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Kommentar

Kommentar zur Relegation
Englands Modell ist ein perfektes Vorbild

Ein Kommentar von
Lesezeit 2 Minuten
Die Spieler von Luton Town feiern ihren Aufstieg in die Premier League bei einer Parade im offenen Bus in Luton.

Die Spieler von Luton Town feiern ihren Aufstieg in die Premier League bei einer Parade im offenen Bus in Luton.

In Deutschland ist der höherklassige Verein immer wieder im Vorteil in den Auf- und Abstiegsplayoffs. In England ist das ganz anders. Und besser.

Es werden wieder reichlich Tränen fließen am Montag und Dienstag – aus komplett unterschiedlichen Gründen. Die Relegationsspiele zwischen Dritter Liga und Zweiter Bundesliga sowie Zweiter Bundesliga und Bundesliga sind eine emotionale Zuspitzung des Profifußballs – teils schwer zu ertragen, wie Beteiligte immer wieder zu Protokoll geben.

Dennoch geben sie den Fans genau diesen Kitzel, weshalb sie Fußball schauen. Was aber wichtig ist: Es sind Endspiele, die nicht wie bei Pokal-Wettbewerben über Titel entscheiden, sondern über nicht weniger als die Zukunft eines gesamten Vereins – zumindest für eine Saison, womöglich auch für einen längeren Zeitraum.

Immer wieder gibt es deshalb Kritik an den Relegationsspielen. Einige fordern Reformen, andere die Abschaffung, da es nicht gerecht sei, den Ausgang einer 34 Spiele andauernden Saison in nur zusätzlichen 180 Minuten auszuspielen. Besonders die Zweitligisten sehen sich in den Begegnungen mit den Bundesligisten im Nachteil, was auch statistisch zu belegen ist: In 14 Relegationsduellen seit 2009 setzte sich nur drei Mal der klassentiefere Klub durch.

HSV-Sportvorstand Jonas Boldt sagte nun: „Von der Statistik her hat der Erstligist natürlich sehr, sehr viele Vorteile. Es wäre vielleicht auch mal eine Idee, das zu überdenken und die drei Plätze komplett anders auszuloten, denn es kann ja nicht im Sinne sein, dass es dann immer der Erstligist ist.“ Korrekt.

Klassenerhalt, Meistermacher und ein Fifa-Urteil

Chronik einer wilden Saison 2022/2023 des 1. FC Köln

Kölns Trainer Steffen Baumgart bedankt sich nach der Partie bei den Fans.

Der 1. FC Köln hat sich in den Urlaub verabschiedet. Nach einer Saison mit 43 Pflichtspielen hat Steffen Baumgarts Mannschaft erneut den Verbleib in der Bundesliga geschafft. Trotz der vergleichsweise frühen Rettung nach dem 31. Spieltag war es eine Saison voller Dramen. Eine Chronik.

Steffen Tigges

24. Juni: Nach Leistungstests beginnt die Vorbereitung. Der Kader ist fast vollständig: Linton Maina, Kristian Pedersen, Denis Huseinbasic, Sargis Adamyan und Steffen Tigges sind verpflichtet, außerdem wurde die Kaufoption bei Luca Kilian gezogen. Auch Steffen Baumgart hat um ein Jahr verlängert – im Laufe der Saison wird der FC zudem bekanntgeben, dass der Coach bis 2025 in Köln bleiben wird. Eric Martel folgt vor der Abreise ins Trainingslager. Kurz vor Ende der Transferperiode kommt noch Nikola Soldo als Reaktion auf die Verletzungen in der Abwehr.

Ondrej Duda

22. Juli: Generalprobe – der 1. FC Köln überzeugt beim 5:0 im Troisdorfer Aggerstadion gegen Nimwegen. Er sei „mehr als zufrieden“, sagt Baumgart eine Woche vor dem Pflichtspiel-Auftakt im Pokal bei Jahn Regensburg.

Jan Thielmann tröstet Kingsley Ehizibue.

30. Juli: Der 1. FC Köln scheitert in der ersten Pokalrunde. Das ist tragisch, denn Baumgart hatte den Pokalsieg als eines seiner Saisonziele ausgegeben. Regensburg steht in diesen Tagen bereits im Wettbewerb und ist nach zwei Siegen Tabellenführer der Zweiten Liga. Nach frühem 0:2-Rückstand gleich der FC zwar aus, verliert allerdings im Elfmeterschießen, weil die Verteidiger Jeff Chabot und Kingsley Ehizibue vom Punkt vergeben, während Führungsspieler verzichten.

