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Erst Kassensturz, dann Gas gebenSPD-Landtagsfraktion sieht Kohleausstieg 2030 in Gefahr

Lesezeit 4 Minuten
01.02.2024, Nordrhein-Westfalen, Pulheim: Dampf steigt aus dem RWE Braunkohlekraftwerk Niederaußem. Im Vordergrund der Pulheimer Ortsteil Sinnersdorf. Das Kraftwerk Niederaußem ist ein von RWE Power mit Braunkohle betriebenes Grundlastkraftwerk. Ein Teil der Blöcke des Kraftwerkes wurden stillgelegt. Foto: Oliver Berg/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Dampf steigt aus dem RWE-Braunkohlekraftwerk Niederaußem. Im Vordergrund der Pulheimer Ortsteil Sinnersdorf. Das Kraftwerk Niederaußem ist ein von RWE Power mit Braunkohle betriebenes Grundlastkraftwerk. Ein Teil der Blöcke des Kraftwerkes wurde stillgelegt. Foto: dpa

Mit einer „Großen Anfrage“ will die SPD-Fraktion im Landtag die schwarz-grüne Regierung dazu zwingen, eine ehrliche Zwischenbilanz zu ziehen.

Acht Monate Bauchschmerzen. Das wünscht man keinem. Auch Lena Teschlade, Sprecherin für Arbeit und Soziales der SPD-Fraktion im Landtag, wäre sie lieber heute als morgen los. Doch die Sozialdemokraten haben den Reviervertrag 2.0 im Ende Mai 2023 auf dem Flughafengelände in Mönchengladbach unterschrieben und damit das Versprechen abgegeben: Ja. Wir schaffen das mit dem vorzeitigen Kohleausstieg 2030.

Zwar ist der Vertrag nur eine Absichtserklärung ohne jede bindende Wirkung, doch immerhin haben sich mit Ausnahme der IHK Köln alle dahinter versammelt: die Landesregierung, die betroffenen Kommunen und Landkreise, die Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR) und weitere wichtige Institutionen wie die Industrie- und Handelskammern und die Handwerkskammern. Nur die IHK Köln nicht, weil sie erhebliche Zweifel daran hat, ob der steigende Energiebedarf der Unternehmen im Rheinischen Revier ohne Braunkohle überhaupt befriedigt werden kann.

Die SPD-Landtagsfraktion habe ihre Unterschrift immer an zwei Bedingungen geknüpft, sagt Lena Teschlade. „Was passiert mit den Arbeitsplätzen? Wie schnell geht der Strukturwandel voran? Und es muss Energiesicherheit geben. In Nordrhein-Westfalen und in Deutschland.“

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Wir brauchen jetzt Tempo beim Strukturwandel vor Ort
Lena Teschlade, SPD-Landtagsabgeordnete

Beides ist für die SPD-Fraktion längst nicht garantiert. Deshalb sind die Bauchschmerzen geblieben. Am Donnerstag hat sie daher zu einem Mittel gegriffen, das nicht nur der Opposition im Landtag zur Verfügung steht, aber vor allem für sie ein probates Mittel ist, Druck auf die Landesregierung auszuüben: die Große Anfrage. „Land und Bund haben sehr schnell Tatsachen geschaffen. Jetzt brauchen wir aber auch Tempo beim Strukturwandel vor Ort. Uns ist nicht klar, wie die Landesregierung sich das vorstellt“, sagt Teschlade.

In ihrer Großen Anfrage analysieren die Sozialdemokraten die aktuelle Lage im Rheinischen Revier und legen die ihrer Auffassung nach größten Schwachstellen offen, die das Ausstiegsziel 2030 ernsthaft gefährden können.

