Die Fußballer sind erfolgreicher denn je – anderen Sparten des Vereins geht es so schlecht wie nie zuvor. So verteidigt die Bayer AG die Entwicklungen.
„Prekäre Lage“Darum sind die meisten Liga-Teams des TSV Bayer 04 Leverkusen nur noch zweitklassig
Leverkusen – das steht für Jubelstürme, Siegesserien, Meisterfeiern. Für Werkself und Fußballspektakel, für paralympische Helden und Olympiamedaillen. Kurzum: Leverkusen gilt als Sportstadt. Doch während die Mannschaft des ausgegliederten Fußballunternehmens, die Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH, 2024 auf dem Zenit ihres Erfolges angekommen ist, trübt sich das strahlende Bild ein, wendet man den Blick auf andere Sportarten beim TSV Bayer 04 Leverkusen.
Leverkusen – in den Ligen eher zweitklassig
Ein paar Beispiele: Die Bayer Giants, die sich in den 90er Jahren als Rekordmeister in der deutschen Basketballgeschichte verewigten, treten heute nur noch in der dritthöchsten Spielklasse an. Auch die Bayer Volleys spielen nach zahlreichen Jahren in der ersten Frauen-Bundesliga seit der Saison 2012/2013 durchgehend zweitklassig. Die Handballfrauen, zwölfmaliger Champion und ebenfalls Rekordmeister, halten sich dagegen zwar tapfer seit einem halben Jahrhundert in der ersten Liga. Doch die Zeiten großer Erfolge sind auch bei den Werkselfen gezählt. 1987 gewannen sie ihre bislang letzte Meisterschaft, 2010 holten sie den letzten Pokalsieg.
Ein ähnlicher Trend zeichnet sich in den Individualsportarten ab. Erstmals seit 2008 qualifizierte sich kein Judoka für die Olympischen Spiele. Selbst die Leichtathletiksparte des Vereins verzeichnet Rückgänge. Waren es in Rio de Janeiro (2016) noch neun Starter und Starterinnen, entsandte der TSV fünf Leichtathletinnen und Leichtathleten nach Paris. Nur die Para-Abteilung konnte da glänzen.
Als „tragende Säule der deutschen Leichtathletik“ gilt Leverkusen laut Abteilungsleiter Frank Kobor immer noch. Doch „auch an uns geht der demografische Wandel nicht spurlos vorbei“, begründet er die Entwicklungen.
Mitgliederversammlung des TSV Bayer 04 Leverkusen: Finanzielle Einschnitte im Spitzensport
Fehlender Nachwuchs ist nicht das einzige Problem, mit dem die leistungssportorientierten Sparten zu kämpfen haben. Ein Knackpunkt ist – wenig überraschend – das Geld. Zum akuten Faktor wurden die finanziellen Nöte spätestens im vergangenen Jahr, als der Mitgliederversammlung ein Defizit von 884.000 Euro offenbart wurde.
Grund sollen hohe Energie- und Instandhaltungskosten an der Sportanlage gewesen sein. Die Folgen: Sportetatkürzungen, eine „Verschlankung der Personalstruktur“ und eine Erhöhung der Beiträge für die rund 9000 Mitglieder. Mit einem Minus von 197.000 Euro sei der Fehlbetrag in diesem Jahr zwar „weitestgehend kompensiert“, hieß es bei der Versammlung im Juni. Gespart werden müsse aber weiterhin, vor allem mit „Einschnitten im Spitzensport“, wie auf der Website des Vereins zu lesen ist.
Etatnöte: Handballerinnen in Abstiegsgefahr – Sponsoren im Rheinland rar
Bemerkbar machen sich die Kürzungen unter anderem in der Handballsparte von Abteilungsleiter Andreas Thiel. „Der Durchschnittsetat eines Frauen-Bundesligisten beträgt mittlerweile 1,3 Millionen Euro. Wir – sowohl die Werkselfen als auch die Jugend – haben noch nicht einmal die Hälfte davon“, sagt der frühere Nationaltorhüter. Es werde schwieriger, mit dem vorhandenen Geld auszukommen.
Auf der einen Seite müssen Spielerinnen und Übungsleitende engagiert und verpflichtet werden. Auf der anderen Seite werden die Kosten für den Spielbetrieb durch die Vorgaben der Verbände immer höher, erläutert Thiel sein Dilemma.
„Das hat zum Beispiel die Auswirkung, dass wir uns im beginnenden Spieljahr zum ersten Mal in echter Abstiegsgefahr befinden.“ Die Sorge habe in den vergangenen Jahren zwar auch bestanden. In einer „derart prekären Lage“ sei das Team aber noch nie gewesen, sagt er.
Dass der Gesamtverein nicht mehr dasselbe Geld an die Sportarten weiterreichen kann, spüren auch die Basketballer, die ihren Lizenzantrag für die 2. Basketball-Bundesliga Pro A „aufgrund von wirtschaftlichen Prognosen“, so steht es auf der Website, für die Spielzeit 2024/2025 zurückziehen mussten.
„Es ist tatsächlich nicht mehr so wie früher“, berichtet auch Michael Weyres aus der Judoabteilung. Alles sei teurer, die Judoka müssen vermehrt Eigenanteile zahlen, um an Turnieren teilzunehmen.
