In der Hinrunde ist es mehrfach zu Ausschreitungen in Stadien gekommen. Gibt es einen Weg aus dem seit Jahren festgefahrenen Konflikt?
Gewalt zwischen Ultras und PolizeiAktiver Kölner Fan: „Übergriffige Einsätze hat jeder schon gesehen“
Der 11.11. hätte für die Kölnerinnen und Kölner ein Festtag werden sollen. In Köln wird der Sessionsbeginn gefeiert, in Bochum drei wichtige Punkte im Abstiegskampf geholt. Doch am Einlass des Ruhrstadions eskaliert die Kontrolle der Anhänger des 1. FC Köln. Es wird geschoben, gedrückt, es wird laut. Stark geschützt und mit Einsatz des Schlagstocks drängen Beamte FC-Fans zurück. Das Vorfreudeknistern in der Luft ist Pfefferspray gewichen. Der FC nimmt beim 1:1 nur einen Punkt mit, und vielen Fans bleibt vor allem der Polizeieinsatz in Erinnerung.
Die Bochumer Polizei erklärt, dass FC-Ultras versucht hätten, die Einlasskontrolle zu „überlaufen“ – ein geballter Druck durch die Einlasskontrolle, um auch Personen ohne Ticket ins Stadion zu kriegen. Es kommt zum Scharmützel, die Polizei führt später sechs Beamte als leicht verletzt. Auch die Kölner Anhänger sprachen später von Verletzten und kritisierten ihrerseits die Härte der Polizei. Statt eines Kölner Festtages bleibt eine weitere Episode der Auseinandersetzungen zwischen Fans und Polizei. Eine Episode einer Serie, die seit Jahren Fortsetzung um Fortsetzung findet und inhaltlich nicht vom Fleck kommt.
Fußball-Bundesliga 2023/24: Viele Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Fans in Stadien
Ob in Hamburg, Frankfurt oder Bochum: In der Hinrunde der Saison 2023/24 ist es wieder zu vielen auch gewaltsamen Aufeinandertreffen zwischen Fans und Polizei gekommen, hunderte Personen wurden verletzt. Fans, das sind in diesem Fall vor allem Ultras und teilweise auch Hooligans. Sie bezeichnen sich als aktive Fan-Szene, geben in der Kurve den Gesang an, malen aufwändige Choreografien und nutzen das Stadion als Bühne. Mit den geschaffenen Bildern werben TV-Sender gern, erst diese Stimmung macht für viele den Stadionbesuch zum Erlebnis.
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Doch die Ultras wollen den Ton bestimmen, präsentieren sich regelmäßig auch martialisch, kampfbereit. Und falls jemand über die Stränge schlägt, wird das „untereinander“ geregelt. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Schläger den Deckmantel Fußball nutzen – das sagen auch Ultras.
Soll man diese Fans dann einfach machen lassen? „Der Fußball ist kein rechtsfreier Raum“, hält die Polizei dem entgegen. Sie ist für die Sicherheit aller Zuschauerinnen und Zuschauer verantwortlich. Knapp 26,5 Millionen Mal besuchten Fans Fußballstadion in ganz Deutschland, gibt die Polizei im Jahresbericht für die Saison 2022/23 an – der ersten Spielzeit seit dem Ende der Corona-Beschränkungen. Für die Polizei bedeutete das 2,41 Millionen Arbeitsstunden rund um den Fußball. Es ist ein gewaltiges Feld, Wochenende für Wochenende, und ein Konflikt zwischen Ultras und Polizei, der komplex und festgefahren ist.
Kölner Fan-Hilfe wehrt sich gegen den Stempel „Problemfans“
Paul kennt das alles gut. Der Ehrenfelder engagiert sich in der Kölner Fan-Hilfe, die Fans bei Problemen zur Seite stehen will, und ist auch bei einer Kölner Ultra-Gruppe aktiv. Paul erlebte beim FC-Spiel in Bochum, wie die Polizei Pfefferspray und Schlagstöcke einsetze – „mal wieder“, sagt er.
Dass es auch im Fan-Lager Gewalttäter gibt, daraus macht Paul keinen Hehl: „Natürlich sind das nicht alles nur Lämmchen“, sagt er im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Aber er kritisiert die Härte, mit der die Polizei vorgeht. Die Einsätze seien nicht verhältnismäßig. Paul verweist auf den Polizeibericht selbst: Bei mehr als 26 Millionen Fan-Besuchen in Stadien deutschlandweit zählt die Polizei 13.608 mutmaßliche Gewalttäter unter den Anhängern. Davon würden rund 3000 Fans aktiv Gewalt suchen – die Polizei nennt das Fans der Kategorie C. Die übrigen rund 10.500 Personen wären „gewaltgeneigt“, also eher Mitläufer und damit eher Ultras als Hooligans. Die Polizei Köln ordnet derzeit rund 450 Anhänger des 1. FC Köln in die Kategorien B und C ein.
