Essen – Im Schlamm von Essen ist am Dienstagabend der Pokal-Traum von Bayer 04 Leverkusen versunken. Der Bundesligist mit den großen Champions-League-Ambitionen und Titel-Träumen musste sich dem Viertligisten Rot-Weiss Essen im Achtelfinale des DFB-Pokals in der Verlängerung 1:2 geschlagen geben. Die Profis der Werkself verschwanden zügig in den Katakomben, während sich die siegreichen und verschlammten Essener ungläubig an die Köpfe fassten und zuhörten, wie vor dem Stadion an der Hafenstraße die ersten Autokorsos vorbeizogen. Bayer 04 unterlag nicht nur dem krassen Außenseiter. Die Werkself brachte zudem das selten gesehene Kunststück zustande, als Bundesligist in der Verlängerung in Führung zu gehen und dann noch zu verlieren. „Ich bin sauer und enttäuscht. Mit unserer Erfahrung dürfen wir die Führung niemals abgeben. Und dann haben wir noch ein Problem momentan: Wir schießen die Dinger nicht rein“, sagte Trainer Peter Bosz.
Spektakuläre Verlängerung
Simon Engelmann hatte in der 117. Minute für den Höhepunkt einer spektakulären Verlängerung gesorgt. Leon Bailey hatte Leverkusen auf dem schlimmen Untergrund im Stadion an der Hafenstraße in der 105. Minute in Führung gebracht. Doch der seit mehr als einem Jahr ungeschlagene Regionalliga-Zweite drehte die Partie im Dauerregen und erkämpfte sich so das Wunder. „Viertelfinale? Da müssen wir feiern. Zwei Wochen bin ich jetzt nicht mehr ansprechbar“, verkündete Torhüter Daniel Davari nach einer für Essen geschichtsträchtigen Leistung. Sein Gegenüber Lukas Hradecky rang um Fassung: „Nach dem 1:0 sollten wir das Spiel unter Kontrolle haben. Ich weiß nicht, was wir danach machen. Das darf niemals passieren.“
Bosz hatte Florian Wirtz und Moussa Diaby eine Pause gegönnt, auf den im Pokal rotgesperrten Jonathan Tah musste der Trainer verzichten. Zudem stellte der Niederländer sein System um. Von der misslungenen Variante beim 0:1 bei RB Leipzig ohne echten Stürmer hin zu einer Doppelspitze mit Lucas Alario und Patrik Schick. Mit seiner Umstellung auf viel Wucht im Angriffszentrum reagierte Bosz auf die Platzverhältnisse im Essener Stadion – der Rasen war nach den Regenfällen der vergangenen Wochen tief und matschig. Zwangsläufig musste Bayer 04 den eigenen Kombinationsdrang deshalb drosseln.
Die Werkself holte aus dem holprigen Geläuf das fußballerische Maximum heraus. RWE, das wohl nichts gegen noch etwas schlechtere Platzverhältnisse einzuwenden gehabt hätte, kämpfte sich nach einer Viertelstunde besser ins Spiel. Immer wieder wurde die Leverkusener Dreierkette aggressiv angelaufen und auf dem Essener Acker zu langen, ungenauen Schlägen oder Ballverlusten gezwungen. Mehrmals liefen die Essener in Gleich- oder Überzahl in Richtung Lukas Hradecky. Großchancen blieben allerdings der Werkself überlassen. Schick traf aus wenigen Metern per Kopf nur den Pfosten (24.), Charles Aránguiz scheiterte am stark reagierenden RWE-Schlussmann Davari (29.). Für den Keeper begann ein herausragender Abend, vielleicht der Abend seines Lebens.
Bosz stellt um
Bosz war nicht einverstanden mit dem, was er in der ersten Halbzeit gesehen hatte. Zwei weitere Wechsel und eine System-Umstellung waren das Resultat. Für Schick und Rückkehrer Exequiel Palacios kamen Wirtz und Wendell. Die Werkself verteidigte fortan mit einer Viererkette. Die Umstellungen fruchteten. Defensiv wirkte Leverkusen konzentrierter, mit dem Chancen-Wucher ging es aber weiter. Erneut Diaby (50.), Tapsoba (51.), Alario (57.) und Bailey (60.) sowie kurz vor Schluss wieder Diaby und Demirbay (89.) scheiterten am Pfosten oder RWE-Keeper Davari. 25 Schüsse hatte Bayer 04 nach 90 Minuten aufs Essener Tor abgefeuert, keiner fand sein Ziel.
Leon Bailey trifft
Der schon vor Anpfiff fürchterliche Rasen war zu Beginn der Verlängerung fast flächendeckend braun. Essen verteidigte nur noch rutschend und grätschend, war in den entscheidenden Szenen aber immer zur Stelle. Bis zur 105. Minute, als Bailey Leverkusens 26. Abschluss an Davari vorbei ins Tor schob. Der Jubel war groß bei Bayer 04 über die vermeintliche Entscheidung – und es mischte sich Übermut in die Freude. Denn wer nun dachte, Essen wäre besiegt, wurde in der zweiten Halbzeit der Verlängerung eines Besseren belehrt. Nach Hradeckys Torwartfehler sorgte Oguzhan Kefkir in der 108. Minute für den Ausgleich – und Engelmann für den großen Leverkusener Schock.