Jan Thielmann

7. August: Der Bundesliga-Start glückt. Köln ist Schalke beim 3:1 klar überlegen, wenngleich die Gäste mit den Schiedsrichterentscheidungen hadern. Anthony Modeste steht da schon nicht mehr im Kader: Der Franzose wechselt nach Dortmund, um in der Champions League zu spielen und Meister zu werden. Es folgt ein vorbildlich erarbeitetes 2:2 in Leipzig, dann steht die Rückkehr nach Europa an: Donnerstagabend, ausverkauftes Haus gegen den FC Fehervar aus Ungarn. Köln führt früh durch Florian Dietz, doch dann zieht Chabot eine unnötige Notbremse. In Unterzahl versucht Köln es mit Umstellungen statt mit Wechseln und verliert die Ordnung. Noch vor der Pause geht Fehervar in Führung, die Partie endet 1:2. Das Rückspiel eine Woche später gewinnt Köln in einem ungarischen Sommernachtstraum 3:0, die Gruppenphase ist erreicht. Die Auslosung tags darauf ergibt: Nizza, Partizan Belgrad und Slovacko aus Tschechien.

Sicherheitskräfte gehen gegen Fans auf Tribüne vor.

8. September: Tausende Fans begleiten den 1. FC Köln nach Nizza. Der Spätsommertag an der Cote d’Azur wird in die Vereinsgeschichte eingehen. Dem fröhlichen Chaos des Tages folgen am und im Stadion schwere Ausschreitungen. Der gesperrte Baumgart erlebt auf der Tribüne, wie sich Kölner und Nizzaer Anhänger prügeln. Die Polizei setzt Tränengas ein, es ist ein Desaster. Die Mannschaften bekommen abgesehen von mehreren Verschiebungen des Anstoßes kaum etwas vom Wahnsinn mit. Nach überragender erster Hälfte führt er FC 1:0 durch Tigges, Delort gleicht noch aus. Später verhängt die Uefa eine Auswärtssperre gegen die FC-Fans.

Sargis Adamyan jubelt

11. September: Erst am sechsten Spieltag kassiert Köln beim 0:1 daheim gegen Union Berlin die erste Bundesliga-Niederlage. Es folgt ein wildes, aber unterhaltsames 4:2 gegen Slovacko. Im Heimspiel gegen Dortmund gelingt nach 0:1-Pausenrückstand ein 3:2-Sieg. Dann folgt der Oktober mit der Pleite gegen Partizan, die im Ergebnis zum Aus in der Gruppenphase führen. Beim 2:5 in Mönchengladbach verliert Köln Dejan Ljubicic nach Bensebainis brutalem Foul. Mit einem grandios erkämpften 3:2 über Augsburg stabilisiert Köln die Position in der Liga.

Philipp Türoff

21. September: Auf der Mitgliederversammlung präsentiert Geschäftsführer Philipp Türoff tiefrote Zahlen. Immerhin wird der Vorstand mit mehr als 90 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Der FC ist arm – aber stabil.

Ondrej Duda und Denis Huseinbasic

28. Oktober: Köln setzt die am Vortag wegen Nebels unterbrochene Partie beim 1. FC Slovacko am Freitagmittag fort, mit dem 1:0-Sieg erhält sich Baumgarts Mannschaft die Chance aufs Weiterkommen. Weil es nicht gelingt, das folgende Bundesligaspiel gegen Hoffenheim zu verlegen, tritt Köln bereits am Sonntagnachmittag erneut an – und liefert beim 1:1 vor allem läuferisch eine weitere herausragende Leistung. Tragisch allerdings: Stürmer Florian Dietz erleidet einen Kreuzbandriss.

Kölns Torschütze Ondrej Duda jubelt nach seinem Ausgleichstreffer zum 2:2.

3. November: Nach 60 Minuten hat Köln einen 0:2-Rückstand gegen Nizza ausgeglichen, ein Tor fehlt in diesen Momenten zur K.o.-Phase. Doch die Franzosen bringen das Remis ins Ziel gegen eine Kölner Mannschaft, die das Stadion begeistert. Die Kölner Europareise endet nach der Gruppenphase.

Joshua Schwirten vom 1. FC Köln gegen Stuttgart in Austin

16. November: Der FC ist an die Reserven gegangen. Nach drei Niederlagen zum Abschluss des Jahres verbringt der 1. FC Köln vom 16. November an ein paar Tage im verregneten und erstaunlich kalten Texas. Beim trostlosen Testspiel in Austin gegen den VfB Stuttgart liegt die Kölner Rumpftruppe zur Halbzeit 0:4 zurück. Die Partie endet 2:4. Der 1. FC Köln ist extrem urlaubsreif.

