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Abellio fordert SchadenersatzMillionenklage gegen Verkehrsverbünde in NRW

Lesezeit 4 Minuten
Ein Zug von Abellio steht im Hauptbahnhof. Die Sonne scheint auf die silberfarbenen Wagen.

Der Insolvenzverwalter von Abellio Rail NRW fordert von den Verkehrsverbünden in NRW Schadenersatz in Höhe von 53,8 Millionen Euro.

Das plötzliche Aus von Abellio in NRW hat Folgen. Der Insolvenzverwalter erhebt schwere Vorwürfe gegen die Verkehrsverbünde.

Die Insolvenz des Bahnbetreibers Abellio Rail NRW könnte die Verkehrsverbünde im Land teuer zu stehen kommen. Die Tochtergesellschaft der niederländischen Staatsbahnen musste Ende Januar 2022 den Betrieb einstellen, weil sie aufgrund stark gestiegener Personalkosten und hoher Strafzahlungen wegen vieler Verspätungen nicht aus den roten Zahlen kam. Die Muttergesellschaft war nicht länger bereit, die Verluste ihrer Auslandstochter auszugleichen.

Innerhalb weniger Wochen mussten das Land einspringen und neue Betreiber für die Abellio-Linien gefunden werden. Rund 380 Millionen Euro waren erforderlich, um den Zugbetrieb aufrechtzuerhalten. Die mehr als 1000 Abellio-Mitarbeitenden kamen nahezu alle bei anderen Eisenbahnunternehmen unter.

Streitwert liegt bei 642 Millionen Euro

Insolvenzverwalter Rainer Eckert von Abellio NRW hat unlängst beim Landgericht Essen eine Schadenersatzklage gegen den Nahverkehr Rheinland (NVR), der heute go.Rheinland heißt, den Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR), den Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) und den Verkehrsverbund Nordhessen eingereicht. Der Streitwert liegt bei 642 Millionen Euro. Den vorläufigen Schaden beziffert der Insolvenzverwalter auf 53,8 Millionen Euro. Auf den NVR entfallen davon 3,5 Millionen Euro.

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Eckert wirft den Verbünden vor, bereits zugesagte Anpassungen für eine höhere Vergütung im Frühjahr 2021 plötzlich zurückgezogen zu haben, zu der sie aus seiner Sicht gesetzlich verpflichtet waren. Die Verträge hätten entsprechende Anpassungsklauseln enthalten. „Sie hielten Abellio (…) solange mit immer wieder neuen ausweichenden Begründungen hin (…), bis Abellio unter der gestiegenen Kostenlast Anfang 2021 Insolvenz anmelden musste“, heißt es in der Klageschrift, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt.

Verbünde weisen Vorwürfe zurück

Die Verbünde weisen diesen Vorwurf zurück. Aus ihrer Sicht hat die Muttergesellschaft den NRW-Ableger von Abellio „gezielt in die Insolvenz“ getrieben, „um sich eigenen Finanzierungsverpflichtungen zulasten der Fahrgäste und Steuerzahler in Deutschland zu entledigen“, heißt es in der ihrer Klageerwiderung, die dieser Zeitung ebenfalls vorliegt.

Im harten Kampf um Marktanteile beim Regional- und S-Bahnverkehr im bevölkerungsreichsten Bundesland schienen die Niederländer zunächst besonders erfolgreich zu sein. Zwischen 2010 und 2016 gelang es Abellio, dem Platzhirsch und ehemaligen Monopolisten DB Regio NRW insgesamt fünf Regional- und Nahverkehrsverträge zu entreißen und einen Marktanteil von 18 Prozent zu erreichen, darunter auch die Neuvergabe von Linien des prestigeträchtigen Rhein-Ruhr-Express (RRX), der bis 2030 zum Rückgrat des Regionalverkehrs in NRW werden soll. Bei dieser Ausschreibung war die DB komplett leer ausgegangen. Die Gewinner hießen Abellio und National Express.

