Köln – Ja, auch ein Bundestrainer, obschon hochdekoriert, hat es nicht immer leicht. Die Kritik an ihm war zuletzt mitunter ätzend. Joachim Löw schlug sehr eisiger Wind entgegen. Seine Personalauswahl, seine taktische Ausrichtung mit der zu defensiven Dreierkette und den zu wenigen Anspielstationen im Mittelfeld – ach, alles Mist! Doch der 60-Jährige hat sich ordentlich eingerichtet im Auge des Eissturms. Er lässt den Dingen ihren Lauf, so, wie er das immer macht. Er ist überzeugt von sich, dass sein Weg der richtige ist. Und der sieht als Ziel die Europameisterschaft im kommenden Jahr vor. Daher lassen Löw selbst die öffentlichen Forderungen nach seinem Rücktritt offenbar unbeeindruckt. „Wir wissen schon, was wir machen“, sagte er vor dem Nations-League-Spiel gegen die Schweiz am Dienstagabend in Köln. Er stehe „über den Dingen.“
Natürlich, diese Entrücktheit kommt nicht bei allen gut an. Arroganz und Dünnhäutigkeit wurde dem obersten Fußballehrer der Nation zuletzt auch attestiert, zumal gerade erste gegen die Ukraine der erste Sieg des Corona-Jahres (2:1) gelang. Gegen die Schweiz schwebte dann auch keiner über den Dingen, weder der Trainer noch die Spieler. Zumindest verhinderten die deutsche Mannschaft beim 3:3 (1:2) eine Niederlage. Dabei drehten die DFB-Elf diesmal den Spies um, lag 0:2 zurück, 2:3, doch sie kamen jeweils zurück. Am Ende war es ein Remis, mit dem beide Mannschaften leben konnten.
Mannschaft umgestellt
Das Ergebnis legt dann auch nahe, dass die Probleme der Deutschen nicht in der Offensive zu suchen sind. Dabei hatte Löw ja sogar auf all die guten Ratschläge gehört – und seine Mannschaft umgestellt. Er setzte auf die vermeintlich offensivere Variante mit der Viererkette. Robin Gosens von Atalanta Bergamo besetzte als einer von drei Neuen gegenüber der Ukraine-Partie in dieser den Posten auf der linken Seite. Zudem ließ er die beiden Offensiv-Experten aus Chelsea, Timo Werner und Kai Havertz, von der Leine. Dafür musste Abwehrhüne Niklas Süle nach seinem überflüssig verschuldeten Elfmeter gegen die Ukraine die harte Bank drücken.
Die Mannschaft offenbarte vor allem eines: Schwächen in der Defensive. Es waren keine fünf Minuten gespielt, da zeigte sich einmal mehr die beinahe gewohnt fehlende Zuordnung trotz eigener Überzahl im Strafraum. Eine Kopfballverlängerung nach einer Ecke erreichte Mario Gavranovic, der ebenfalls seinen Kopf hinhielt. Die folgende Bogenlampe senkte sich über Manuel Neuer zur eidgenössischen Führung ins Netz. Jubel gab es nicht zu hören. Nicht, weil den Treffer ja die Gäste aus der Schweiz erzielten, sondern weil am Dienstagabend überhaupt kein Fan Eintritt ins Rheinenergie-Stadion hatte. Aufgrund des zu hohen 7-Tage-Inzidenz-Wertes waren keine Zuschauer zugelassen. Am vergangenen Mittwoch waren beim Länderspiel gegen die Türkei (3:3) noch 300 Zuschauer vor Ort.
Deutschen kombinierten mit höherer Frequenz
Die Deutschen kombinierten nun mit einer höheren Frequenz, aber nicht in der Vertikalen, sondern von links nach rechts und zurück. Lediglich Toni Kroos versuchte es hin und wieder aus der Distanz. Jener Kroos, der gegen die Schweiz sein 100. Länderspiel, und er lange sah es so aus, dass er zwar viel wollte, ihm aber nicht allzuviel gelang. Doch hin und zeigte der Real-Star sein großes Fachwissen und demonstrierte, warum man ihn die „Passmaschine“ nennt. Sein exakter Pass in die Spitze erreichte Werner, doch der glänzte nicht nur mit seiner Schnelligkeit, sondern auch mit zu lässigem Abschluss (26.).
Derselbe Kroos, der zuvor einen schönen Pass spielte, zeigte nur Sekunden später, dass sich auch andere Pässe in seinem Repertoire finden. Seinen Fehlpass nutzten die Gäste zu einem rasanten Konter, den Remo Freuler mit einem zarten Lupfer zum 2:0 veredelte (26.). Zeit zum Luftschnappen blieb nicht. Der starke Ex-Leverkusener Havertz betätigte sich als Balldieb und leitete das Diebesgut flugs weiter auf Werner, der zu einem Soloauftritt ansetzte. Vier Schweizer konnten ihn nicht am Schuss hindern, Gladbach-Keeper Yan Sommer sah dem wohltemperierten Ball nur hinterher – der Anschlusstreffer (29.).
Über den Dingen schwebte keiner bei den Deutschen, zumindest aber erarbeiteten sie sich nun Vorteile. Die Schweizer agierten aber jederzeit mit großer Cleverness und stellten die kleinen Dribbler Werner und Serge Gnabry gekonnt zu. Zunächst jedenfalls.
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Die Deutschen wollten natürlich die erste Niederlage in dieser Nations-League-Saison vermeiden. Sie kamen selbstbewusst aus der Pause zurück. Havertz hatte zunächst Pech mit einem Pfostentreffer (49.), was ihn nicht lange zu beschäftigen schien. Er war hellwach und profitierte von einem Fehlpass der Schweizer, nahm den Ball aus der Luft gekonnt mit und ließ sich auf dem Weg zum Tor nicht mehr aufhalten. Mit dem schwächeren rechten Fuß überwand er Sommer (55.) – 2:2. Wer dachte, die Löw-Elf könnte nun mit Vehemenz auf den Sieg drängen, sah sich getäuscht. Die Schweiz schlug zurück. Erst parierte Neuer stark, doch der häufig fahrig wirkende Kimmich vertändelte den Ball, der, von Gavranovic, abgefeuert im deutschen Tor einschlug (57.). Der zweite Treffer des Stürmers. Keine zwei Minuten nach dem Ausgleich.
Eine Minute mehr benötigte die DFB-Elf, um zurückzuschlagen. Eine exakte Hereingabe von Werner landete bei Gnabry, der den Ball mit der Hacke ins Tor beförderte (60.). Wären Zuschauer im Stadion gewesen, es hätte großen Beifall gegeben. Den hätte es sicher auch für Jubilar Kroos gegeben, doch sein Freistoß aus einer Position, die wie für ihn gemacht schien, landete in der Mauer (70.). Die Schweizer zogen sich nun weit zurück, und durch das dichte Netz an Abwehrbeinen fanden die Gastgeber kein Schlupfloch. Gefährlich wurde es nur, wenn Gnabry Tempo aufnahm. Doch dessen Zuspiel hämmerte der eingewechselte Julian Draxler aus spitzem Winkel ans Außennetz (81.). Viel mehr hatten beide Teams nicht zu bieten vor leeren Rängen. Dann war Schluss.