Wirtz und Musiala überragen beim deutschen 5:1 gegen Schottland – und profitieren dabei von Gündoğan und Kroos
EM-Auftakt der deutschen ElfDas Duo hinter dem Zauberduo
Die Größe dieses Sieges war auch an der enormen Zahl der Rekorde abzulesen, die am Freitagabend in diesen ersten 90 Minuten der DFB-Elf bei der EM 2024 entstanden. Nach zehn Minuten hatte der Reigen mit Florian Wirtz Treffer zum 1:0 begonnen, mit dem sich der Leverkusener mit Wohnsitz Köln zum jüngsten deutschen EM-Torschützen aufgeschwungen hatte. Zehn Minuten später war der nur 66 Tage ältere Jamal Musiala gefolgt, nach seinem 2:0 steht er in der Jüngstenrangliste nun auf Platz zwei. Erstmals überhaupt trafen bei einer EM für eine Mannschaft zwei Spieler, die 21 Jahre oder jünger sind.
Viel war anschließend die Rede von Wirtz und Musiala, auch internationale Beobachter staunten. „Zwei Teufel auf freiem Fuß“, nannte die spanische Zeitung „As“ die beiden unkontrollierbaren Deutschen, und tatsächlich dürfte der weitere Turniererfolg dieser DFB-Elf zu einem guten Stück davon abhängen, wie es ihr gelingt, ihre außergewöhnlichen Spieler gefährlich in Position zu bringen.
Die Schotten jedenfalls fanden keine Mittel, die deutschen „Zauberer“ (Bundestrainer Julian Nagelsmann) zu isolieren. Schon nach wenigen Minuten war die Tartan Army verstummt, Schottlands gigantische Unterstützerschar, die wie alle im Stadion früh erkannt hatte, dass Schottlands Elf ein schlimmer Abend bevorstand. Die Defensive der Gäste wirkte erschrocken angesichts der jungen deutschen Fußballteufel, und als sich vor dem 2:0 der stets so geisterhaft schleichende Kai Havertz aus dem Nichts in Schottlands Strafraum materialisierte, um in aller Ruhe Musialas Tor aufzulegen, war klar: Diese Offensive wird am Mittwoch (18 Uhr) auch die Ungarn vor Schwierigkeiten stellen. Havertz sorgte mit seinem gelassen versenkten Strafstoß auch für das 3:0, es war die höchste Halbzeitführung der deutschen EM-Geschichte.
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Musiala und Wirtz sind nicht das erste deutsche Fußballduo, dem die Herzen zuflogen. Die Erinnerungen an die Weltmeister „Poldi und Schweini“ sind noch frisch, wenngleich deren Zusammenspiel nie so bedeutsam geriet wie das von Musiala und Wirtz am Freitag. Da wären zuvor Thomas Häßler und Pierre Littbarski zu nennen, die Deutschland gegen Wales erst zur WM 1990 führten, um anschließend erheblich zum Titelgewinn beizutragen. Allerdings waren beide beim Triumph schon deutlich älter – Häßler war 24, Littbarski 30 Jahre alt. Rekordverdächtig waren diese Zauberer nicht. Aber kaum weniger brillant.
Musiala führte und gewann die meisten Zweikämpfe auf dem Platz und verzeichnete eine Passquote von 100 Prozent – was allerdings dadurch begünstigt wurde, dass Musiala in der Regel dribbelt und schießt. Eine Passmaschine ist er nicht, für diese Rolle sind im deutschen Team andere vorgesehen. Überhaupt strahlten Wirtz und Musiala nicht nur aus eigener Kraft. Es gab ein Gegenduo zu ihnen, Toni Kroos und İlkay Gündoğan – der eine 34, Letzterer 33 Jahre alt.