„Der Stadionbesuch ist immer noch eins der sichersten Großereignisse“, bewertet Paul die Situation. Dabei stört ihn oft schon der Stempel, von „Problemfans“ schrieb auch die Bochumer Polizei zum Einsatz am November. So habe sich ein Bild in der Gesellschaft gefestigt. Er sieht das Problem bei der Polizei, die „mit Dynamik in Einsätze reingeht“. Pfefferspray und Schlagstöcke, fehlende Kennzeichnung der Beamten, wenig rechtliche Chancen im Fall von Polizeigewalt – Paul nennt das eine „Ohnmacht“.
Er sieht sich als Teil einer Gruppe, die „betroffen“ ist von Polizeieinsätzen. Paul meint damit längst nicht nur Ultras, sondern alle Fans, die regelmäßig ins Stadion gehen: „Übergriffige Polizeieinsätze hat jeder und jede schon mal mitbekommen“, sagt er. Auch deswegen würde es immer wieder Potenzial für neue Konflikte geben. Dem entgegenwirken wollen er und die Kölner Fan-Hilfe etwa mit Sozialarbeit, Awareness, einer faktenbasierten Auseinandersetzung mit dem Thema, transparenten Gesetzen und vor allem Deeskalation. Konkret fordert die Fan-Hilfe etwa ein Verbot von Pfefferspray, unabhängige Beschwerdestellen und eine Kennzeichnungspflicht für Polizistinnen und Polizisten. Außerdem fordert die Kölner Fan-Hilfe die Polizei auf, das Neutralitätsgebot zu wahren – sie kritisiert, dass Fans über einen Kamm geschoren werden.
Bochumer Polizei verteidigt Einsatz beim FC-Spiel am 11.11.
Das Pfefferspray nicht zu nutzen, sei nach Angaben der Bochumer Polizei am 11.11. nicht möglich gewesen: „Unser Handeln war alternativlos. Die Gefahr für den Ordnungsdienst war immens, so dass wir konsequent eingreifen mussten“, sagt der Bochumer Polizeisprecher Frank Lemanis dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Auch in Bochum wird der Polizeieinsatz noch ausgewertet.
Lemanis macht aber deutlich: „So ein Fußball-Einsatz ist eine belastende Situation für Einsatzkräfte, jedes Mal aufs Neue, und jeder Beamte hofft auf einen ruhigen Spielverlauf.“ Es herrsche stete Anspannung, man wisse um die Brisanz bei Begegnungen mit der aktiven Fan-Szene. „Das kann ganz schnell gehen, und die Situation entzündet sich“, sagt er.
Noch Anfang Dezember hatte die Gewerkschaft der Polizei „Härte gegen gewalttätige Fußfallfans“ gefordert. „Ich erwarte, dass die Innenministerinnen und Innenminister einen Weg zur Reduzierung der Einsatzstärken und somit die Reduzierung von Belastung für uns Polizisten schaffen“, sagte Jochen Kopelke, Vorsitzender der Gewerkschaft.
Gewalt im Stadion: Fan-Forscher fordert verbale Abrüstung von Polizei und aktiver Fan-Szene
Dabei wären Abrüstung und Deeskalation von beiden Seiten genau die richtige Strategie, erklärte Fan-Froscher Harald Lange im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ Mitte Dezember: „Da gießen beide Seiten immer mehr Öl ins Feuer. Keiner ist offenbar bereit, den Anfang zu machen und auch verbal abzurüsten.“ Lange sieht Handlungsbedarf sowohl bei der Polizei als bei den Ultras. Zur Fan-Szene sagt er, dass „Gewalt in der Kurve zum einen erst einmal gesehen und zum anderen dann bekämpft und sanktioniert wird“.
Doch Langes Bewertung ist auch ernüchternd: „Leider gehen aus taktischen Gründen weder Polizei noch Ultras aufeinander zu. Keiner will einen vermeintlichen Macht- und Gesichtsverlust erleiden.“
Beim Thema Gewalt gibt es keinen Verhandlungsspielraum. Die Polizei hat das Gewaltmonopol in Deutschland und es gibt kein „Recht auf Gewalt“. Schon lange gibt es deswegen Forderungen an Ultras, auf Gewalt zu verzichten oder sich zumindest klarer von einzelnen Schlägern zu distanzieren.
Und hier liegt wohl die Krux: Die Lage zwischen Fans und Polizei und Ultras hat sich über Jahre so verspannt, dass Entspannung kaum mehr möglich scheint. Die einzige Möglichkeit scheint die von Fan-Forscher Lange vorgeschlagene verbale Abrüstung und die Rückkehr an den Verhandlungstisch.