Hinter dem defensiven Kraftakt gegen Leipzig ohne Jung-Star Florian Wirtz steht der Gedanke des Trainers: Wir brauchen jeden Mann.
Xabi Alonsos neuer Bayer-Stil:Eine Mannschaft verteidigt sich
Im nackten Resultat von 2:0 Toren stand eigentlich nichts von dem geschrieben, was passiert war am späten Sonntagnachmittag in Leverkusen. Auch die reinen Spieldaten, die den Verlierer Leipzig mit 26:7 Torabschlüssen und 69 Prozent Ballbesitz als das dominierende Team auswiesen, erzählen nur einen kleinen Teil der Geschichte. Um wirklich zu verstehen, was derzeit bei Bayer 04 passiert, muss man die vorangehenden Kapitel beachten.
Den 4:1-Sieg bei Union St.-Gilloise drei Tage zuvor, den Einzug ins Halbfinale der Europa League, die pausenlosen Anstrengungen im Drei-Tage-Rhythmus. Die Serie von 13 Spielen ohne Niederlage, die sich vorwiegend aus Siegen (10) bildet. Und die Kaskade von zuletzt fünf Spielen innerhalb von 16 Tagen, deren letzter Akt dieser Kraftakt gegen ausgeruhte, hochtalentierte und motivierte Leipziger war.
Ohne die für unverzichtbar gehaltenen Strategen Florian Wirtz (krank), Edmond Tapsoba und den Weltmeister Exequiel Palacios (beide Muskelbeschwerden) spielte das Rest-Ensemble von Xabi Alonso 90 Minuten lang mit dem Rücken zur Wand und warf sich wie der Underdog in einer Pokalschlacht in jeden Zweikampf, in jeden Schuss. Und zwei der wenigen Konter des Spieles führten zu zwei Toren, die einerseits für Effizienz und individuelle Klasse sprachen, aber nichts bedeutet hätten ohne die große gemeinsame Verteidigungsleistung, an der alle ihren Anteil hatten.
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Sport-Geschäftsführer Simon Rolfes war beeindruckt von der Unbeugsamkeit des Teams, das noch in der Hinrunde eine Schießbude auf Platz 17 der Bundesliga-Tabelle war: „Das Motto war: Verteidigen, verteidigen, verteidigen, alle elf zusammen. Versuchen, die Räume zu schließen gegen eine Mannschaft mit großer Qualität. Das haben wir hervorragend gemacht.“
Jonathan Tah ist das Gesicht der neuen Stabilität
Das Gesicht dieser neuen Stabilität ist Jonathan Tah, der nach Jahren des persönlichen Stillstandes Klasse-Spiel im Drei-Tages-Rhythmus abliefert und den Laden hinten zusammenhält. Mit solchen Leistungen wird sein Traum vom Wechsel zu einem englischen Top-Klub im Sommer realistischer. „Ich habe Jona noch nie so gut gesehen“, urteilt Kollege Nadiem Amiri, der gegen Leipzig per Elfmeter in den Schlussminuten das entscheidende 2:0 erzielte und selbst ein Beispiel dafür ist, wie verloren geglaubte Spieler unter Xabi Alonso zum Leben erwachten und wichtige Faktoren des aktuellen Erfolges wurden.
„Wir merken, dass der Trainer an uns glaubt“, sagt Amiri, „und alleine das macht einen stärker. Weil wir Menschen sind.“ Auf diese Weise sind auch einstige Problemfälle wie Mitchel Bakker und Odilon Kossounou zu Eckpfeilern geworden, die mit Schwerstarbeit einen Sieg wie den gegen Leipzig sichern helfen konnten. „Wir brauchen jeden einzelnen Spieler, alle sind wichtig“, erklärt Xabi Alonso einen seiner wichtigsten Grundsätze.
Ein anderer lautet: Es geht nichts über harte Arbeit. „Wir haben uns die Stabilität im Defensivbereich im Training geholt. Dass jeder weiß, was er zu tun hat und welche Räume er schließen muss“, erklärt Simon Rolfes. „Wenn die Mannschaft funktioniert, ist es für jeden leichter. Und dann geben Siege natürlich Selbstvertrauen. Aber die Basis bleib hartes Arbeiten. In jedem Training. Das hört auch nicht auf.“ Mit dem Sieg über Leipzig hat sich die Werkself in der Bundesliga Platz sechs zurück erkämpft. Platz vier bleibt fünf Spieltage vor Schluss allerdings sechs Punkte entfernt.
Der Sport-Geschäftsführer will aber nicht rechnen. „Wir haben den Abstand zu Frankfurt vergrößert, sind auch näher an Leipzig herangekommen“, sagt Simon Rolfes, „es geht weiter bis zum Saisonende. Wir müssen den Druck auf die anderen hochhalten. Ob es für Platz vier reicht, werden wir sehen. Jetzt sind wir Sechster, das nächste Ziel ist Platz fünf.“ Den Gedanken, wo Bayer 04 sein könnte, wenn der Saisonauftakt nicht so historisch misslungen wäre, will Rolfes nicht zulassen. „Es macht keinen Sinn, darüber nachzudenken, was wäre, wenn wir im Herbst mehr Punkte geholt hätten“, sagt der Geschäftsführer, „es ist nicht passiert. Das ist Vergangenheit, wir haben daraus gelernt und sind stärker daraus hervorgegangen. Aber es ist noch nichts entschieden. Die wichtigsten Spiele kommen erst noch.“