Die Weltklasse-Regisseure lenkten am Freitag das deutsche Spiel zu Musiala und Wirtz. Von den beiden Plänen, die Offensivkünstler einzusetzen, hatte schon nach 20 Minuten jeder jeweils einmal funktioniert: Zunächst spielte Kroos eine Verlagerung auf den Flügel zu Joshua Kimmich, der präzise in die Mitte passte, wo Wirtz direkt abschloss und traf. „Ich habe meinen Finger gehoben und gezeigt, ich will den Ball dahin haben“, beschrieb Wirtz und deutete dabei auf seinen rechten Fuß: „Und der Ball kam wie auf dem Silbertablett von Jo.“ Zehn Minuten später zog Gündoğan ein Dribbling im Zentrum an und spielte grandios auf Havertz, der Musiala einsetzte. Pure Weltklasse, das alles.
Kroos brachte gegen Schottland 102 von 103 Pässen zum Mitspieler, und als er um die 50. Minute seinen einzigen Fehlpass spielte, hätte es niemanden gewundert, wenn die internationalen Medienagenturen Eilmeldungen verschickt hätten: „Toni Kroos hat einen Ball verloren“ – eine Sensation. Eine Quote von 99 Prozent schaffte seit Beginn der Datenerfassung bei einer EM noch kein Spieler mit mindestens 100 Passversuchen. Noch ein Rekord also, und Nagelsmann war begeistert vom sechsmaligen Champions-League-Sieger. „Er gliedert sich total in die Gruppe ein. Das ist bei seiner Vita total außergewöhnlich“, sagte der Bundestrainer, der mit 36 Jahren und 327 Tagen der jüngste Coach ist, der je ein Team bei einer EM betreut hat: „Toni ist unser Ruhepol.“
Kroos selbst war einmal mehr der Mann, der im Chaos für Ordnung sorgt und Momente schafft, in denen das Spiel zu fließen scheint. Nach 80 Minuten schritt er unter den Huldigungen des Stadions vom Platz, Kroos wollte anschließend noch nicht zu viel ableiten aus diesem Triumph. „Ob man nach einem Spiel schon im Flow ist, weiß ich nicht. Im nächsten Spiel erwartet uns eine Mannschaft, die mindestens eine Klasse besser ist als Schottland. Wenn wir es da bestätigen, können wir von Flow sprechen.“
İlkay Gündoğan agierte eine Reihe vor Kroos, der deutsche Kapitän bespielt die engeren Räume und hat Musiala und Wirtz links und rechts neben sich. Gündoğan hat oft enttäuscht in der Nationalelf, entsprechend zufrieden war Nagelsmann mit dem Auftritt seines Kapitäns. „Ich freue mich extrem über Ilkays Leistung“, sagte er, und auch Gündoğan wirkte glücklich, zu Musialas und Wirtz’ Leistungsschau beigetragen zu haben. „Ich bin froh, dass ich der Bessermacher sein durfte für die Nebenleute“, sagte der Mittelfeldspieler des FC Barcelona. Musiala, den die Uefa als Spieler des Spiels auszeichnete, ließ die Kollegen gern an seinem Ruhm teilhaben. „Wir haben alle dieselbe Fußball-Idee da vorne. İlkay kreiert etwas, mit Kai kannst du kombinieren. Ich denke, über die Spiele wird unsere Verbindung noch weiter wachsen“, drohte er.
16 deutsche Spieler, fünf Torschützen – beziehungsweise: sechs
16 Spieler setzte Nagelsmann in der ersten Partie ein, fünf Torschützen verzeichnet die deutsche Elf bereits. Eigentlich sogar sechs, schließlich traf Antonio Rüdiger noch ins eigene Netz, was für überraschend deutliche Selbstkritik der DFB-Abwehrspieler sorgte. „Es ist gut, dass sich die Mannschaft sehr über das Gegentor aufgeregt hat. Das ist bei 4:0 ein gutes Zeichen“, sagte Nagelsmann.
Und tatsächlich war sogar Rüdigers Treffer ein historischer: Der Verteidiger ist der erste Torschütze für Schottland bei einer EM, dessen Nachname nicht mit „Mc“ beginnt.