Köln – Die jüngsten Beschlüsse der Bundesregierung und der Ministerpräsidenten zu einer schrittweisen Öffnung hatten an den Messeplätzen bundesweit für Enttäuschung gesorgt. „Es gab für uns wieder kein Signal und keine Perspektive für einen Neustart“, sagt Kölns Messechef Gerald Böse im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Es sei völlig unverständlich, warum Fachmessen in eine Reihe mit Volksfesten oder sogar dem Rotlicht-Milieu gesetzt würden. Bis einschließlich Mai sind bereits alle Veranstaltungen in den Deutzer Messehallen abgesagt. Nach dem katastrophalen Jahr 2020 droht auch 2021 wieder ein hoher zweistelliger Millionen-Verlust.
Bis einschließlich Mai sind bereits alle Veranstaltungen in den Deutzer Messehallen abgesagt. „Wir hoffen, dass wir im Juni mit der Spoga+Gafa wieder starten können“, sagt Böse. Die Impfungen – als eine wichtige Voraussetzung dafür – würden in den kommenden Monaten an Fahrt aufnehmen.
Tiefe Spuren in der Bilanz
Aber schon jetzt zeichnet sich ab, dass Corona auch im zweiten Jahr tiefe Spuren in der Bilanz des Unternehmens hinterlässt. „Allein durch die Absagen im ersten Halbjahr rechnen wir 2021 mit einem Verlust in Höhe von 65 Millionen Euro“, sagt Böse. Die Messe versuche, so viel Umsatz zu retten wie es nur gehe. Gleichzeitig wird gespart. Rund 120 Millionen Euro bei veranstaltungsbedingten Kosten, 15 Millionen bei Gemeinkosten, davon neun Millionen beim Personal unter anderem durch Kurzarbeitergeld, keine Nachbesetzung von Stellen sowie Personalabbau und Fixkostensenkung im Auslandsgeschäft. Bislang plant die Messe am Standort Köln keinen Stellenabbau. Ob die mehr als 900 Beschäftigten mittelfristig ihre Jobs behalten, hänge vom weiteren Verlauf der Pandemie ab. „Im allerbesten Fall erreichen wir in diesem Jahr einen Umsatz von 250 Millionen Euro“, hofft Böse. Ohne Corona hatte die Messe einst geplant, 2021 die Marke von 500 Millionen Umsatz zu knacken.
Die Corona-Krise werde zu einer Konsolidierung der Branche führen. Besonders kleine und mittlere Messeplätze könnten vom Markt verschwinden. Sorge bereitet Böse auch die Lage der messenahen Dienstleister, wie etwa Standbauer. „Zwar sehen wir noch keinen Erdrutsch und hoffen, mit unseren Partnern gemeinsam schnell wieder starten zu können. Das kann sich allerdings ändern, wenn die Aussetzung der Insolvenzpflicht ausläuft“, so Böse.
„Das müssen wir erstmal lernen“
Mit Blick auf die Zukunft des Geschäftsmodells setzt das Unternehmen weiter auf Digitalisierung und investiert insgesamt 100 Millionen Euro. „Hybride Veranstaltungen müssen wir und die jeweiligen Branchen sicherlich erstmal lernen“, räumt Böse ein. Das gelte auch für die Zahlungsbereitschaft der Kunden für digitale Dienste der Messe. In den kommenden ein bis zwei Jahren werden diese Erlöse den Wegfall von Standmieten und Ticketverkäufen sicherlich nicht kompensieren können. Aber es gebe Erlöspotenzial etwa beim Verkauf von Werbezeiten.Und darüber hinaus: „Zu einem Aussteller, der durch zusätzliche digitale Reichweite sein Netzwerk erweitert, werden auch mehr Besucher als zuvor auf den Stand kommen. Das kann im physischen Teil der Messe dann sogar zu Flächenvergrößerungen führen.“ Preissenkungen bei den Quadratmeterpreisen soll es hingegen nicht geben.
