AboAbonnieren

Mental HealthKölner Influencerin chattet über psychische Probleme

Lesezeit 5 Minuten
Influencerin Florentine alias „Flobroo“ aus Köln sitzt in einem Lokal, sie trägt einen geflochtenen, dunkelbraunen Pferdeschwanz und eine silberne Gliederkette.

Die Kölner Influencerin Florentine alias „Flobroo“ setzt sich für Mental Health ein.

Das Start-up „Teech“ bietet ein neues, kostenloses „Mental Health“- Programm für Jugendliche mit namhaften Influencern auch aus Köln.

Auch wenn sich das Vorurteil, es handele sich bei vielen Kindern und Jugendlichen mit psychischen Problemen lediglich um „ein bisschen depri“, in Teilen der Gesellschaft hartnäckig hält: Depressionen, Angst-, Essstörungen und Verhaltensauffälligkeiten sind unter 12- bis 25-Jährigen weiter verbreitet als in der Öffentlichkeit bekannt. Während der Pandemie hat sich die Lage verschärft: Versagensängste und Orientierungslosigkeit schlugen bei vielen auf die Psyche – bis heute.

„Die wenigsten Betroffenen werden diagnostiziert, sie leiden unbemerkt und untherapiert, denn psychische Erkrankungen in dieser Altersgruppe sind leider immer noch ein Tabuthema“, sagt Emanuele Monaco. Gemeinsam mit seinem Bruder Joel hat er deshalb die Online-Plattform „Mental Health Circle“ entwickelt, die den jungen Betroffenen einen geschützten Ort bietet, an dem sie sich über ihre psychischen Probleme austauschen können.

Die zwei Brüder Joel und Emanuele Monaco, der eine trägt eine Basecap und einen Bart, der andere ein Ringel-T-Shirt

Die Brüder Joel und Emanuele Monaco haben das Start-up „Teech“ gegründet.

Mit Influencern im Live-Chat über psychische Probleme reden

„Da viele Jugendliche enorm an Influencerinnen und Influencern orientieren, haben wir beschlossen, die beiden Parteien in einem Online-Chat zusammenzubringen“, sagt der Darmstädter. Die jungen Unternehmer engagierten „Flobroo“, „Jeyisbaee“ und „Diademlori“, drei bekannte Influencerinnen, die sich seitdem in einem geschützten virtuellen Raum mit ihren Followerinnen und Followern über Panikattacken und Ängste, über Bodyshaming und Hass im Netz austauschen.


„Teech“ und das kostenlose „Mental Health“-Mentoring Programm

  1. Das Start-up „Teech“ wurde zu Beginn der Pandemie von den Brüdern Joel und Manu Monaco gegründet. Sie entwickelten zunächst ein „virtuelles Klassenzimmer“, um Jugendliche beim Homeschooling zu unterstützen.
  2. Im vergangenen Jahr hat Teech die Inspiration Days veranstaltet – ein Bildungsevent mit mehr als 100.000 Schülern und zahlreichen Speakern wie Philipp Lahm, Joko Winterscheidt, Herzchirurgin Dilek Gürsoy, Astronaut Ulrich Walter und vielen mehr.
  3. Nach und nach kamen neue Online-Formate hinzu, unter anderem auch „Mental Health Circle“. Gemeinsam mit verschiedenen Influencern macht „Teech“ dabei für Jugendliche stark, die mit den Folgen der Corona-Pandemie zu kämpfen haben, und ermöglicht in einem virtuellen Live-Format den Austausch mit Influencern über Tabuthemen, um für einen offenen Umgang zum Thema Mental Health zu sensibilisieren. Bis zu 50 betroffene Jugendliche können an der geschützten Gesprächsrunde im virtuellen Raum kostenlos teilnehmen.

Die 20-jährige Influencerin „Flobroo“, die in der Offline-Welt Florentine heißt, hat während der Pandemie aus Langeweile auf Instagram und Tik Tok ihre ersten Videos gepostet – die Inhalte: Ein klassischer Mix aus „Das finde ich schick“ und „Mit diesem Lidstrich sieht jede gut aus“. „Ich musste erst einmal die Hemmschwelle, im Mittelpunkt zu stehen, überwinden; aber dann lief es gut. Ich habe inzwischen 500.000 Followerinnen und Follower. Das ist schon verrückt, das sind in etwa so viele wie die Hälfte der Einwohner Kölns“, sagt die Einser-Abiturientin, die jetzt Marketing in Köln studiert.

Geredet habe ich darüber mit niemandem und gab mich außen fröhlich. Ich lebte in zwei Welten. Diesen Spagat konnte ich nicht durchhalten, ich landete in der Psychiatrie
Flobroo, Influencerin

Die junge Frau hat parallel einen zweiten Account mit 600.000 Followerinnen und Followern. In dem zeigt sie sich auch ungeschminkt und spricht über ihre Gefühle, ihre schwierige Kinderzeit, in der sie sich häufig einsam fühlte, aber mit niemandem darüber reden konnte, ihre Ängste und Panikattacken.

