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Versicherungsexperten im Interview„Mit dem freundlichen Herrn Kaiser kann man nicht mehr punkten“

Lesezeit 5 Minuten
ARCHIV - 11.01.2019, Baden-Württemberg, Stuttgart: ILLUSTRATION - Tasten einer beleuchteten Tastatur. (Aufnahme mit Zoomeffekt). (zu dpa: «Kommunen setzen nur vereinzelt auf Künstliche Intelligenz» Foto: Sebastian Gollnow/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Künstliche Intelligenz verändert auch die Versicherungsbranche.

Christian Schareck und Claudia Fell von Roland Berger sprechen im Interview über die Überalterung und die Wünsche der Generation Z.

Frau Fell, Herr Schareck: Krisen wie der Ukraine-Krieg, Corona, Flutkatastrophe oder auch demografischer Wandel schütteln auch den Versicherungsmarkt ordentlich durch. Welche Herausforderungen kommen auf die Branche zu?

Fell: Die Herausforderungen sind vielfältig. Die multiplen Krisen und ihre Auswirkungen auf Inflation und Zinsen zwingen auch Versicherungsunternehmen Produkte anzupassen, Kosten zu sparen und teilweise auch das Preisniveau anzugleichen, da zum Beispiel Reparaturkosten im Automobil- oder auch Gebäudebereich massiv steigen. Auch stehen die Versicherer vor einer weiteren Welle der Digitalisierung, die auch – aber nicht nur – durch die Weiterentwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) möglich wird. Die durch den Einsatz von Technologie und KI zu erzielenden Effizienzsteigerungen wird die Branche dringend brauchen, um die demografischen Entwicklungen, die Überalterung der Belegschaften und den Kampf um Talente ausbalancieren zu können.

Wo liegen die Hauptprobleme ?

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Fell: Der demografische Wandel trifft die Versicherer nicht nur in ihren eigenen Organisationen. Kundenbedürfnisse verändern sich derzeit erheblich. Der Markt muss sich auf zwei völlig unterschiedliche Interessengruppen einstellen. Die ältere Generation, die ein gewisses Vermögen angespart hat, verfolgt ganz andere Ziele als jüngere Generationen. Gerade die Altersgruppe Ü 65 braucht Produkte, die auch Assistance Leistungen beinhalten und auf eine für den jeweiligen Kunden zugeschnittene, umfassende Betreuung abzielen – über die reine Kranken- oder Pflegeversicherung hinaus.

Christian Schareck, Senior Partner & Global Co-Head Insurance bei Roland Berger.

Christian Schareck, Senior Partner & Global Co-Head Insurance bei Roland Berger.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden hierzulande zirka 95 Millionen Lebensversicherungsverträge abgeschlossen.
Christian Schareck, Senior Partner bei Roland Berger

Wie sollen solche Modelle aussehen?

Schareck: Der Anteil der älteren Versicherten nimmt zu, die Boomer-Generationen gehen in absehbarer Zeit in den Ruhestand. Damit wächst die Gruppe derjenigen, die nun Leistungen in der Lebens- und Rentenversicherung beziehen signifikant. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden hierzulande zirka 95 Millionen Lebensversicherungsverträge abgeschlossen. Nun gelangen die angesparten Summen zunehmend zur Ausschüttung. Zugleich ist die Lebenserwartung stark gestiegen. Heute werden die Leute im Schnitt deutlich über 80 Jahre alt, das heißt die Endsparphase währt mittlerweile teilweise schon länger als die Ansparphase.

Das sieht bei Menschen unter 30 sicherlich ganz anders aus.

Fell: Gerade die sogenannte Generation Z. verfolgt ganz andere Lebensmodelle. Auch wenn diese Gruppe gar nicht so homogen ist, wie sie nach außen erscheinen mag, verbindet sie wenig mit Versicherungen. Zwar ist es schon so, dass auch diese Generation sicherheitsorientiert denkt. Allerdings kommunizieren diese jungen Menschen über völlig andere Kanäle. Diese Klientel ist in den sozialen Medien unterwegs. Die jüngeren Leute folgen viel stärker Empfehlungen durch Freunde aus den sozialen Netzwerken. Sie lesen keine Webseiten über Produktinformationen. Die Bereitschaft, mit virtuellen Assistenten wie Bots zu arbeiten, ist deutlich höher als bei den Middle-Agern oder der Senioren-Fraktion. Und das, obwohl auch die Gen Z für komplexe Themen eine persönliche Beratung wünscht – nur halt nicht auf dem eigenen Sofa. Kurzum: Diese Gruppen muss man ganz anders ansprechen.