Knallharter Kampf um Marktanteile

Das Problem: Abellio NRW hatte im Kampf um die lukrativen Verträge offenbar besonders knapp kalkuliert und geriet maßgeblich durch die seit 2015 stark gestiegenen Personalkosten durch hohe Tarifabschlüsse, die die Lokführergewerkschaft GDL unter der Führung von Claus Weselsky erkämpfte, in Turbulenzen. Vor allem der Fakt, dass Lokführer plötzlich bis zu 42 Tage Urlaub nehmen konnten, führte zu hohen Kosten bei der Ausbildung und Neueinstellung von Personal.

Hinzu kam das marode Schienennetz, dessen Modernisierung zu mehr als 1000 Baustellen pro Jahr führte. Die Verkehrsverträge waren damals noch so gestaltet, dass die Bahnunternehmen unabhängig vom Verursacherprinzip hohe Strafen für Verspätungen und Zugausfälle zahlen mussten. Das ist heute nicht mehr der Fall.

Das NRW-Verkehrsministerium, das damals unter der Leitung von Hendrik Wüst stand, sei bereits Ende 2020 der Ansicht gewesen, „dass die Verträge unwirtschaftlich seien, es aus rechtlicher Sicht gute Gründe für eine Vertragsanpassung gebe“, heißt es in der Klageschrift des Insolvenzverwalters. „Entsprechende Finanzmittel“ seien „zugesagt und schließlich freigegeben worden“.

Land musste mit 380 Millionen Euro einspringen

Andere Privatbahn-Betreiber wie Keolis, Transregio und die Nordwestbahn gerieten ebenfalls in Schwierigkeiten, die aber weitaus geringer waren. Auch die NRW-Tochter DB Regio hatte zu kämpfen, aber den Vorteil, dass der Bund als Eigentümer die Verluste ausgleichen muss.

2020 wurden die finanziellen Probleme von Abellio erstmals öffentlich. Die Verluste der gesamten Gruppe, die neben NRW auch in Mitteldeutschland, Baden-Württemberg, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt Ausschreibungen gewonnen hatte, betrugen damals bereits mehr als 93 Millionen Euro.

Wettbewerb im Regionalverkehr deutlich eingeschränkt

Deshalb drängten die Abellio-Verantwortlichen darauf, sich die Verluste nun von den Verkehrsverbünden in den einzelnen Bundesländern, darunter auch in NRW, ersetzen zu lassen. Mit Unterstützung aus der Politik. So schrieb der niederländische Finanzminister Wopke Hoekstra an die Ministerpräsidenten der Bundesländer, in denen Abellio tätig war: „Ich möchte Sie bitten, Ihre Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit eines Ausgleichs der unvorhergesehenen Kostensteigerungen zu lenken.“ Und weiter: „Diese Angelegenheit ist dringend, da Abellio ohne Ausgleich der Mehrkosten nicht überlebensfähig ist.“

Im November 2021 scheiterte der letzte Einigungsversuch. Aus Sicht der Verkehrsverbünde hätte das Abellio-Angebot lediglich 17 Prozent der absehbaren Verluste ausgeglichen. Wäre man darauf eingegangen und hätte Abellio alle Verträge bis zum Ende der Laufzeit erfüllt, hätten die Verluste nach groben Schätzungen bei rund 400 Millionen Euro gelegen, von denen ein Großteil durch die öffentliche Hand hätte finanziert werden müssen.

Bei Abellio NRW hatte man bis zuletzt gehofft, zwei besonders verlustreiche Verkehrsverträge für den Rhein-Ruhr-Express und die S-Bahn Rhein-Ruhr zurückgeben und wenigstens die anderen Linien weiter fahren zu können.

Durch das Aus von Abellio Anfang Februar 2022 ist der Wettbewerb im NRW-Regionalverkehr wieder deutlich eingeschränkt. Der Marktanteil von DB Regio stieg um neun auf 55,3 Prozent. National Express kommt als Zweitplatzierter auf rund 17 Prozent.