Bismarckstraße in Leverkusen, wird an diesem Samstag das „Schicksalsspiel“ stattfinden: Bayer 04 Leverkusen gegen den 1. FC Köln. Derby.

Das ist das eine.

Wenn die Leverkusener ohne drei Punkte nach Hause gehen, könnten sie auf einem Relegationsplatz landen und wären zum vierten Mal in ihrer Vereinsgeschichte in Abstiegsnot.

Das ist das andere.

Ein Garant für Krawall

Beides zusammen ist ein Garant für Krawall. Fürchtet zumindest Ursula Pfennig. Brille, Föhn-Frisur, die Augen mit energischer Hand geschminkt – die Mittsechzigerin betreibt seit 1990 mit kleinen Unterbrechungen das „Stadion-Büdchen“ unweit der BayArena. Direkt nebenan ist das „Stadion-Eck“ des „unabhängigen Dachverbands der Bayer-04-Fans Nordkurve 12“, wo es an Spieltagen schon mal ordentlich abgehen kann. Eine blutrote „12“ ist großzügig auf die Fassade der abgeschrammten Eckkneipe gepinselt, die Fenster sind an diesem Nachmittag, drei Tage vor dem Derby, fest verrammelt.

Beim Spiel Leverkusen gegen Dortmund im vergangenen Jahr habe sie dichtgemacht, als die Stimmung plötzlich kippte, sagt Ursula Pfennig. Und das will sie auch an diesem Samstag tun, „wenn es brenzlig wird“. Mit drei Aushilfen wird sie schon Stunden vor dem Spielbeginn im Büdchen stehen: Einer an der Tür, „damit nix passiert“, einer hinter der Theke, einer bei den eisgekühlten Getränken. Einer bei den Zigaretten.

Vor dem Büdchen unter einer lichten Pergola sitzen Elisabeth und Udo Koch bei Kaffee und Bier. Tja, das Spiel am Samstag. „Ich habe das Gefühl, dass Köln gewinnt“, sagt Koch. „Wir spielen doch nur noch Angsthasenfußball.“ Wie sonst ließe sich der Absturz der Werkself in dieser Saison auf den miserablen zwölften Platz erklären? Zerstoben sind die Träume von einer Teilnahme an der Champions League, auf die Leverkusen zu Beginn der Saison hoffte.

„Angeblich haben wir den besten Kader der Welt. Und jetzt spielen wir gegen den Abstieg!“ Der 51-Jährige, Chemikant bei Bayer und Bayer-04-Fan seit Kindertagen, nimmt einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Er kann sich noch an den Aufstieg des Vereins 1979 in die Erste Bundesliga erinnern. „Das war der Wahnsinn.“ Ebenso wenig hat er den Überlebenskampf von Bayer 04 in der Saison 1981/82 vergessen, als nur zwei Relegationsspiele gegen Kickers Offenbach den Verein vor dem Abstieg in die Zweite Liga retteten.

Die Kochs wohnen direkt gegenüber dem Stadion. Zwei blaue Müllsäcke füllt der Dreck, den die Fans nach jedem Spiel in ihrem Vorgarten hinterlassen. Das sei nicht schön, sagt Elisabeth Koch, die ansonsten eher zur Gelassenheit neigt. An diesem Samstag wird das Ehepaar das Weite suchen, um „das Elend“ nicht mitzuerleben. „Ich rege mich sonst nur auf“, sagt Koch. „Wir kriegen ja alles hautnah mit. Wenn Leverkusen ein Tor schießt, kommt Musik. Wenn sie einen reinkriegen, kommt Gebrüll.“ Koch rechnet an diesem Samstag mit viel Gebrüll.

Die Fans sind angesichts der Lage äußerst nervös

Nervös ist man in der Fan-Szene in Leverkusen, seitdem der Traditionsverein zu aller Erstaunen in den Tabellenkeller gerutscht ist. Nervös, traurig und wütend. Vor zwei Wochen, nach einen desaströsen Spiel gegen den FC Schalke 04 (1:4), haben sich rund 200 Fans die Spieler auf dem Parkplatz hinter dem Stadion zur Brust genommen und gefragt, was denn bitte los sei mit ihnen. Die Begegnung sei zum Glück „sauber gelaufen“, sagt Andreas Paffrath, den alle hier in Leverkusen nur den „Paffi“ nennen. „Die Fans sind frustriert und wollen Antworten haben. Die Spieler haben sich dem gestellt.“

Andreas Paffrath ist einer von drei  Fanbeauftragten bei Bayer 04.

Paffrath, ein freundlicher Mann mit vielen Silberringen an den Fingern, muss das wissen. Der 49-Jährige ist seit 1988 Fanbetreuer bei Bayer 04 und war mit seinen beiden Kollegen bei der Aussprache dabei. Das Trio kümmert sich um rund 260 Fanclubs des Leverkusener Vereins in ganz Deutschland. „Wir sind Drahtseilkünstler, die für beide Seiten um Verständnis bitten müssen“, sagt Paffrath. Das sei nicht immer ganz einfach.