Doch obwohl die Standards der Vergangenheit nicht mehr haltbar scheinen, hört man Kritik selten – sowohl gegenüber dem TSV, als auch der Bayer AG als Namensgeber des Erfolgsvereins. Die Etatkürzungen seien gut begründet gewesen, sagt etwa Weyres. Auch Thiel sagt, der Verein gebe sein Bestes. „Die versuchen, das Maximum aus den zur Verfügung stehenden Mitteln herauszuholen.“
Obwohl sich die Bayer AG in wirtschaftlich angeschlagener Lage befindet, sei die Förderung durch das Pharmaunternehmen in der Vergangenheit konstant geblieben, schreibt die TSV-Pressestelle. Welche Summen jährlich fließen, wollen die Verantwortlichen nicht sagen. Zumindest sei die damit verbundene finanzielle Basis, die über die Einnahmen durch Mitgliedsbeiträge hinausgeht, „konkurrenzlos gut“, so Bayer-Pressesprecher Nicolas Limbach.
Unabhängig von der Bayer AG besteht für die Sparten die Möglichkeit, die finanziellen Mittel durch weitere Förderer aufzustocken. Der Verein ermutige die Abteilungen, „ihren Etat über Sponsorenaktivitäten zu erhöhen“. Die Leichtathletikabteilung zum Beispiel konnte die Auswirkungen durch das Einwerben von Drittmitteln abpuffern, so Kobor.
Im Rheinland ein „nennenswertes wirtschaftliches Volumen“ für eine Frauen-Spielsportart zu generieren, sei dagegen ein „sehr optimistisches Unterfangen“, sagt Thiel mit Blick auf die Handballabteilung.
Doch wenn die Ambitionen der Sparten über die Ziele des Vereins hinausgehen, sind neue Sponsoren die einzige Hoffnung. Geld, etwa um Weltklasse-Spielerinnen zu verpflichten, steht intern nicht zur Verfügung. „Die Bayer-Sportförderung schließt eine Verwendung der Mittel im Profisport verbunden mit der Finanzierung von ‚Legionären‘ explizit aus“, heißt es von Konzernseite.
Selbstverständnis: TSV Bayer 04 Leverkusen ist Ausbildungsverein
Der Grund ist folgender: Während sich die Bayer AG mit ihrer Imagewerbung im Profisport auf die Fußball-Bundesligamannschaft fokussiert, verfolgt das Unternehmen im Verein seit seiner Neuausrichtung 2008 ein anderes Konzept: Mäzenatentum statt Sponsoring. Unterstützt werde die Förderung von Breiten-, Jugend- und Behindertensport als soziale Maßnahme, sagt Limbach.
Der TSV Bayer 04 Leverkusen folgt seither der Philosophie des „nachwuchsorientierten Spitzensports“. Talenten wollen der Verein und sein Mäzen eine ganzheitliche Entwicklung ermöglichen. „Sportlich, akademisch und persönlich“, schreibt die Bayer AG.
Leistungssport werde zwar angeboten, „allerdings nicht mehr zwingend in den obersten Ligen“, so TSV-Geschäftsführerin Anne Wingchen. Dass es einen Rückgang geben würde, sei nach 2008 zu erwarten gewesen. Als Spitzensportstandort sehe sich der Verein weiterhin. Kritikerinnen und Kritiker hatten das nach dem Kurswechsel angezweifelt.
Internationale Spitze in der Jugend, aber fehlende Perspektive für Profisport
Welche Früchte die Strategie trägt, zeigt ein Blick auf die Jugendklassen. Dort gehören die Leverkusener und Leverkusenerinnen sportartenübergreifend zur nationalen, teilweise zur internationalen Spitze.
Doch aus dem Jugendfokus erwächst auch ein Problem. Durch den Wegfall von Aushängeschildern bei den Erwachsenen kann die Perspektive verloren gehen. Aber auch die ist entscheidend, um Sportlerinnen und Sportler langfristig an den Standort zu binden. Natürlich zählen weitere Faktoren darauf ein: Mit seinem modernisierten Sportinternat und der Infrastruktur hebt sich der TSV Bayer 04 Leverkusen von anderen Vereinen ab. Hinzu kommt eine enge Zusammenarbeit mit Dach- und Landesverbänden sowie Stützpunkten. Einige Sparten können sich hauptamtlich angestellte Trainerinnen und Trainer leisten, auch das ist ein Vorteil.
Ob das reicht, stellt Andreas Thiel infrage. „Ich brauche Perspektive, das heißt, ich brauche eine Erstligamannschaft, wenn es irgendwie geht“, sagt er. Auf solche Leuchttürme setzt auch der Individualsport. „Diese Athleten sind ein wichtiger Bestandteil, um die Leichtathletik am Standort attraktiv zu gestalten und für den Nachwuchs interessant zu machen“, sagt etwa Frank Kobor.
Frank Doetsch kommt als Vorstandsvorsitzender des Deutschen Judo-Bunds zu einer ähnlichen Einschätzung. Der DLV und der Deutsche Basketballbund wollen hingegen keine Antwort darauf geben, wie die Dachverbände die durch die Bayer AG initiierten Entwicklungen hin zu einem Ausbildungsverein bewerten. Doetsch sagt, eine von Spitzenleistung unabhängige Sportförderung sei zwar begrüßenswert. Doch „jeder Nachwuchssportler benötigt erfolgreiche erwachsene Vorbilder im Verein als ‚Zugpferde‘. Insoweit ist die Begrenzung auf den Jugendsport zu kurz gefasst und auch wenig nachhaltig.“
In diesem Sinne streben wohl auch die Leverkusener Judoka wieder größere Erfolge an. „Mit der verstärkten Jugendförderung versuchen wir schon Leute in die Nationalmannschaft zu bringen. Vielleicht schafft es dann ja einer von denen zu den Olympischen Spielen“, so Weyres.
Ohne genügend Geld dürfte das aber schwierig werden. Da schließt sich dann der Kreis. „Es ist wie immer im Leben“, sagt Andreas Thiel, „wenn man genau hinschaut, ist alles ein bisschen komplizierter. Alles hängt zusammen.“