Claudia Fell ist Senior Partner & Head of Insurance DACH bei Roland Berger. Sie hat über 20 Jahre Erfahrung in der Beratung von nationalen und internationalen Versicherungsunternehmen.

Claudia Fell ist Senior Partner & Head of Insurance DACH bei Roland Berger.

Viele junge Frauen und Männer denken nicht ans Alter oder an eine ausreichende Gesundheitsvorsorge.
Claudia Fell, Senior Partner bei Roland Berger

Inwiefern ?

Fell: Zunächst einmal sollten die Konzerne mehr Wert darauflegen, die sozialen Medien zu bespielen. Künstlerische Fantasie und viel Witz sind gefragt, wenn man Videos über Versicherungsprodukte via Tiktok oder Instagram erfolgreich platzieren will, um neues Geschäft zu akquirieren. Hier muss eine Balance zwischen zielgruppen-adäquater Kommunikation und dem übergreifenden Markenimage gefunden werden. Viele junge Frauen und Männer denken nicht ans Alter oder an eine ausreichende Gesundheitsvorsorge. Wer diese Klientel für sich gewinnen will, muss eine ganz andere Sprache rüberbringen, neue Trigger-Faktoren setzen. Mit dem freundlichen Herrn Kaiser als Versicherungsvertreter aus der alten TV-Werbung können Sie bei diesen Menschen nicht punkten. Die sozialen Netzwerke bilden die Info-Plattform der Zukunft gemeinsam mit Künstlicher Intelligenz (KI).

Ist KI also der Kundenberater von morgen?

Fell: Nicht ganz. Eher eine Art digitaler Hilfs- und Infomanager, die erste Anlaufstelle, um sich schnell und ohne große Warterei in einer Service-Hotline-Schleife über das gewünschte Angebotsportfolio zu unterrichten. Gerade viele jüngere Menschen hegen hohe Erwartungen an einen 24-Stunden-Kundenservice. Hier kann KI helfen und allgemeine Fragen von Kunden rund um die Uhr beantworten. Sobald eine Beratung gewünscht ist, wird auch in naher Zukunft ein Berater oder Vermittler das Gespräch übernehmen. Hier wird gegebenenfalls die KI Vorschläge zu passenden Angeboten machen, die der Vermittler übernehmen oder anpassen kann – je nachdem, was er auf Basis seines Kundenverständnisses für richtig hält.

Wo liegen die Grenzen?

Schareck: KI wird – adäquat eingesetzt - ganz sicher helfen, die Effizienz der Wertschöpfungskette deutlich zu steigern. Dies steigert den Nutzen aller Beteiligten. Zugleich müssen die Risiken stetig überwacht und minimiert werden. Generell ist Effizienz nicht die einzige „Währung“. So sollten etwa ethische Grundkomponenten stets sichergestellt sein. Beispielsweise sind bei schwerwiegenden gesundheitlichen Fragestellungen Entscheidungen nicht einer Maschine oder Algorithmen zu überlassen.


Christian Schareck (50), Senior Partner & Global Co-Head Insurance bei Roland Berger. Er verfügt über mehr als 24 Jahre Erfahrung in der Beratung von nationalen und internationalen Versicherungsunternehmen. Er studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln und promovierte in Leipzig. Schareck ist Mitglied in verschiedenen Gremien der Versicherungswirtschaft und Autor zahlreicher Fachpublikationen.

Claudia Fell (47) ist Senior Partner & Head of Insurance DACH bei Roland Berger. Sie hat über 20 Jahre Erfahrung in der Beratung von nationalen und internationalen Versicherungsunternehmen. Vor ihrem Einstieg bei Roland Berger 2023 leitete sie das FS Strategie- und Management Consulting Geschäft eines führenden Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmens und hatte mehrere Jahre die DACH-Verantwortung für das Versicherungsgeschäft einer global führenden Strategieberatung.