30.01.2024, Nordrhein-Westfalen, Grevenbroich: Ina Scharrenbach (CDU), Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung von Nordrhein-Westfalen, steht in der 500 Meter langen Turbinenhalle des ehemaligen Braunkohlekraftwerks Frimmersdorf. Der zentrale Kraftwerksbau soll zu einem Innovationscampus mit IT-Infrastruktur umgebaut werden. Foto: Henning Kaiser/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) steht in der Turbinenhalle des ehemaligen Braunkohlekraftwerks Frimmersdorf, die zu einem Innovationscampus umgebaut werden. Die SPD-Fraktion im Landtag fordert einen Kassensturz beim Strukturwandel. Foto: dpa

Auf die von der Landesregierung angekündigte grundlegende Reform der Fördersystematik, von der vor allem Forschungseinrichtungen und Hochschulen, aber nicht die betroffenen Kommunen profitieren, warte man bisher vergeblich, kritisiert Teschlade. Dass es anfangs Defizite gegeben habe, hatte die für die Förderprogramme verantwortliche ZRR schon eingeräumt.

Davon seien insbesondere viele Industrieprojekte betroffen, durch die neue Arbeitsplätze entstehen könnten. Bei der Flächenplanung sei immer noch unklar, „welche Flächen wofür genutzt werden können und ab wann diese zur Verfügung stehen“. Die Suche nach Flächen zur Ansiedlung neuer Unternehmen oder von Wind- und Solarparks komme nur schleppend voran, weil es in den Kommunen dafür kaum Personal gebe.

Kritik am Förderdschungel

Der Förderdschungel, kritisiert die SPD, sei vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen kaum zu durchdringen. Das System der sogenannten Zukunftsgutscheine, das vom Land und der ZRR eigens für sie aufgelegt wurde, sei mit einigen Bausteine Ende 2023 schon ausgelaufen, dabei habe bei diesen Betrieben der Umbau doch gerade erst begonnen.

Äußerst schwierig sei es überdies, Mittel aus den europäischen Förderprogrammen zu bekommen, die mit insgesamt 640 Millionen Euro recht üppig ausgestattet sind.

„Bisher hat die Landesregierung keinerlei Vision für das Rheinische Revier beschrieben, an der sich eine konsistente Strukturpolitik ausrichten könnte“, heißt es in der Großen Anfrage. „Jenseits kleinteiliger Förderprojekte“ seien „keine größeren Zusammenhänge erkennbar“. Die Landesregierung müsse „den roten Faden für das Rheinische Revier verdeutlichen“ und einen Sonderbeauftragten für die Region ernennen, der ein politisches Mandat habe.

168 Fragen zur Zukunft des Reviers

Diesen roten Faden wird die Schwarz-Grün jetzt erarbeiten müssen und kann sich dabei an einem Katalog mit 168 Fragen orientieren, die die SPD-Fraktion gerne beantwortet hätte. Eine Entscheidende zum Thema Energiesicherheit treibt seit knapp einem Jahr die Bundesregierung unter Federführung des von Robert Habeck geführten Wirtschaftsministeriums um. Wann kommt endlich die lang angekündigte Strategie zum Bau neuer Gaskraftwerke, die später auch mit grünem Wasserstoff betrieben werden können? „Wir warten darauf und jeder Tag länger ist ein Problem“, sagt Teschlade.

Habeck hatte angekündigt, sie im Zuge der Energiewende umfassend zu fördern. Aber noch kann sich die Ampel-Koalition nicht darauf verständigen, wie das Paket finanziert werden soll. Vorgesehen sind Ausschreibungen für die Anlagen, die den stetig wachsenden, aber schwankenden Anteil erneuerbarer Energien ausgleichen können. Wer die geringsten Subventionen verlangt, erhält den Zuschlag. Die Kostenschätzungen aus der Branche beliefen sich zuletzt auf bis zu 40 Milliarden Euro. Allein in NRW werden bis zu sechs solcher Kraftwerke gebraucht.

„Ehrlich gesagt habe ich die Hoffnung, dass die Landesregierung selbst von unserer Großen Anfrage profitiert, weil mir mal einen Kassensturz machen“, sagt Teschlade. „Danach kann man gemeinsam überlegen, was braucht es jetzt. Wir sind davon überzeugt, dass der Kohleausstieg 2030 noch gelingen kann. Aber dafür muss jetzt Power drauf.“