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Fachkräftemangel und NachfolgeproblemWie Babyone über Motivation und Social Media wachsen will

Lesezeit 6 Minuten
Die Geschwister Anna Weber und Jan Weischer stehen nebeneinander.

Die Geschwister Anna Weber und Jan Weischer haben Babyone 2021 von ihren Eltern übernommen.

Als die Geschwister Anna Weber und Jan Weischer das elterliche Unternehmen übernommen haben, kam erst die Pandemie, dann der Krieg in der Ukraine. Nun bedroht die nächste Krise das Geschäft: Kaum jemand will noch im Handel arbeiten.

An diesem Morgen hatte Anna Weber endlich mal wieder Zeit für Sport. Die 42-Jährige ist früh aufgestanden, hat E-Mails abgearbeitet, ihre beiden Kinder pünktlich in der Grundschule abgeliefert und sich schließlich auch noch selbst etwas bewegt. Einen solchen, vergleichsweise ruhigen Tag, gönnt sich die Geschäftsführerin der Handelskette Babyone etwa alle zwei Wochen. In ihrem Leben ist viel los: viel Arbeit, viel Familie, viel Netzwerken, viel Sozialleben.

Vor allem der Punkt Arbeit nimmt einen Großteil ihrer Zeit ein. Seit Weber gemeinsam mit ihrem Bruder Jan Weischer (41) die elterlichen Fachmärkte übernommen hat, ist einiges passiert: Pandemie, Energiekrise, Inflation, von den Allzeitproblemen wie Fachkräftemangel und Bürokratie ganz zu schweigen. Die Eltern hatten Babyone vor rund 35 Jahren als Franchisesystem aufgebaut, inzwischen gibt es 105 Fachmärkte in Deutschland, Österreich und der Schweiz. 60 Prozent der Filialen im deutschsprachigen Raum werden von Franchisenehmern betrieben, die beiden Standorte in Köln - Am Butzweilerhof und in Godorf - sind eigene Läden. Allein in NRW gibt es 26 Babyone-Fachmärkte. Insgesamt setzt das Unternehmen mit Hauptsitz in Münster rund 240 Millionen Euro um.

Jedes Jahr suchen 125.000 Mittelständler einen Nachfolger

Familie Weischer ist etwas gelungen, das laut dem Nachfolge-Monitoring Mittelstand jedes Jahr rund 125.000 Inhabern kleiner und mittelgroßer Unternehmen bevor steht: Sie brauchen einen Nachfolger. Dass Anna und Jan einmal die Firma übernehmen würden, war so nicht geplant. Er studierte Jura und arbeitete als Rechtsanwalt, sie Betriebswirtschaftslehre und heuerte bei Vodafone in Düsseldorf in der Personalabteilung an. Den Eltern war es immer wichtig, dass die Kinder ihr eigenes Ding machen, sagt Weber.

Als Weber Kinder bekam, merkte sie, dass sie etwas anderes vom Beruf wollte, eine Aufgabe, mit der sie Spuren in der Welt hinterlässt. Ihrem Bruder ging es ähnlich - und so sprachen sie bei den Eltern vor. Die waren überrascht, aber offen dafür. Eineinhalb Jahre lang bereitete die Familie die Übergabe vor, die Kinder stiegen zuerst in fachlicher Verantwortung in der Unternehmensentwicklung und dem Rechtsbereich ein. Als sie dann zu Geschäftsführern bestellt wurden, köderte ihr Vater sie mit einer Probezeit, erzählt Weber: „Ein Jahr konnten wir straffrei wieder aufhören, so hat das unser Vater immer kommuniziert. Damit hat er uns den Einstieg leichter gemacht, aber ob das wirklich so möglich gewesen wäre? Ich weiß es nicht genau.“

Samstag will kaum jemand arbeiten

Seit vier Jahren sind die Kinder nun am allein Ruder. Und nachdem sie Krieg und Krisen gemeistert haben, stehen sie vor einem schier unlösbaren Problem: „Die größte Herausforderung für unser Geschäftsmodell ist, dass immer weniger Menschen im Einzelhandel arbeiten wollen“, sagt Weber. „Samstag ist für uns der umsatzstärkste Tag der Woche, gleichzeitig ist das der Tag, an dem die wenigsten arbeiten wollen.“ Damit ist Babyone nicht allein, im Gegenteil. Im Einzelhandel sind laut dem Handelsverband Deutschland rund 120.000 Stellen bundesweit unbesetzt.

Eigentlich bräuchte Babyone am Wochenende doppelt so viele Beraterinnen und Berater auf der Fläche. Der Baby- und Kleinkind-Ausstatter verkauft zum Beispiel Kinderwagen und Babytrageschalen, die die Mitarbeitenden bis zum Auto bringen, einpassen, und testen, ob der Kinderwagen zusammengeklappt wirklich in den Kofferraum passt. „Meist ist die ganze Familie dabei, auch die Großeltern. Ich kann verstehen, dass die Kunden nicht zwei Stunden warten wollen, bis sie beraten werden“, sagt Weber.