Davie Selke gibt Autogramme

2. Januar: Der 1. FC Köln ist aus der Pause zurück und hat sich mit Davie Selke verstärkt, der aus Berlin ans Geißbockheim wechselt. Mark Uth wird nach anhaltenden Problemen in der gesamten Saison nicht mehr zum Einsatz kommen, auch Florian Dietz steht nach seinem Kreuzbandriss noch nicht wieder zur Verfügung. Sebastian Andersson fällt ebenfalls weiter aus. Da liegt es nahe, einen Angreifer zu verpflichten. Selke hat zwar keine überragenden Torquoten vorzuweisen, aber viel Erfahrung als Bundesliga-Mittelstürmer. Und ein bemerkenswertes Selbstbewusstsein.

Steffen Tigges jubelt nach seinem Tor zum 3:0 zusammen mit Julian Chabot und Kollegen

21. Januar: In einer denkwürdigen Partie meldet sich der 1. FC Köln im neuen Jahr an und besiegt auch dank eines überragenden Steffen Tigges Werder Bremen 7:1. Doch was sich anfühlt wie der Start in ein fantastisches Jahr 2023, versandet in einer gewissen Frühjahrsmüdigkeit: Köln schießt zu wenige Tore, dann kommt der Mannschaft zudem die Spannung abhanden. Steffen Baumgart nennt später explizit den Karneval im Kreis der Verdächtigen für die Leistungsdelle.

Christian Keller

18. März: Beim 1:6 in Dortmund gibt der FC Anlass zur Sorge. Am 29. März erreicht Köln zudem der Beschluss des Fifa-Tribunals: Schon am 1. Februar hatten die Richter am Sitz des Weltverbands geurteilt, dass der slowenische Nachwuchsspieler Jaka Cuber Potocnik seinen Vertrag bei Olimpija Ljubljana ohne triftigen Grund im Januar 2022 gekündigt hatte. Weil der 1. FC Köln den Stürmer anschließend verpflichtet hatte, gelten die Kölner als Anstifter – und erhalten dafür die nach den Fifa-Statuten vorgesehene Strafe: Eine Sperre von zwei Transferphasen. Der Verein kündigt eine Berufung vor dem Internationalen Sportgerichtshof (Cas) an. Erst am 26. Mai erfüllt der Cas den Kölner Wunsch, die Bestrafung vorerst auszusetzen – was zu Erleichterung führt, denn nun sind also doch Transfers möglich. Allerdings hat Köln den zeitlichen Vorteil der frühen Rettung nicht voll nutzen können.

Kölns Torschütze Davie Selke jubelt nach seinem Treffer zur 1:0 Führung in Leverkusen.

April/Mai: Von acht Partien nach dem 1:6 in Dortmund verliert der FC nur noch eine. Die Mannschaft stabilisiert sich taktisch und spielerisch und setzt weitere Highlights. Nach dem faszinierenden Sieg in Leverkusen ist die Rettung auch rechnerisch vollendet. Es folgt das 5:2 zu Hause gegen die Hertha, bei dem Köln die Gäste aus Berlin vollständig deklassiert. In Hoffenheim hat die Mannschaft allerdings einen Schlag verkraften müssen: Kapitän Jonas Hector hört mit dem Fußball auf, auch Timo Horn wird Köln verlassen, nach 21 Jahren im Verein.

Torwart Timo Horn und Jonas Hector verabschieden sich von den Fans.

27. Mai: Die Saison endet für Köln mit einem gewaltigen Showdown: Für den FC geht es zwar mit Blick auf die Saisonziele um nichts mehr. Doch der FC Bayern kämpft in Müngersdorf um die letzte Chance auf die Meisterschaft. Borussia Dortmund versagt daheim gegen Mainz, doch als Dejan Ljubicic in der 81. Minute zum 1:1 ausgleicht, scheint der Dortmunder Traum gerettet. Doch Musiala trifft in der 89. Minute zum Sieg. Die Münchner Meisterfeier geht unter in den Kölner Emotionen: Hector und Horn nehmen Abschied, es ist das tränenreiche Ende einer Kölner Saison voller Höhepunkte und Tiefschläge.

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Es lohnt wahrlich nicht immer der Blick nach England, um sich Entwicklungen im Profifußball abzuschauen. Was das Thema Auf- und Abstieg angeht, ist das englische Modell aber die perfekte Blaupause. Wichtigster Punkt: Es steigen drei Erstligisten ab. Punkt. Ende. Aus. Daran wird nach 38 Spieltagen nicht mehr gerüttelt. Aus der zweiten Liga steigen zwei Vereine direkt auf, der dritte Aufsteiger wird über Play-off-Spiele zwischen den Klubs auf Platz drei und sechs in einem Turniermodus im Wembley-Stadion ausgetragen.

Der Clou: Es kann vor allem gewonnen werden – und das gegen Ligakonkurrenten und nicht gegen teils finanziell übermächtige Klubs. So geht Relegation.