Leverkusen – Als Schiedsrichter Sascha Stegemann aus Niederkassel im Rhein-Sieg-Kreis das Derby zwischen Bayer 04 Leverkusen und dem 1. FC Köln beendete, brach ein Teil des Fußball-Rheinlandes in Jubel aus. Und ein anderer versank in Schock und Trauer. Der FC hatte das Derby durch ein Tor von Kingsley Schindler 1:0 gewonnen. Doch nicht deshalb erlebte Bayer 04 Leverkusen einen Albtraum, der die Dimension des Resultates sprengte.
Eine Niederlage gegen den Rivalen in der Bay-Arena passierte zuletzt am 7. November 2015, als Köln durch zwei Tore von Dominic Maroh 2:1 gewann. So etwas ist im Verlauf einer Saison reparabel. Nicht reparabel ist für lange Zeit vermutlich die Verletzung von Florian Wirtz. Ohne direkte Einwirkung eines Gegenspielers zog sich der 18-Jährige einen Riss des vorderen Kreuzbandes im linken Knie zu und fällt monatelang aus.
Die Szene, nach der die Leverkusener nicht mehr zu sich fanden, geschah in der 24. Minute. Florian Wirtz lief mit dem Ball parallel zum Strafraum, den Luca Kilian verteidigte. Beide gerieten aneinander, der Leverkusener verlor das Gleichgewicht, wollte sich mit dem linken Bein stabilisieren und sank dann zu Boden. Das Spiel lief nur kurz weiter, bis klar wurde, dass sich das größte Talent des deutschen Fußballs schwer verletzt hatte. Wirtz schlug mit der Faust auf den Rasen und vergrub sein Gesicht unter seinen Händen.
In dieser verzweifelten Pose verharrte der 18-Jährige, als die Physiotherapeuten kamen, als er auf eine Trage gehievt und unter dem Applaus der meisten im Stadion, auch der Kölner Spieler, aus dem Innenraum gebracht wurde. Den tausenden geschulten Fußball-Beobachtern im Stadion war klar, dass sie Zeugen eines Ereignisses geworden waren, das über dieses Spiel weit hinausgehen wird. Ohne Wirtz geraten nicht nur alle verbliebenen sportlichen Ziele von Bayer 04 in Gefahr, auch seine Teilnahme an der WM im Dezember scheint spontan unwahrscheinlich. Schwere Knieverletzungen kosten Fußball-Profis in der Regel ein ganzes Jahr.
Baumgart kritisiert pfeifende FC-Fans
Dass einige FC-Fans das Aus des ehemaligen FC-Jugendspielers beklatschten, fand FC-Trainer Steffen Baumgart nicht gut. „Florians Verletzung ist ein Schock für uns alle. Auch für mich. Dass unsere Fans das teilweise höhnisch begleitet haben, ist nicht gut. Ich hoffe, dass Florian schnell wieder gesund wird.“
Wer immer schon einmal mit eigenen Augen sehen wollte, wie wichtig dieser Hochbegabte für das Spiel von Bayer 04 Leverkusen ist, konnte es exakt sehen, als er plötzlich weg war. Gegen einen mutig und aggressiv auftretenden 1. FC Köln war Bayer 04 zuvor aus Kontersituationen zu Torchancen gekommen, die allesamt Wirtz eingeleitet und sein Kollege Paulinho vergeben hatte. Als der Teenager fehlte, hatte die Werkself nur noch Kampf zu bieten. Dass wenige Minuten zuvor Jeremie Frimpong mit Verdacht auf eine Sprunggelenksverletzung vom Feld gehumpelt war, machte die Sache nicht besser.
Köln bleibt das aggressivere Team
Die große Leistung der Kölner bestand darin, dass sie die Tragik des Konkurrenten ausblendeten und ungerührt das von Steffen Baumgart verordnete Programm abspulten. Bis in die zweite Halbzeit hinein blieben sie das aggressivere, höher verteidigende Team. So etwas wie eine Favoritenrolle gab es längst nicht mehr. Bayer 04 musste akzeptieren, dass sich spielerische Glanzpunkte an diesem Nachmittag nicht mehr einstellen würden und ackerte im sportlichen Überlebensmodus.
Der 1. FC Köln hielt mutig dagegen, bis FC-Trainer Baumgart mit der Einwechslung von Kingsley Schindler (für Duda) und Dejan Ljubicic (für Ellyes Skhiri) in der 64. Minute eingriff. Die direkte Folge stellte sich drei Minuten später ein: Andersson leitet einen Einwurf in den Lauf von Ljubicic, der Fosu-Mensah zum Zuschauer degradiert und über die gesamte Bayer-Abwehr zu Schindler flankt, der unbedrängt sein erstes Bundesliga-Tor erzielt.
Erst danach fand Bayer 04 zu einer Form von Überlegenheit, die dem Tabellenstand angemessen gewesen wäre. Köln verteidigte den Vorsprung tief und hatte Glück, dass der iranische Torjäger Sardar Azmoun drei klare Chancen vergab. Der Leverkusener Trainer verzichtete darauf, die Niederlage alleine der Tragik des Nachmittages zuzuschreiben. „Insgesamt ist es ein bitterer Nachmittag für uns. Durch die drei Verletzungen und die Niederlage sind wir alle extrem enttäuscht“, sagte der Schweizer mit einem Maximum an Fassung und fand auch Raum zur Kritik: „Wir hatten allerdings genügend Torchancen, um ein Tor zu machen. Trotz der unglücklichen Umstände müssen wir uns hinterfragen.“
Das Fazit eines ungewöhnlichen Nachmittages zog schließlich der Kölner Interims-Sportdirektor Jörg Jakobs: „Man hat dem Spiel angemerkt, dass sich alle Spieler nach der Verletzung von Florian Wirtz ein paar Minuten sammeln mussten. Das hatte alle mitgenommen – auf und außerhalb des Platzes. Von uns auch die besten Wünsche an Flo. Am Ende ist das Sport, aber das hat einen schon mitgenommen.“