DFB-Machtkampf ist nicht beendetRainer Koch hat noch immer die Fäden in der Hand
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Frankfurt – Noch am Dienstagmorgen hatte die Direktorin für Öffentlichkeit und Fans beim krisengeschüttelten Deutschen Fußball-Bund (DFB) einen verhalten optimistischen Ausblick gewagt. Blazer und Bluse strahlten in sommerlichen Farben, als Mirjam Berle mehr als 130 zugeschaltete Journalisten auf digitalem Wege begrüßte. Die Kommunikationschefin sprach über die Europameisterschaft, die Medienabläufe rund um die Nationalmannschaft, eigentlich das Aushängeschild eines Verbandes, der es mittlerweile schafft, selbst ausgesandte frohe Botschaften noch am selben Tag zu überholen. Dass DFB-Direktor Oliver Bierhoff indirekt die bevorstehende Verpflichtung des beim FC Bayern sehr erfolgreichen Hansi Flick als künftigen Bundestrainers andeutete, rückte eingedenk der am Abend ausgesandten Pressemitteilung zur Führungskrise völlig in den Hintergrund.
Das Ergebnis einer außerordentlichen Sitzung des Präsidiums ist historisch: Präsident Fritz Keller, 64, wird nach seiner Verhandlung vor dem DFB-Sportgericht wegen seiner Nazi-Entgleisung am kommenden Montag sein Amt zur Verfügung stellen; Intimfeind Generalsekretär Friedrich Curtius, 44, seinen Arbeitsvertrag mutmaßlich gegen eine hohe Abfindung auflösen und Schatzmeister Stephan Osnabrügge, 50, beim nächsten Bundestag nicht mehr kandidieren. Die Demission der zerstrittenen Herrschaften ist nach einem schmutzigen Machtkampf unvermeidlich. Innenminister Horst Seehofer sprach von einem „jämmerlichen Schauspiel“, die Basis in 24.500 Vereinen schämte sich bereits, diesem Verband indirekt zu dienen.
Und doch ist das Ringen längst nicht beendet, sondern geht gleich in die nächste Runde: Denn für viele ist völlig unverständlich, wie der größte Einzelsportverband der Welt die nächste Übergangszeit zu gestalten gedenkt: Mit den Vizepräsidenten Rainer Koch, 62, und Peter Peters, 58, die angeblich den taumelnden Verband „in ruhiges Fahrwasser“ führen sollen. Diese Doppelspitze dürfte noch für Wellen der Empörung sorgen. Wird da jeweils der Bock zum Gärtner gemacht? Peters kommt über die Schiene als Aufsichtsratschef der Deutschen Fußball-Liga, hat aber als langjähriger Finanzvorstand des FC Schalke 04 den Niedergang mitzuverantworten und darf nicht mal für den Aufsichtsrat der Königsblauen kandidieren. Dass er die deutschen Belange im Weltverband Fifa vertritt, empfinden viele schon als fragwürdig.
„Beben mit Mogelpackung“
Noch befremdlicher mutet an, dass Koch ein drittes Mal nach 2015/2016 und 2019 – jeweils im Duett mit dem für seine Loyalität geschätzten Liga-Präsidenten Reinhard Rauball – weiterhin Weichen stellen darf. Die Ungereimtheiten rund um die vertraglich fixierten Abmachungen mit dem Medienberater Kurt Diekmann, sogar von hauseigenen Prüfern harsch gerügt, genügen eigentlich, dass auch der Multifunktionär erst einmal Abstand nimmt. Das Gegenteil passiert. Nun kochen zusätzliche Irritationen um eine Strafanzeige um den angeblich gehackten Computer des Medienberaters hoch. Davon berichtet die „Süddeutsche Zeitung“, die wegen Kochs künftiger Rolle von einem „Beben mit Mogelpackung“ spricht.
Beim nächsten Bundestag Anfang 2022 will der sozialdemokratische Strippenzieher nicht mehr als 1. Vizepräsident Amateure kandidieren; nicht die Rede ist davon, dass seine beiden Posten als Vorsitzender des Bayerischen und Süddeutschen Fußball-Verbandes abgibt. Zugleich ist er für vier Jahre ins Uefa-Exekutivkomitee gewählt, daraus ergibt sich weiterhin eine enorme Machtfülle. Koch hat den Sturz der Präsidenten Theo Zwanziger, Wolfgang Niersbach und Reinhard Grindel überlebt - und wurde jedes Mal ein Stück mächtiger. Der DFL ist der schwer zu greifende DFB-Mann ein Dorn im Auge, zumal er keine Gelegenheit auslässt, die Gräben zwischen Profis und Amateuren zu vertiefen. Die Liga wird nicht eher Ruhe geben, bis Kochs Kompetenzen beschnitten sind.
Dringend sollten beim DFB die vor allem von der Nationalmannschaft erwirtschafteten Pfründe in eine eigene GmbH überführt werden, der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb von einem Vorstand mitsamt Aufsichtsrat geleitet und kontrolliert werden. Dazu braucht es als obersten Repräsentanten, der nicht aufbrausend und cholerisch, sondern besonnen und weitsichtig führt. Positiv wird allenthalben bewertet, dass die stellvertretende Generalsekretärin Heike Ullrich, 51, vorübergehend die Geschäftsbereiche von Curtius übernimmt. Die Integrität der diplomierten Sportökonomin ist verbürgt. Was zur Kardinalfrage führt: Warum haben nicht mehr Frauen nach Vorbild der gebürtigen Hildesheimerin im Verband Karriere gemacht? Der Frauenanteil im Hauptamt liegt im DFB zwar derzeit bei 30 Prozent (in Führungspositionen bei 26 Prozent), aber im Präsidium, wo bislang ja alle wichtigen Entscheidungen fallen, ist die 2007 gewählte Hannelore Ratzeburg, 69, Vizepräsidentin für Gleichstellung, Frauen- und Mädchenfußball, immer noch eine Einzelkämpferin. Alle 21 Landesverbände, fünf Regionalverbände und auch die DFL werden von Männern gelenkt, die sich gerade beim Fußball noch ausgesprochen machtbewusst gebärden – und bei Streitigkeiten die Ellbogen ausfahren, um ihr Terrain abzusichern.
DFB muss transparenter, diverser und weiblicher werden
Wenn es eine Erkenntnis gibt, dann die: Der DFB muss transparenter und ausgleichender, diverser und weiblicher werden. Dass eine sechsköpfige Findungskommission aus DFB und DFL im Verborgenen einen neuen Präsidenten sucht, geht nicht mehr. Es braucht im doppelten Sinne vielfältige Optionen, ruhig mit öffentlicher Debatte. Unter den Bewerbern sollte mindestens eine Kandidatin sein. Offenbar werden einflussreiche Frauen rund um den Fußball genau das demnächst vortragen. Es könnte übrigens auch die Arbeit von Mirjam Berle, 46, erleichtern, die vor sieben Monaten vom amerikanischen Reifenhersteller Goodyear kam und bei Amtsantritt im größten deutschen Sportverband nicht im entferntesten ahnen konnte, auf was sie sich einlassen würde. Das bisherige Chaos irgendwie angemessen zu kommunizieren, war ein Ding der Unmöglichkeit.