Nach der Schule 18 Stunden schlafen

„Nach unserem Umzug aus Gera in die Nähe von Köln, ich war damals 12, ging es los. Ich war unglücklich, dann dauerhaft erschöpft, nach der Schule legte ich mich ins Bett und schlief bis zur 18 Stunden am Stück. Ich habe früher sehr gerne professionell getanzt, selbst dafür hatte ich keine Kraft mehr. Geredet habe ich darüber mit niemandem und gab mich außen fröhlich. Ich lebte in zwei Welten. Diesen Spagat konnte ich nicht durchhalten, ich landete in der Psychiatrie“, erzählt Florentine offen und ohne Scham im Live-Chat des Mental-Health-Kurses von „Teech“, an dem 50 junge Menschen teilgenommen haben.

Mit ihrer Offenheit möchte die 20-Jährige möglichst vielen Betroffenen Mut machen, sich bei psychischen Problemen nicht zu verschließen, sondern professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. „Ich bin keine Ärztin und auch keine Therapeutin, aber ich bin eine bekannte Social-Media-Persönlichkeit. Genau hier sehe ich die Chance, psychisch labilen oder kranken jungen Menschen Mut zu machen“, sagt Florentine. Der Influencerin sei bewusst, dass sie für ihre Fangemeinde ein Vorbild sei, was sie nutze, um ihren Chat-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern die Angst vor dem Thema „psychische Erkrankungen“ zu nehmen.

Flo ist meine virtuelle Freundin und ein Vorbild. Denn sie hat trotz ihrer Panikattacken so irre viel erreicht
Lisa S., Followerin

Eine ihrer Followerinnen ist Lisa S. Die 29-Jährige leidet seit zwei Jahren unter Depressionen, ist deshalb seit einem Jahr arbeitslos und nimmt an „Flobroos’“ Mental-Health-Kurs teil. „Ich lag wegen einer Dehydrierung im Krankenhaus, dort gab es keine Psychologen, ich fühlte mich verloren. In dieser Phase war Flo mein Rettungsanker, sie hat ihre persönliche Krankheitsgeschichte so authentisch erzählt, dass sie mir Mut machte. Sie ist meine virtuelle Freundin und ein Vorbild. Denn sie hat trotz ihrer Panikattacken so irre viel erreicht“, sagt Lisa S.

Das Porträt der 29-jährigen Lisa S., die hat lange braune Haare und braune Augen, sie ist Followerin von der Kölner Influencerin Flobroo

Lisa S. hat beim„ Mental Health“-Kurs von„ Teech“ teilgenommen.

Psychische Erkrankung online öffentlich gemacht

Die junge Frau ist davon überzeugt, dass psychische Erkrankungen von der Gesellschaft nicht ernst genommen werden, weil die Symptome nur schwer vermittelbar sind. „Ein gebrochener Fuß im Verband oder Gips ist für jede und jeden sichtbar, da bekommt man sofort Aufmerksamkeit und Trost. Psychische Krankheiten aber sind mit dem Auge nicht zu sehen“, sagt Lisa S. Und erzählt davon, dass sie unmittelbar nach dem Kurs mit „Flo“ ihre Erkrankung online öffentlich gemacht hat, sodass ihr Umfeld nun darüber informiert ist.

„Influencerinnen sind in der Lage, psychische Erkrankungen salonfähig zu machen und sie spenden Mut, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, bevor es zu spät ist.“ Lisa S., die sich aktuell in einer psychiatrischen Klinik befindet, in die sie sich freiwillig einliefern ließ.

Mit unserer Live-Lösung machen wir die sonst so unnahbaren Influencer nahbar. Sie ermutigen andere dazu, ihre Geschichten und Ängste unter Gleichgesinnten zu teilen
Emanuele Monaco

Die Brüder Joel und Emanuele Monaco scheinen mit ihrer Idee, den Nerv der Zeit getroffen zu haben. Durch die Zusammenarbeit mit bekannten Influencerinnen und Influencern erreichen sie die jugendliche Klientel offenbar besser als das gängige Hilfesystem. „Mit unserer Live-Lösung machen wir die sonst so unnahbaren Influencer nahbar. Durch ihre persönlichen Geschichten und den Austausch mit ihnen, dienen sie als Türöffner und ermutigen auch andere dazu, ihre Geschichten und Ängste unter Gleichgesinnten zu teilen. Daraus entwickelt sich häufig eine Eigendynamik“, sagt Emanuele Monaco.

Kölner Jugendpsychiater mahnt zur Vorsicht

„Solche Formate können natürlich keine medizinische Beratung, erst recht keine Behandlung, ersetzen, sie sind aber grundsätzlich ein guter Ansatz, ein erster Schritt“, sagt Stephan Bender. Der Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Köln mahnt dennoch zur Vorsicht: „Die Betreiber des Portals sind keine Mediziner, keine Psychologen, sie müssen deshalb sehr darauf achten, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer keinen ernsthaften psychischen Krankheitsgrad erreicht haben.“


„Wie war’s in der Schule?“ Abonnieren Sie hier unseren Newsletter für Familien und Lehrende in der Kölner Region – immer mittwochs.