AboAbonnieren

DFB-Elf nach dem 0:6Löw hat das Vertrauen der Bosse – und begibt sich in Klausur

Lesezeit 5 Minuten
jloew

Joachim Löw ist seit 2006 für die Nationalmannschaft verantwortlich.

  1. Das 0:6 gegen Spanien ist zwar die höchste Niederlage einer DFB-Elf seit 89 Jahren, aber bei weitem nicht der erste Tiefpunkt unter Joachim Löw.
  2. Die Reformen des Bundestrainers bringen derzeit keinen Ertrag, der Ruf nach den Weltmeistern von 2014 wird wieder laut.
  3. Allerdings könnte wohl nur Löws Nachfolger die Entscheidungen des Bundestrainers revidieren, doch vorerst spricht die DFB-Spitze dem 60-Jährigen das Vertrauen aus.

Köln – Es kam am Dienstagabend im emotionalen Chaos des 0:6 gegen Spanien etwas überraschend, dass die Partie in Sevilla bereits das Ende der Nationalmannschafts-Saison 2020 bedeutete. Doch tatsächlich: Acht Spiele hat die DFB-Elf in diesem Kalenderjahr absolviert, die einzige Niederlage gab es zum Abschluss, und die hatte es in sich: Das Debakel von Sevilla war die höchste Pleite einer deutschen Auswahl seit dem 0:6 gegen Österreich vor 89 Jahren. Das hatte eine historische Dimension, und obgleich in diesem wegen der Corona-Pandemie verwirbelten Fußballjahr immer wieder kuriose Spielverläufe und seltsame Resultate vorkommen, war das 0:6 eine Pleite, die in ihrem rein sportlichen Zustandekommen eine erschütternde Klarheit hatte. Spanien hatte Deutschland schlicht deklassiert.

Krisentreffen am Flughafen

Weil ohnehin alle im selben Flugzeug saßen, kam es am Münchner Flughafen am Mittwochmorgen gleich zu einem hochkarätig besetzten Krisengespräch mit Löw, Verbandsdirektor Oliver Bierhoff und DFB-Präsident Fritz Keller, in dem man einmal mehr einander und vor allem Löw das Vertrauen aussprach: Der Bundestrainer darf weitermachen. „In den nächsten Tagen“ wolle man das Spiel im Trainerstab aufarbeiten, hatte Löw noch in Sevilla mitgeteilt. Dann ist es auch vorerst vorbei mit der Nationalelf – erst in vier Monaten wird man wieder zusammenkommen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Der Bundestrainer wird nun wieder von der Bildfläche verschwinden und ab und an auf den Tribünen der Bundesliga zu sehen sein, angesichts der Entwicklung der Corona-Pandemie wahrscheinlich nicht häufiger als sonst und vor allem an seinem Wohnort Freiburg. Als Denkarbeit hat er sich aufgegeben, ein paar Fragen zu beantworten. „Was sind jetzt die richtigen Schlüsse? Was ist der richtige Weg?“, fragte Löw in den andalusischen Abend und fügte an: „Wir haben gedacht, dass wir einen Schritt weiter sind.“ Viel Zeit für tiefere Erkenntnisse bleibt ihm nicht: Im kommenden Juni steht die Europameisterschaft an. Da droht das nächste Debakel nach der WM 2018, dem Versagen in der Nations League 2019 mit dem 0:3 gegen die Niederlande als Tiefpunkt und dem aktuellen Spanien-Desaster.

Routine im Umgang mit Rückschlägen

Der mittlerweile 60-Jährige hat eine gewisse Routine darin entwickelt, sich zur Aufarbeitung von Rückschlägen mit sich selbst in Klausur zu begeben. Der Ertrag ist überschaubar: Erst Monate nach der WM 2018 kehrte Löw mit einer Analyse zurück, die in ihrer Oberflächlichkeit erschreckte. Fast alles, was er an diesem Tag in der mit 110 Minuten längsten Pressekonferenz der DFB-Geschichte sagte, hatte schon am Tag nach dem WM-Aus in der Zeitung gestanden. Was blieb, war Löws Plan der personellen Erneuerung.