Und jetzt? „Jetzt blutet das Fan-Herz“, umreißt „Paffi“ die Befindlichkeit der düpierten Leverkusen-Anhänger. „Wir sind noch nie abgestiegen.“ Nicht nur Paffrath hofft, dass das auch so bleibt. Am Schlimmsten sei, nicht eingreifen zu können ins Geschehen. „Wenn Sie Mechaniker sind, holen Sie Ihr Werkzeug raus und reparieren, was kaputt ist. Als Fan können Sie das nicht. Da stehen Sie hilflos in der Kurve und können absolut nichts machen.“

Paffrath ist selber überzeugter Bayer-04-Fan. 1971 nahm ihn der Vater das erste Mal mit zu einem Spiel: Leverkusen gegen Solingen. Da ging Paffrath noch in den Kindergarten, und Leverkusen spielte in der Regionalliga West. „Seitdem habe ich das Virus. Das wird einem quasi in die Wiege gelegt. Bayer 04 ist Heimat für mich.“

Für viele ist der Verein Leverkusen ein Stück Heimat

Heimat – das ist der Verein für viele hier in Leverkusen. Und genau deswegen nehme die derzeitige Situation die Fans dermaßen mit, sagt Meinolf Sprink, bei der „Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH“ zuständig für den Bereich Fans/Soziales. „Die Fans sind gestresst, weil die Situation so unerwartet ist.“ Man habe zu Saisonbeginn schließlich ganz andere Ambitionen gehabt. Das Derby am Samstag sei nicht nur in emotionaler Hinsicht von großer Bedeutung. „Die Leute können die Tabelle lesen. Sie wissen, dass sie am Samstag diese drei Punkte brauchen. Egal, gegen wen es geht.“

Doch woran liegt es, dass es derzeit nicht fluppt in Leverkusen? Antworten auf diese Frage bekommt man im Lottobüdchen von Fernando Furtado in der Breidenbachstraße. Im Fenster liegt ein Schal von Bayer 04, drinnen wird heiß diskutiert. Etwa, ob die Spieler vielleicht psychologische Hilfe bräuchten. Oder ob sie faul seien und viel zu viel Geld verdienten.

Im Lotto-Büdchen von  Fernando Furtado wird heftig diskutiert.

„Zwischen denen stimmt was nicht“, glaubt Furtado, der vor 21 Jahren aus Portugal nach Deutschland kam. „Die können nicht miteinander und vertrauen sich nicht.“ Den Absturz auf den zwölften Platz, nein, den könne er nicht nachvollziehen. „Da muss intern was passiert sein.“ Am derzeitigen Trainer liege das jedenfalls nicht. Der arme Kerl habe ein Erbe angetreten, dass er, Fernando Furtado, nicht geschenkt haben möchte.

Trauer und Resignation überwiegen gegenüber der Wut

Arno Meier, der eigentlich krank geschrieben ist („bloß kein Foto, keinen Namen“), aber dennoch heftig mitdiskutiert, hat den Schuldigen längst ausgemacht: die Geschäftsleitung. „Die muss weg. Der Kader ist super.“ Und wenn der Klub trotz Super-Kader am Samstag verliert? Wenn er in die Relegation rauscht? „Dann gibt es einen Fan-Aufstand.“

Solch kämpferische Töne hört man selten in Leverkusen. Eher überwiegen Trauer und Resignation. Bloß nicht absteigen, so lautet die Devise. Ein Trikot oder einen Vereinsschal trägt drei Tage vor dem Spiel niemand in der Stadt. Bayer-04-Fahnen sucht man vergebens. Immerhin: Leverkusens Oberbürgermeister Uwe Richrath ließ bereits verlauten, dass er am Samstag die Flagge von Bayer 04 vor dem Rathaus, den Verwaltungsstellen in Opladen und Wiesdorf sowie vor dem Straßenverkehrsamt hissen werde.

Drei  Verkaufskräfte warten im  Fanartikel-Shop in der Leverkusener Fußgängerzone  auf Kundschaft.

„Ich würde mich schon über Platz zehn oder elf freuen“, sagt Anna Müller (Name geändert). Sie hat sich gerade die Nase am Schaufenster des Fan-Shops in der Fußgängerzone gedrückt. Reingegangen ist sie nicht. Die 47-Jährige ist seit langem arbeitslos, das Geld reicht gerade für das Nötigste. Kapuzenshirts in den Vereinsfarben und die Uhr Bayer 04 für 149,90 Euro gehören nicht dazu.

Ernst Weber (Name geändert) hat Trikots für die Enkel gekauft. Weber ist 72 Jahre alt und seit 60 Jahren Bayer-Fan, so wie die ganze große Familie. Noch hat er Hoffnung, „dass alles gut geht“. Denn auch für ihn, dessen Gesicht von einem Schlaganfall gezeichnet ist, ist der Verein „Heimat“. Drei, vier Mal im Jahr geht er ins Stadion. Am Samstag allerdings wird Weber zu Hause bleiben. „Gegen Köln ist es mir zu krawallig.“