Der Geschäftsführer von Bayer 04 Leverkusen schwärmt vom 17-Jährigen Florian Wirtz und verteidigt die Personalpolitik.
Vergleiche zwischen dem Ex-Kölner und Nationalspieler Kai Havertz gefallen Völler allerdings nicht.
Den heutigen Werksklub, findet der Weltmeister von 1990, könne man mit dem Star-Team von früher nicht vergleichen.
Leverkusen. – Herr Völler, Bayer 04 Leverkusen war in der Transferpolitik zuletzt nicht vom Glück verfolgt. Beide Spieler, die Sie zuletzt verpflichtet haben, haben sich verletzt. Patrik Schick in Stuttgart am Oberschenkel, Santiago Arias im Länderspiel in Kolumbien. Er fällt mit Brüchen an Wadenbein und im Sprunggelenk für ein halbes Jahr aus.Die Verletzung von Santiago Arias war furchtbar anzuschauen, das tut mir unglaublich leid für den Jungen. Wir werden ihm helfen, mit allem was wir haben, damit er schnell wieder gesund wird. Natürlich sind wir jetzt sehr froh, dass wir für Santiagos Position noch mehrere Spieler als Option haben. Ganz wichtig für uns war Mittelstürmer Patrik Schick, den wir schon ein Jahr vorher aus Rom verpflichten wollten. Er ist ein Klassemann, das hat er in den ersten Spielen schon angedeutet.
Darüber hinaus haben Sie nach den Abgängen von Kai Havertz und Kevin Volland trotz Transfereinnahmen von mehr als 100 Millionen Euro keinen Spieler mehr verpflichtet.
Wer zuvor genau hingehört hatte bei dem, was wir immer gesagt haben, dem müsste aufgefallen sein, dass wir gar nicht mehr viel machen wollten nach den beiden Transfers. Wir haben einen richtig guten Kader, auch wenn Havertz und Volland jetzt weg sind. Transfers wie Demirbay, Amiri, Palacios, Tapsoba und Wirtz sind letzten Sommer und im Winter vor allem gemacht worden, weil wir wussten, dass uns Kai Havertz im Sommer 2020 wahrscheinlich verlassen wird.
Was ist im Fall des Bremers Milot Rashica passiert, dessen Transfer sich im letzten Moment zerschlug?
Am Tag vor Transferschluss am 5. Oktober war er bei uns noch gar kein Thema, weil Werder ihn bis dahin ausschließlich verkaufen wollte. Das kam für uns nicht infrage. Wir haben bereits drei Top-Außenstürmer: Moussa Diaby, Karim Bellarabi, Leon Bailey. Im Januar wird Paulinho zurückkommen. Klar kannst du dann noch Rashica dazu nehmen, aber natürlich nur als Leihe. Und er war als Leihoption am Tag vorher nicht auf dem Markt. Als die Bremer kurz vor Schluss signalisierten, dass eine Leihe doch möglich wäre, da wurde es für uns interessant. Alle drei Parteien hätten es dann gern auch noch gemacht, aber das war in der Kürze der Zeit dann einfach nicht mehr umsetzbar.
Das bedeutet, dass Peter Bosz mit dem vorhandenen Kader die Ziele erreichen muss.
Unser Kader ist stark. Das lasse ich mir nicht ausreden. Natürlich haben wir Kai Havertz nicht mehr. Das war unsere Lichtgestalt. Den kannst du nicht ersetzen. Das tut uns weh. Jetzt ist es unsere Aufgabe, den vorhandenen Kader mit den Vorgriffen, die wir getan haben, besser zu machen. Da sind wir alle gefordert. Da ist noch Luft nach oben. Bayern und Dortmund sind die Top-Klubs, aber zwischen Platz drei und sechs oder sieben reden wir immer ein Wort mit.
Also ist Platz vier und Erreichen der Champions League der klare Auftrag für Trainer Peter Bosz.
Auftrag hört sich an wie ein Befehl. Aber das ist doch kein Befehl. Für Platz vier muss vieles passen. Mit dem Trainer haben wir einen total offenen und ehrlichen Austausch. Aber aus Gründen wirtschaftlicher Vernunft konnten wir viele Dinge nicht machen. Und manche wollten wir auch nicht.