Debatten ums Personal

In der folgenden Saison der Nations League wäre Deutschland nach zwei Unentschieden und zwei Niederlagen gegen Frankreich und die Niederlande abgestiegen, profitierte jedoch davon, dass die Uefa die Liga aufstockte. Löw setzte damals weitere Mitglieder seines Weltmeisterteams von 2014 zur Ruhe, darunter Mats Hummels, damals 30 Jahre alt, der bereits in Russland mit harter Kritik am eigenen Team aufgefallen war. Es ist bemerkenswert, wie etwa Bastian Schweinsteiger Hummels am Dienstagabend bei seiner Betrachtung der Personallage überging, während er die ebenfalls dauerhaft ausgeladenen Weltmeister Jérôme Boateng (32) und Thomas Müller (31) lobte.

mueller

Thomas Müller im Dress der Nationalelf, der Münchner wird derzeit nicht mehr zu DFB-Maßnahmen eingeladen.

Es ist die Aufgabe eines Bundestrainers, in Zyklen zu arbeiten und seine Mannschaft über Jahre zu entwickeln, damit sie bei großen Turnieren erfolgreich ist, und abgesehen von der WM 2018 hat er sagenhaft viel erreicht. Offenbar war er vor anderthalb Jahren zur Ansicht gelangt, dass Figuren wie Mats Hummels in ihrer Dominanz und intellektuellen Wucht den Nachwuchs in der Entwicklung bremsen könnten, und es war bemerkenswert, wie dessen Mit-Weltmeister Schweinsteiger nicht bereit war, dem öffentlich zu widersprechen. Auch bei Müller und Boateng stellte er einzig den sportlichen Wert heraus – wissend, dass der FC Bayern derzeit zögert, Boatengs Vertrag über die laufende Saison hinaus zu verlängern. Boateng liefert zwar immer wieder starke Partien, hat aber mit Verletzungen zu kämpfen. Einen Spieler, der nach einem Sprint schonmal drei Wochen wegen muskulärer Beschwerden kürzertreten muss, ist im engen Takt eines Turniers keine Hilfe. Und so beliebt Thomas Müller ist, so gut er beim FC Bayern immer noch funktioniert: Die Zukunft des deutschen Offensivspiels legt Löw lieber in andere Hände; selten hatte ein Bundestrainer Spieler wie Werner, Gnabry, Sané und Havertz zur Verfügung.

Kein Nachfolger in Sicht

Löws personeller Umbruch folgte nachvollziehbaren Gedanken, selbst wenn offen bleibt, ob er im Ergebnis das Richtige getan hat. Klar scheint, dass der Bundestrainer es sich mit Blick auf seine Autorität gar nicht leisten kann, seine Veteranen zurückzuholen. Das könnte nur ein Nachfolger, doch da ist derzeit allenfalls Stefan Kuntz in Sicht, der die U21 betreut. Für Vereinstrainer wie Jürgen Klopp, Thomas Tuchel oder gar Julian Nagelsmann wäre die Aufgabe beim DFB mit all ihren Pausen noch kein taugliches Betätigungsfeld – zumal dem klammen Verband das Geld fehlte, derartige Kaliber zu überzeugen. Und Hansi Flick ist mit dem FC Bayern noch lange nicht fertig.

Erschwerte Reform

Löws Reform ist dadurch erschwert, dass momentan gerade in der Defensive kein großes Angebot herrscht. Niklas Süle soll als Abwehrchef aufgebaut werden, doch ist das derzeit vor allem eine Hoffnung, nach zwei Kreuzbandrissen hat der 25-Jährige regelmäßig mit körperlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Ein Weltklassemann ist er derzeit nicht, und obgleich Löw allein in diesem Herbst die Außenverteidiger Gosens, Max und Baku debütieren ließ, ist er auf der Suche nach seiner Abwehr für die EM kaum weitergekommen. Während personell wenig entsteht, gewinnt die Mannschaft weder taktisch noch emotional an Profil. Eine Entwicklung war zuletzt nicht zu sehen, doch ist man beim DFB offenbar bereit, auch ohne Anlass zu hoffen. „Das Vertrauen ist nicht völlig erschüttert“, sagte Löw: „Diese junge Mannschaft hat auch die Fähigkeit, sich so zu entwickeln, dass wir eine leistungsstarke, konkurrenzfähige Mannschaft haben. Davon bin ich absolut überzeugt.“