Aus den alten Tagesanlagen und dem Kohlebunker des Tagebaus Hambach soll ein Gewerbestandort mit hochwertigen Arbeitsplätzen und urbanem Charakter direkt am neuen Hambach-See werden.
Strukturwandel im Rheinischen RevierAm Tagebau Hambach entsteht ein Gewerbegebiet mit Seeblick
Der Bürgermeister von Niederzier überschlägt sich fast vor Begeisterung im kargen Versammlungsraum des Kohlebunkers am Tagebau Hambach, in dem RWE normalerweise die Betriebsversammlungen abhält und in dem es noch nach echter Maloche riecht.
Ein 170 Fußballfelder großes Areal
„Wir liegen hier mitten im Herzen des Rheinischen Reviers, genau zwischen den Tagebauen Hambach und Inden. Wir sind eine Wachstumsregion. Hier kann man demnächst Urlaub machen“, sagt Frank Rombey (43). Und hoffentlich auch neue Arbeit finden, wenn für die Kohlebagger im Jahr 2030 die letzte Schicht gekommen ist. „Erst einmal geht es darum, dass wir für die Menschen aus der Region aus unseren Ortschaften hier im oder am Loch, wie wir immer sagen, gute und tarifgebundene Arbeitsplätze schaffen. Das ist das primäre Ziel.“
Doch wie verwandelt man einen 170 Fußballfelder großes Gelände, das heute noch aus technischen Anlagen und Bunkern für den Braunkohletagebau genutzt wird, in einen attraktiven Standort für Gewerbe, Dienstleistung und Industrie? Einen Ort, der schon in 25 Jahren am bis zur Hälfte gefüllten Hambach-See liegen könnte, wenn dem Rhein zwischenzeitlich nicht das Wasser ausgeht.
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Gemeinderat hat Strukturkonzept schon abgesegnet
Mit dieser Frage, und das erklärt die Begeisterung des parteilosen Bürgermeisters der 14.700 Einwohner zählenden Gemeinde Niederzier, haben sich alle gemeinsam über Monate beschäftigt. Und präsentieren am Freitag das Ergebnis des Strukturkonzepts, das gerade mal 70.000 Euro gekostet hat.
Wir, das sind das Land und die RWE Power AG, die für die Entwicklung ehemaliger Tagebauflächen eigens eine gemeinsame Gesellschaft gegründet haben. Hinzu kommen der Kreis Düren, die Neuland GmbH, der Gemeinderat und das Planungsbüro „plan-lokal“. Gemeinsam haben sie in Rekordzeit die Zukunft der 170 Fußballfelder neu geplant. Am Donnerstag hat der Gemeinderat das Konzept abgesegnet. „Einstimmig“, sagt Rombey. Aber das ist eigentlich immer der Fall, seit er vor dreieinhalb Jahren zum Bürgermeister gewählt wurde.
Dann muss er kurz weg. Die Kommunalministerin des Landes empfangen, die mitten im Schichtwechsel zum Bunker eilt, um noch mehr Aufbruchstimmung zu verbreiten. „Wir werden aus der Braunkohle- eine Boom-Region machen“, sagt Ina Scharrenbach (CDU). „Jeder der 130 Hektar steht für einen Hektar Zukunft.“
Damit die möglichst schon Ende der 2020er Jahre beginnen kann, haben Erik Schöddert, Stadtplaner und Umsiedlungsexperte von RWE, und Henk Brockmeyer von „plan lokal“, ein vierstufiges Strukturbild entwickelt, das bis Mitte der 2040er Jahre aus dem Areal einen Ort machen könnte, den es so in Deutschland noch nicht gegeben hat. Mit Flächen, die dem Gewerbe und der Industrie zur Verfügung stehen, einer urbanen Meile, die direkt zum See führt, einem Quartiersplatz mit städtischer Aufenthaltsqualität und einem Seeufer, das alle Bedürfnisse von Freizeit, Sport und Tourismus befriedigen soll. „Das kann und darf kein 08/15-Gebiet werden“, sagt Schöddert.
Brockmeyer schwärmt gar von einer Roof-Top-Bar mit Seeblick, auf der er seinen Cappuccino genießen möchte. Man wolle „alle Formen städtischen Lebens etablieren“, einschließlich temporären Wohnens und eines Azubi-Campus. Die Grünflächen sollen weitestgehend erhalten bleiben. Schließlich sei der Tagebau Hambach ein „sensibler Artenschutzraum“. Das haben die Aktivisten im Hambacher Forst schon immer so gesehen.
Wachstum nicht um jeden Preis
Klingt verlockend, doch in einem Punkt dämpft Bürgermeister Rombey die Erwartungen. Die alten Tagebauanlagen sollen auf keinen Fall zur achten Ortschaft von Niederzier werden. „Das ist politisch nicht gewollt und mit dem Bergbautreibenden in diesem Strukturkonzept so verankert.“ Auch wenn der Kreis Düren schon vor Begeisterung die Wachstums-Zielmarke „300.000 plus“ ausgerufen hat und das Areal über die A4 perfekt an Köln und Aachen angebunden ist und sich die Hambach-Bahn, die bisher ausschließlich dem Bergbau diente, perfekt anschließen ließe. Für alle, die mit dem Ausstieg aus der Kohle auch den Umstieg vom Auto aufs Deutschlandticket verbinden wollen.
So weit, so gut. Lars Kulik, Vorstandsmitglied der RWE Power AG, spricht vom Kohleausstieg als „positiver Herausforderung“. Der Konzern befinde sich „im Übergang zum Rekultivierungsbetrieb“ und er freue sich schon darauf, im Jahr 2030 Wasser in den Tagebau Hambach einzulassen.
Die erste Fläche zur Ansiedlung von Gewerbe soll schon Ende der 2020er Jahre in die Vermarktung gehen. „Pionierfläche“ haben die Macher den ersten Abschnitt getauft. Das seien immerhin 20 von 130 Hektar, sagt Bürgermeister Rombey. „Sie liegt direkt an der Tagebaurandstraße, die auch heute schon das Eingangstor für das gesamte Areal ist.“
Von dort aus soll man dann zu Fuß den Quartiersplatz und die urbane Meile erreichen, die dann im Süden zum See führt. Rombey ist sicher, dass er das alles noch erleben wird. Und wenn es so glattläuft, wie alle hoffen, im Jahr 2040 vielleicht immer noch als Bürgermeister.
Im Herbst 2025 jedenfalls wird er wieder antreten. Und es sieht nicht danach aus, als könne seine Wiederwahl schiefgehen. Die Menschen trauen ihm zu, dass er die Transformation von der Braunkohle zur Boom-Region schon wuppen wird.