Wollten Sie Mario Götze verpflichten, dessen Name auch im Zusammenhang mit Bayer 04 oft genannt wurde?
Jeder weiß, dass Mario wahrscheinlich seine letzten Spiele über 90 Minuten in Dortmund unter Peter Bosz gemacht hat. Er hat zu unserem Trainer einen guten Draht. Aber es war schnell für uns klar, dass Mario Götze für uns kein Thema ist. Dafür gibt es auch einen Grund: Wir haben auf dieser Position Florian Wirtz. Ich wünsche Mario alles Gute. Und ich glaube auch, dass die Entscheidung für PSV Eindhoven mit unserem Ex-Trainer Roger Schmidt genau richtig ist.
Sie wollen den 17-jährigen Florian Wirtz vermutlich über seinen bis 2022 laufenden Vertrag hinaus halten.
Natürlich. Es ist für uns wunderbar, diesen Spieler bekommen zu haben. Natürlich war es schmerzhaft für den 1. FC Köln. Aber wenn wir es nicht gemacht hätten mit Florian, hätten es andere gemacht. Es war die halbe Bundesliga hinter ihm her.
Wird Wirtz der nächste Kai Havertz?
Bei allem Talent darf man nicht den Fehler machen, die beiden miteinander zu vergleichen. Sie spielen zwar dieselbe Position im offensiven Mittelfeld, aber sie sind doch zwei verschiedene Spielertypen. Was sie verbindet, ist aber das Wichtigste, was es im Profi-Fußball gibt: Ball-Annahme und -Mitnahme gepaart mit Technik und Geschwindigkeit. Das hat Kai in einer wunderbaren Art, und das hat Florian auch. Wenn er noch ein bisschen robuster wird, hat er eine große Zukunft vor sich.
Wie sehen Sie die Zukunft von Bayer 04 Leverkusen?
Man kann nicht immer Diskussionen führen und Task-Forces gründen mit dem Ziel, wirtschaftlich und sozial vernünftig zu handeln und dann das eingenommene Geld einfach aus dem Fenster schmeißen. Wir werden das nicht tun. Wir sind in ständigem Austausch mit dem Gesellschafterausschuss und dem Vorsitzenden Werner Wenning, mit dem uns – und seit vielen, vielen Jahren vor allem auch mich – große Wertschätzung verbindet. Wir haben auch gegenüber der Bayer AG eine Verpflichtung. Zur Jahrtausendwende waren die Zuwendungen vergleichsweise schon wie heute. Aber es brachte einen ungleich größeren Vorteil, weil es damals viel weniger TV-Geld gab und das finanzielle Niveau erheblich niedriger war. Deshalb konnten wir zwischen 1998 und 2003 realistisch um Titel mitspielen, das Champions-League-Finale erreichen. Ehrlicherweise hätten wir damals Titel gewinnen müssen. Dass wir das nicht geschafft haben, hängt uns nach. Aber dieser Klub sind wir heute nicht mehr. Wir sind immer noch ein Top-Klub, aber Dortmund und vor allem Bayern sind für uns nicht erreichbar.
Dennoch kann ein Klub mit einem solchen Partner in dieser Zeit ohne Zuschauer besser schlafen als andere.
Unser Verein wurde, anders als andere heutzutage von großen Unternehmen oder Investoren übernommene Klubs, aus dem Bayer-Werk heraus gegründet. Das ist unsere DNA, deswegen sind wir die „Werkself“. Das ist mehr als nur eine Marketing-Strategie, es ist unsere Identität. Diese enge Verbindung zu einem gesellschaftlich verantwortlichen Weltkonzern ist natürlich angesichts der aktuellen Krise ein gutes Gefühl. Aber auf der anderen Seite eben auch eine Verpflichtung, selbst verantwortlich und vernunftorientiert zu handeln. Und genau das ist der Grund, weshalb wir jetzt und auch in Zukunft keine verrückten Sachen machen werden.