Ein Dienst am Kunden ist ein Dienst am Unternehmen

Anna Weber nimmt die Herausforderungen sportlich. „Ich konzentriere mich darauf, was ich selbst in der Hand habe und was ich selbst verändern kann“, sagt sie. Den Fachkräftemangel könne sie nicht lösen, sie könne aber ihre Recruiting-Maßnahmen anpassen und die Werbetrommel lauter rühren. Und: Sie setzt darauf, dass ihre Mitarbeiter eine intrinsische Motivation mitbringen. „Man kann motivierende Rahmenbedingungen schaffen, es liegt aber nicht in unserer Hand, jeden zufrieden zu machen. Zufriedenheit und Motivation ist etwas, das jeder einzelne von sich aus aufbringen muss.“

Einige Unternehmen motivieren finanziell mit Erfolgsbeteiligungen, etwa in Form von Unternehmensaktien, durch Boni oder Provisionen. Babyone setzt keine finanziellen Anreize, sondern versucht, Zufriedenheit und Motivation über die Art des Jobs zu steigern: Bei Babyone gehe es nicht darum, immer nur Paletten von A nach B zu schieben, sagt Weber. Wer hier auf der Fläche steht, berät und hilft beispielsweise werdenden Eltern, den richtigen Kinderwagen auszuwählen.

Genau das ist der sogenannte Purpose, wie immer mehr Unternehmen zur guten alten Sinnhaftigkeit sagen. Studien zeigen, dass Mitarbeiter motivierter und engagierter sind, wenn sie ihre Tätigkeit als bedeutsam wahrnehmen. Eine Babytrage ins Auto einbauen ist also nicht nur ein Dienst am Kunden, sondern letztlich auch einer am Mitarbeiter und so auch am Unternehmen.

Große Ziele in kleine Teilschritte zerlegen

Ein weiterer Motivationsschub soll über Zielvorgaben kommen. In der 150-köpfigen Zentrale legen sie Ziele nicht mehr für Jahre im Voraus fest, sondern zerteilen das gewünschte Endresultat in viele kleine Schritte. Jedes Quartal werden die Ziele angepasst. Dabei appelliert die Geschäftsführung an die Eigenverantwortung der Teams: Sie sollen selbst festlegen, was sie realistischerweise in den kommenden drei Monaten schaffen können: wie viele Besucher des Onlineshops am Ende etwas kaufen, wie hoch die Frequenz in den Läden ist, wie viele Kundenkarten ausgegeben werden. Auch hier steckt Psychologie dahinter: Es füllt sich schlicht besser an, wenn man weiß, was man heute, diese Woche, diesen Monat oder dieses Jahr geleistet hat.

Anna Weber und Jan Weischer machen nicht nur kulturell einiges anders als ihre Eltern, sondern haben auch eine eigene Firma gegründet. „Elsa & Emil“, eine Tochterfirma von Babyone, die mit Nachhaltigkeit wirbt und vor allem Kinderwagen und Babytragen vertreibt. Wie viel Umsatz die Marke macht, will Weber nicht sagen. Nur: Man sei auf Wachstumskurs. Am ersten Verkaufstag hätten sie direkt die ersten Kinderwagen verkauft, die immerhin fast 900 Euro kosten.

„Elsa & Emil“ ist als sogenannte D2C-Marke konzipiert, die direkt an den Konsumenten verkauft. Zwar werden die Produkte auch in den Babyone-Märkten verkauft, doch die Firma würde auch ohne den stationären Vertriebskanal funktionieren. Ist die Firmal also ein Plan B, falls der Handel irgendwann nicht mehr funktioniert?„Ich glaube ganz stark an den Handel“, sagt Anna Weber. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es in den kommenden Jahren wirklich Produkte wie Kinderwagen und Autositze gar nicht mehr im stationären Einzelhandel geben wird.“

Social Media als lukrativer Vertriebsweg

Um mehr Kunden in den stationären Handel zu locken, setzt Babyone auf die sozialen Medien. Vor einigen Tagen war Anna Weber zu Besuch in Köln bei der Hebamme Maike Campen, der auf Instagram rund 50.000 Menschen folgen. Gemeinsam haben sie eine Trage für Neugeborene entwickelt. „Wir denken die Produkte so, dass sie gut in den Regalen bei uns funktionieren, aber genauso gut auf Social Media“, sagt Weber.

Auch für die Stammmarke Babyone wird Social Media als Verkaufskanal immer wichtiger - kein Wunder, immerhin sind die Zielgruppe Eltern, und die sind naturgemäß eher jung. Ein Babyone-Franchisenehmer aus Lüneburg beispielsweise erklärt bei Tiktok, wie man einen Kindersitz ins Auto baut. „Die Leute kommen zu ihm in den Laden, weil sie ihn auf Tiktok gesehen haben“, sagt Weber. Für den angestaubten stationären Handel ist das eine Chance: Nicht nur die online-affine Generation Y und Z verschlägt es so in den traditionellen Laden, auch für junge Fachkräfte und Azubis wird der Job im Einzelhandel attraktiver, wenn Teil ihrer Arbeit darin besteht, Tiktok-Videos zu drehen. Dann kommen sie womöglich sogar samstags gerne zur Arbeit.