Im Team der Super-Talente ist der ehemalige Union-Profi Vorbild, Antreiber und unersetzlicher Lenker in der Spielzentrale.
Kämpfer Robert Andrich:Der Mann fürs Grobe entzückt Bayer 04
Wenn im Frühjahr 2023 über Bayer 04 Leverkusen gesprochen wird, fallen regelmäßig Begriffe wie Genie, Schnelligkeit, Spektakel, Jugend und die passenden Namen dazu: Florian Wirtz, Moussa Diaby, Jeremie Frimpong, Edmond Tapsoba. Diese Nationalspieler verschiedener Länder stehen regelmäßig im Mittelpunkt, wenn wie zuletzt in 13 Spielen ohne Niederlage Gegner dominiert und verloren geglaubte Ziele wieder ausgegraben werden.
Seltener ist die Rede von Robert Andrich. Der gebürtige Potsdamer ist weder Nationalspieler, noch ist er mit 28 Jahren wirklich jung. Er gehört auch bei weitem nicht zu den schnellsten Spielern seiner Mannschaft und richtig spektakulär wirkt er erst, wenn er nach dem Spiel sein Trikot auszieht und seine sich der Vollständigkeit nähernde Ganzkörpertätowierung zum Vorschein kommt. Und doch ist er in der Mitte des Teams der wichtigste Spieler von Bayer 04 Leverkusen. Ein echter Sechser mit Qualitäten, die über das Anforderungsprofil eines defensiven Mittelfeldspielers weit hinausgehen: Wenn es sein muss, ist Andrich Vorbereiter und Schütze wichtiger Tore oder Zentralmann in der Dreier-Abwehrkette wie beim 2:1-Sieg über Bayern München.
„Robert ist absolut authentisch mit seiner Art. Und er hat sich fußballerisch immer weiterentwickelt, von der dritten in die erste Liga und dann auch noch in den letzten Jahren bei uns. Damit ist er auch ein Vorbild für viele junge Spieler bei uns, und er bringt das in der Kommunikation rüber. Robert hat seinen Standpunkt und vertritt ihn auch“, sagt Leverkusens Sport-Geschäftsführer Simon Rolfes im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
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Als das Leverkusener Interesse an Robert Andrich im Sommer des Jahres 2021 bekannt wurde, erschien das zunächst einmal erstaunlich. Ein Spieler jenseits der 25 Jahre mit Klubs wie Wehen-Wiesbaden, Dynamo Dresden und Heidenheim in seiner Vita, der 52 Spiele in der Regionalliga Nordost (für Hertha BSC II) und 80 Spiele in der 3. Liga absolviert hat, der beim Aufsteigerklub Union Berlin als Mann fürs Grobe im Mittelfeld zwei Jahre lang den Müll wegbrachte, war außerhalb des Rasters, in dem Bayer 04 normalerweise nach Verstärkung sucht.
Als Mentalitätsspieler Nachfolger der Bender-Zwillinge
In diesem Fall gab es aber einen konkreten Anlass. Im Sommer 2021 hatte Bayer 04 die Bender-Zwillinge Lars und Sven verloren, die der traditionell mit Talent gesegneten Schar oft noch unfertiger junger Spieler in Leverkusen jahrelang als Anhaltspunkte in Fragen von Mentalität und Professionalität gedient hatten. Hier darf guten Gewissens die schöne alte Metapher von den großen Fußstapfen verwendet werden. Robert Andrich beging nicht den Fehler, in sie treten zu wollen. Als Kind der rauen Berliner Großstadtwelt ist er von gänzlich anderer Natur als die naturverbundenen, untätowierten Oberbayern. Er erkämpfte sich bei Bayer 04 lieber erst einmal regelmäßige Spielzeiten. Als Andrich schließlich fester Teil der Mannschaft war, las er den Kollegen in der Winterkrise unter Gerardo Seoane im Januar 2022 erstmals die Leviten.
Sein Wunsch nach mehr Robustheit und Professionalität in der zuweilen etwas unernsten Gruppe glich bei Bayer 04 einer Grundsatzerklärung. „Bei uns sollte eigentlich schon häufiger ein bisschen deutlicher gesprochen werden. Das würde uns weiterhelfen. Es gehört dazu, auch draußen vor der Mannschaft mal einen zur Sau zu machen - auch wenn es natürlich nicht persönlich gemeint ist. Man versucht, seinen Mitspieler besser zu machen", hat Andrich damals erklärt. „Es geht ums Fußballspielen, um Punkte, um Kohle. Da möchte ich, dass unsere Mannschaft so erfolgreich wie möglich ist. Da muss es einfach Mal ein bisschen strenger sein."
Inzwischen sind solche Ansprachen nicht mehr nötig. Unter Xabi Alonso liefert Bayer 04 im Drei-Tage-Rhythmus Top-Leistungen, drang ins Halbfinale der Europa League vor, hat als Sechster der Bundesliga sogar wieder die Champions League im Visier. Und Andrich spielt immer. Das Glanzstück in Sachen Resilienz, wie im Neudeutsch die Fähigkeit bezeichnet wird, Widerstände und Schmerzen auszuhalten, war der 2:0-Sieg über RB Leipzig vergangenen Sonntag, als Bayer 04 kaum 70 Stunden nach dem 4:1-Sieg bei Union St-Gilloise den bärenstarken Top-Klub RB Leipzig 2:0 bezwang. Ohne Florian Wirtz, ohne Edmond Tapsoba, ohne Weltmeister Exequiel Palacios, aber mit einem Robert Andrich, der in der Zentrale wie ein Berserker schuftete und die Offensivstars des Red-Bull-Klubs zur Verzweiflung brachte.
Ex-Klub Union Berlin als nächste Aufgabe
Die nächste Aufgabe heißt am Samstagnachmittag Union Berlin, das Dauerüberraschungsteam der Bundesliga auf Platz drei, acht Punkte vor der Werkself. Robert Andrich hat nur gute Erinnerungen an seinen Ex-Klub. Zu einem der besten Zentralspieler der Bundesliga ist er jedoch erst in Leverkusen geworden. Und das will er seinen früheren Freunden an der Alten Försterei auf seine Art zeigen. Indem er ihnen die Punkte wegnimmt.