Die Messe betont, dass sie im Gegensatz zu einigen Wettbewerbern bundesweit noch keinerlei staatliche Unterstützung bekommen habe. „Der Bund erteilt uns zwar ein Berufsverbot, ist aber nur dort bereit zu helfen, wo er selber beteiligt ist, wie etwa ei den Flughäfen“, so Böse. Auch der von der EU angekündigte sogenannte Rettungsschirm in Höhe von 642 Millionen sei laut Böse nur die Definition der Bedingungen, in deren Rahmen die Messegesellschaften in Zukunft seitens ihrer Anteilseigner ohne weitere EU-Bürokratie unterstützt werden können. „Einen Topf gibt es nicht“. Bisher gab es keinerlei finanzielle Unterstützung seitens Bund, Land oder Stadt. „Wir prüfen die Möglichkeiten der November-/Dezemberhilfen des Bundes, sehen aber hier nur geringe Chancen.“
Und die Reserven der Messe zehren sich auf. Hatte das Unternehmen 2019 noch Liquiditätsreserven von über 120 Millionen und ein Eigenkapital von 255 Millionen Euro in der Bilanz und damit eine Eigenkapitalquote von 63,1 Prozent, so hat sich diese auf rund 30 Prozent halbiert.
Messe bittet Anteilseigner um Hilfe
Nun bitte die Messe ihre Anteilseigner Stadt und Land erstmals um finanzielle Hilfe. Zur Finanzierung des geplanten Kongresszentrums Confex braucht das Unternehmen eine Kapitalspritze in Höhe von 120 Millionen Euro. Damit ergäbe sich für die Stadt Köln ein Beitrag in Höhe von 96 Millionen Euro und für das Land NRW in Höhe von 24 Millionen Euro. Der Messechef betonte erneut die Notwendigkeit des Neubaus. „Seit 40 Jahren wird über ein solches Kongresszentrum für Köln gesprochen, das ist jetzt eine Investition in die Zukunft“, so Böse. Auch mit Blick auf künftige hybride Veranstaltungen, also physisch vor Ort und digital im Netz, sei der Bau unerlässlich. Die Signale seien positiv, so Böse. Ende März soll die Entscheidung im Rat fallen.
Confex ist Kernbestandteil des Sanierungsprogramm Messe 3.0, in dessen Rahmen das gesamte Gelände bis 2034 ertüchtigt werden soll. Auf insgesamt 700 Millionen Euro beläuft sich das Vorhaben. In der Vergangenheit hatte die Geschäftsführung stets betont, dass sie die Investitionen für alle Bauprojekte über Kredite und aus dem Eigenkapital finanziert. Man baue nur, was die Kassenlage erlaube. Eine Beteiligung der Anteilseigner Stadt und Land wurde kategorisch ausgeschlossen. Das hat sich durch Corona geändert.
Künftige Formate werden neue Anforderungen an die räumliche Struktur stellen. „Deshalb wurden Investitionen neu priorisiert und teilweise verschoben. Wir schauen, wo wir sparen können“, erläutert Böse. Die Modernisierung und Sanierung bestehender Hallen wurde fortgesetzt, die Halle 1 am Auenweg ist fertiggestellt, auch die Sanierung der Halle 10 verliefe zügig. Das Terminal, das Ost- und Westgelände verbinden wird abgespeckt und voraussichtlich keine eigene Gebäudeverkleidung bekommen.
Auch an den Plänen zum Bau einer neuen Hauptverwaltung hält die Messe grundsätzlich fest. Dafür suche man einen Partner, der auf dem Messegrundstück entwickelt und baut, so dass die Messe später mieten kann. Allerdings sei auch nach jahrelangem Streit Bewegung in die Gespräche mit dem Vermieter des alten Gebäudes gekommen. So liege mittlerweile ein Angebot eines potenziellen neuen Investors vor, das Gebäude, das schwer in die Jahre gekommen ist, nun doch grundlegend zu sanieren. „Das prüfen wir nun, vor allem nach wirtschaftlichen Aspekten. Der Mietvertrag läuft noch bis 2025, bis Ende Juni müssen wir eine Entscheidung treffen“, so Böse.