Im Interview spricht der Uni-Professor über fehlende Glaubwürdigkeit im deutschen Fußball, lernfreudige Vereine und den Fall Nmecha.
Fanforscher blickt pessimistisch auf Heim-EM 2024„Der DFB tritt abgehoben gegenüber Fans auf“
Herr Lange, wie steht es aktuell um die Fankultur im deutschen Fußball?
Harald Lange In der Bundesliga ist die Fan-Identifikation vergleichsweise ausgeprägt. Mit Blick auf die Nationalmannschaft und den DFB haben wir es mit einer sehr nachlassenden Identifikation zu tun. Es gibt also die Fans, die sich binden können, aber dem DFB gelingt es nicht, dieses Bindungspotenzial für sich zu erschließen.
Inwiefern ist das eine Fortsetzung Ihrer bisherigen Studienergebnisse?
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Es ist ein roter Faden erkennbar, dass insbesondere der DFB in seiner Spitze ein Werteproblem hat. Bei Werten, die im Sport gerne hochgehalten werden, Glaubwürdigkeit, Transparenz, machen Fans und Mitglieder Abstriche, wenn sie auf die DFB-Spitze in Frankfurt schauen. Das scheint ein ganz, ganz großes Problem zu sein. Spätestens nach der WM 2018 hätte man Reformen erwartet, dass Dinge infrage gestellt werden, dass man auch mal ehrlich Bilanz zieht. Stattdessen vertröstet der Verband die Fans immer nach negativen Ereignissen. Der DFB weiß nicht mehr angemessen zu reagieren.
Sehen Sie eine Chance, dass der DFB es schafft, dieses Momentum bis zur Heim-EM zu drehen?
Wir können einen systemischen Fehler beim DFB erkennen, der viel zu abgehoben gegenüber Fans auftritt. Diese Arroganz taucht bei Themen wie Nachwuchsförderung von Spielern und Trainern auf, wo die Basis mit dem Vorgehen an der Spitze unzufrieden ist. Das ganze System DFB ist für Personen, die von der Basis kommen und in Führungsverantwortung gehen wollen, undurchlässig.
Zur Person: Harald Lange (geb. 14. Juli 1968) ist Leiter des Instituts für Sportwissenschaft an der Julius-Maximilian-Universität Würzburg. 2012 gründete das deutschlandweit erste Institut für Fankultur mit. Seine Studie zur Basis des deutschen Fußballs (2022) attestierte dem DFB ein ramponiertes Image. Der damalige DFB-Präsident kritisierte sie als „tendenziös.“
Nehmen Sie ein sinkendes Interesse am deutschen Fußball allgemein wahr?
In der Corona-Pandemie hatten wir eine Phase der Abwendung vom Profifußball, als der eine Sonderrolle in der Gesellschaft forderte und die auch bekam. Da musste der Fußball quasi einmal blank ziehen und sein „wahres Gesicht“ zeigen. Das hat zu einem massiven Vertrauenseinbruch bei den Fans geführt. Viele Vereine haben seitdem aber daraus gelernt haben und gehen vermehrt auf die Interessen der Fans ein.
An welche Vereine denken sie da?
Das haben wir jetzt natürlich im Detail nicht so untersucht. Aber da kann man fast jeden Verein nehmen, bei dem Fans ihren Einfluss geltend machen – vielleicht Leipzig, Hoffenheim, Wolfsburg und Leverkusen ausgenommen.
Etwa wie der FC Bayern, der den Sponsoring-Deal mit Qatar Airways nach heftiger Kritik ausgesetzt hat?
Ja, da hat die aktive Fanszene die Vereinsführung in den vergangenen Monaten regelrecht vor sich hergetrieben. Ich gehe davon aus, dass sie jetzt erkannt haben, dass es ohne die Fans in solchen wichtigen Fragen nicht mehr geht.
Was denken Sie über den Transfer von Felix Nmecha zum BVB?
Mit der Verpflichtung eines solchen Spielers stellt man den Grundwertekodex, den man sich vor ungefähr einem halben Jahr mit der Zustimmung von fast 168.000 Mitgliedern gegeben hat, wieder ins Abseits. Präsident Reinhold Lunow und Hans-Joachim Watzke sagen, sie hätten mit dem Spieler gesprochen und vertrauen ihm. Dann kommt heraus, dass man eine Klausel in den Vertrag eingebaut hat, falls er mit seinen Social-Media-Posts die Grundwerte des Vereins verletzt. Ja, vertrauen sie ihm jetzt oder nicht? Grundsätzlich muss man sich beim BVB nun die Frage stellen, welchen Wert der Wertekodex hat oder, ob das nur noch Folklore ist. An sich ist so ein Kodex eine richtig gute Sache und stärkt die Fanbindung zum Verein. Aber der Haken für das Management ist: Sie müssen sich auch daran halten. Ansonsten ist das nur ein PR-Gag.
Wie haben Fans auf die DFL-Entscheidung gegen einen Investoreneinstieg reagiert?
Da war durchweg Freude zu spüren. Die Fans haben das ganz klar als ihren Erfolg verbucht. Klub-Manager wie Watzke, die hinterher von Spaltung gesprochen haben, stehen jetzt natürlich ziemlich blöd da. Wie kann man plötzlich das Solidaritätsprinzip infrage stellen? Damit macht man den Fußball zu einer Zirkusnummer. Ich würde das sofort als Systemfehler brandmarken. Damit disqualifiziert man sich.
Wie viel Einfluss haben Fans derzeit auf den deutschen Fußball?
Immer mehr. Dass zum Beispiel bei Hertha BSC ein ehemaliger Ultra inzwischen Präsident ist, zeigt, dass die Fans ihre Leute auch bis in die höchsten Ämter bringen können. Viele andere Vereine öffnen sich mehr, sodass Fans in die Aufsichtsräte oder in führende Positionen des Vereins kommen.
Welche Entwicklungen erwarten Sie in der deutschen Fankultur?
Beim DFB bin ich sehr pessimistisch. Anstatt sich in erster Linie an den Event-Fans zu orientieren, wäre mein Rat, dass man auch die gebundenen, eingefleischten Fans gewinnt. Die hat man seit dem WM-Titel 2014 sträflich vernachlässigt – wohingegen sich Vereine, die ihre Fans mit ins Boot holen, deutschlandweit stärker etablieren, mehr Zulauf kriegen. Auf der anderen Seite: Wenn sich Bayern und Dortmund jetzt nur ein, zwei Fehler erlauben, dann werden sie ein angeknackstes Image haben, so meine Prognose.